New York. Manchmal bilden aktuelle tagespolitische Ereignisse die beste Basis, um eine Ausstellung zu lesen. Im Oktober 2019, kurze Zeit nach der Eröffnung von Hans Haackes Ausstellung All Connected im New Museum, New York, wurden vier Obdachlose in Chinatown ermordet. Obwohl die Berichterstattung eine Art Schockstarre vieler BewohnerInnen wiedergeben konnte, gab es wenige Analysen über den Zusammenhang zwischen Gentrifizierung, Real Estate Investment und zunehmender Wohnungslosigkeit in der Stadt. In New York leben im Moment ca. 65.000 Leute auf der Straße, eine Zahl, die alarmierend genug sein müsste, um nach einer breiten öffentlichen Diskussion und politischen Maßnahmen zu fragen. Genau das macht Hans Haackes Ausstellung, wenn sie behauptet, dass alles miteinander verbunden sei. Die Tatsache, dass es sich um eine erste Einzelausstellung des Künstlers nach fast 30 Jahren in New York handelt, lässt jedoch aufhorchen und man fragt sich, warum ausgerechnet die lokale Szene Haackes Arbeiten zu Gentrifizierung und Immobilienspekulation vernachlässigt hat.
Haacke hat bereits in den 1960er-Jahren über den sogenannten Slum Lord Harry Shapolsky recherchiert und in 142 Bild- und Texttafeln das Netzwerk einer breitflächigen kapitalorientierten Kontrolle von Wohnraum ausgebreitet. Die Ausbeutung der MieterInnen, die sanierungsbedürftigen Häuser, die Profitkanäle der EigentümerInnen – all das wurde in der Installation Shapolsky et al Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System as of May 1, 1971 sichtbar und anklagbar. Shapolsky et al war eine temporäre Bestandsaufnahme, die in dieser Form der Stadt der Gegenwart fehlt. Umso wichtiger ist es, die Installation in ihrer Gesamtheit genau in New York auszustellen. Man müsste die Arbeit an den Sehgewohnheiten, die Haacke damals geleistet hat, wiederaufnehmen und fortsetzen, wahrscheinlich den Blick der Wohnungslosigkeit in eine heutige Bestandsaufnahme inkludieren. Haacke hat hier Überzeugungsarbeit geleistet, die ethisch motiviert war und dementsprechend an den visuellen Formen, an dem, wie wir sehen und empfinden, rütteln musste. Die Installation ist nämlich nicht nur eine analytische Arbeit, auf die sie oft reduziert wird, entscheidend ist auch, wie die fotografische Blickrichtung selbst auf eine Schieflage deutet. Man kann gar nicht anders, als die Häuser als kommodifizierte Objekte zu sehen, zu denen sie auch, entgegen aller repräsentativen, architektonischen oder städtebaulichen Bemühungen gemacht wurden.
Ein weiteres politisches Ereignis, das in direkter Beziehung zu Haackes Arbeitsweise steht, trägt sich während der Laufzeit der Ausstellung zu: Evo Morales, der bolivianische Ministerpräsident, wird durch Drohungen vom Militär zum Abtritt gezwungen. Kurze Zeit später werden Meldungen über neue Investoren in das bolivianische Lithiumvorkommen laut. Politische Wenden, die von ökonomischen Interessen getragen werden, ereignen sich in einer Art und Weise, die zwar an US-Interventionen in Lateinamerika aus den 1950er- und 60er-Jahren denken lässt, sie sind aber äußerst zeitgenössisch. So wie der Mord an den Obdachlosen in New York könnte auch dieses Ereignis eine Folie für die Betrachtung einer Haacke-Installation sein, nämlich jener, die unmittelbar nach Shapolsky et al entstanden ist, Solomon R. Guggenheim Museum Board of Trustees. Darin wird deutlich, dass Mitglieder des Gremiums im Guggenheim Museum zugleich Direktoren der Kennecott Copper Company waren, jener Firma, die an der politischen Destabilisierung Chiles beteiligt war. Die Kennecott Copper Company erhielt nach dem Tod Salvador Allendes 68 Millionen Dollar von Pinochet als „Wiedergutmachung“ für den ökonomischen Verlust, den die Firma zuvor durch die Verstaatlichung von Eigentum in Chile erlitten hatte. Geradezu filigran muten die sieben weißen Blätter in dünnen Metallrahmen an, in denen Haacke die Namen der Direktoren aufgelistet hat, der Text ist mittig und sehr klein gesetzt, eine biblische Auflistung einer künstlichen Veredelung politischer Täterschaft – das Layout ahmt die Selbstrepräsentation des Gremiums nach. Auch hier hat Haacke eine Form gefunden, die bitteren Fäden zwischen dem Edelmetall (damals Kupfer, heute Lithium), ökonomischen Machenschaften und Kunstinstitutionen auszustellen. Man wünscht sich eine solche Arbeit für das heutige Bolivien.
Seltsam zeitlich versetzt erscheinen die vier Stockwerke im New Museum, denn obwohl man weiß, dass man sich durch eine Retrospektive bewegt, wirkt keine Arbeit wie ein Archivstück. Manches gelbliche Papier mag auf etwas Vergangenes hinweisen, aber nichts ist verstaubt. Eher wird hier die Zeit anders gezählt, spezifisch im Augenblick der Analysen Haackes, dann aber so treffsicher, als hätte die Methode etwas universal Gültiges. Dieses Universale ist jedoch nicht da zu finden, wo man es vermuten würde – die frühen Arbeiten über Kinetik haben wenig mit den Skulpturen der frühen Minimal Art zu tun, die ihre Relevanz durch Veranschaulichung starrer Naturgesetze und biologischer Phänomene hervorheben mussten. Da sind Windkanäle, die weiße und blaue Stoffe (Blaues Segel) in Bewegung setzen, als würden sie sagen, dass sie so oder auch anders aussehen könnten. Und genau dieses Beharren auf Veränderbarkeit kennzeichnet die radikale Machtkritik Haackes, die heute wie damals überzeugt: „From the beginning, the concept of change has been the ideological basis of my work. All the way down, there’s absolutely nothing static ... nothing that does not change or instigate real change.“