Wien. Im Zentrum der Installation Malady of the Infinite im Atrium des Belvedere 21 steht eine futuristische Skulptur, die den BesucherInnen eine Sitzgelegenheit bietet. Gezeigt wird der Abguss des Cockpits einer Superjacht, welches sich wie aus dem Wasser über den Boden erhebt. Die Oberfläche des weißen, aufpolierten Fiberglases erinnert an einen Luxuswagen und evoziert Verlangen und Unnahbarkeit zugleich. Echte Superjachten funktionieren wie ein Mikrokosmos, sie ermöglichen den PassagierInnen komfortable Urlaubstage und schirmen sie zugleich von den Gefahren und Unannehmlichkeiten des Alltags ab. Schwarze „schwimmende“ Seeminen umkreisen das Cockpit im Ausstellungsraum und verkörpern die Gefahren der Außenwelt. Die Nähe der Minen spiegelt die fragile Qualität von Reichtum wider, der Hauptursache für die Diskrepanz zwischen Arm und Reich.
Malady of the Infinite wurde der Theorie französischer Soziologen um Émile Durkeim entlehnt, nach dem die Möglichkeit des unendlich hohen Besitzes einerseits und das Bestehen des Unendlichen als unvorstellbare Größe andererseits das Dilemma der menschlichen Existenz in kapitalistischen Gesellschaften bestimme. Eine Superjacht steht symbolisch für das Ziel des Konsums, ein Objekt, das die meisten Menschen nur aus der Ferne zu Gesicht bekommen. Somit stellt das Luxusboot die parodistische Vorwegnahme einer utopischen Situation dar. Die umgebenden Minen zeigen an, dass das Erreichen des Ziels zugleich den Wechsel auf die gegenüberliegende Seite – die der Reichen und Unnahbaren – einläutet.
Bereits als Jugendliche sah Grubinger ihre Zukunft nicht in ihrer Geburtsstadt, dem kleinbürgerlichen Salzburg, verhaftet und wählte Berlin als Hauptwohnsitz. Die Installation Black Diamond Bay (2015), die sie für verschiedene Ausstellungen teilweise veränderte, bestand aus einem Floß aus Bambusholz und Wasserkanistern. Überdimensionierte schwarze Gummireifen und Glasflaschen hingen eingefasst in grobe Ketten von der Decke. Bunte am Boden drapierte Stoffe erinnerten an orientalische Zeltstädte. In Referenz auf die europäische Kolonialgeschichte wurden die menschenunwürdigen Strapazen, die Flüchtende am Mittelmeer ertragen müssen, den BetrachterInnen durch das bühnenhafte Arrangement verständlich gemacht.
Die Relationierung von Alltagsgegenständen zu weiteren Objekten und deren Bedeutung eröffnet eine kritische und oftmals soziopolitische Dimension in Grubingers Arbeit. Unter aufwendigen Herstellungsprozessen werden die Objekte radikal abstrahiert, ihrer ursprünglichen Funktion entzogen und zu ästhetisch aufgeladenen Fetischprodukten. In der Überreizung des Ästhetischen drückt sich der ironische Kommentar der Künstlerin über die pädagogische Dimension in zeitgenössischer Kunst aus. Anders als viele KünstlerInnen ihrer Generation erkannte Grubinger, dass Kritik und Kunst nicht ohne das Wechselspiel mit Ironie und Witz funktionieren können. Das hochpolierte Cockpit ihrer Superjacht könnte sowohl Einsatz finden im Dreh eines HipHop-Videos und zugleich das Ergebnis eines Städteplanungswettbewerbs für Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum sein. Grubinger reibt kein Salz in die Wunden des kollektiven Gewissens, vielmehr ist ihren referenziellen Arbeiten die Ästhetisierung gesellschaftlicher Kritik inhärent. Da sie die Problematik innerhalb der ästhetischen Distanz zwischen Kunst und Gesellschaft bewusst benennt, wirkt ihre Arbeit nicht als zynischer Kommentar, sondern ermöglicht den weiterführenden Diskurs.
Auch Henrike Naumann, deren Einzelausstellung Das Reich knapp zwei Monate vor Malady of the Infinite im Belvedere 21 eröffnete, wählt in ihren Installationen das Mittel der ästhetischen Überreizung von Alltagsgegenständen zur Auslotung kritischen Potenzials. Die im damals zu Ostdeutschland gehörenden Zwickau geborene Künstlerin verwendet hauptsächlich originale Möbel aus der Postwendezeit. Die Referenzen, auf die sich Naumanns Kritik bezieht, sind buchstäblicher als in Malady of the Infinite. Bunte Büsten aus Glas, die stolze bärtige Männer repräsentieren, verzieren Einbauschränke, die zur Decke hin mit verkröpften Dreiecksgiebeln abschließen. Eine Hommage an die Stilverschränkungen postfaschistischen Möbeldesigns: Moderne und funktionale Möbel werden mit gotischen Formen – dem „echt deutschen Stil“ – verziert und Billigbüsten, die an Arno Brekers Skulpturen arischer Jünglinge erinnern, als Massenware distribuiert. Das Metallemblem eines Reichadlers erhebt sich über einem schweren Ehebett, dessen Furnier die Holzmaserung von Eichen imitiert und verschiedene Flaggen – von der Flagge des Dritten Reichs bis hin zur deutschen Nationalflagge – hängen an Möbeln und Wänden.
Das Durchwandern der karikaturhaften Rauminstallationen Naumanns erinnert an den Besuch von Schlössern oder „Schauhäusern“ berühmter Verstorbener. Die Türen innerhalb solcher Institutionen sind durch gläserne Barrieren versperrt, erlauben jedoch den Blick auf Gegenstände, welche die BewohnerInnen benutzt haben sollen. Die Betrachtung des Lesesessels, Schreibtischs oder Betts produziert künstliche Nähe zu den BetrachterInnen, die sich am Spektakel glorifizierter Lebensentwürfe erfreuen. Das öffentliche Begehren der stilisierten Persönlichkeiten ist die Grundvoraussetzung für den Besuch dieser Institutionen. In solche Räume werden Alltagsgegenstände „in Benutzung“ drapiert, um den historischen Wohnort noch lebendiger erscheinen lassen. In Naumanns Installation gibt es solche Gegenstände nicht und auch die berühmte Figur, auf welche man die Möbel und die deutschnationalen Symbole beziehen könnte, bleibt abwesend. Das Reich behandelt den deutsch-deutschen Einigungsvertrag von 1990 zwischen Deutschland und der ehemaligen DDR. Zudem werden visuelle Bezüge zum ehemaligen FPÖ-Politiker Jörg Haider hergestellt, an dessen Wohnung in Wien sich die Installation teilweise orientiert. Anstatt dem Leben einer bestimmten Persönlichkeit näherzukommen, konkretisiert die Installation die kulturelle und politische Distanz zwischen BesucherInnen und potenziellen BewohnerInnen dieser Räume. Die Ungewissheit über die Anzahl Rechtsextremer in modernen Gesellschaften und deren Lebensweise ist ein zeitgenössisches Problem, welches Naumanns Reich ästhetisch zitiert.
Grubinger und Naumann visualisieren in ihren Installationen nicht nur aktuelle gesellschaftliche und politische Themen, sondern machen die problematischen Entwicklungen physisch und emotional erlebbar. Die Künstlerinnen entsagen sich der Möglichkeit, Kunst als Mittel des ästhetisierten politischen Kommentars zu begreifen. Ihre Installationen setzen auf buchstäbliche Kritik, statt sich auf vagen Referenzen auszuruhen.