Karlsruhe. Die Arbeit von Jeremiah Day hebelt so ziemlich alle Strategien aus, um kunstkritisch etwas dingfest zu machen. Es gibt Videos, in denen er mit Körper und Stimme agiert. Es gibt Fotografien, die Bruchteile verzweigter Projekte transportieren. Ohne ihn jedoch in einer seiner Performances oder Vorträge erlebt zu haben, bleibt sein Werk weitgehend blass. Insofern stellt das Format Ausstellung für den Künstler eine Herausforderung dar. Zugleich ist er ungeheuer erfolgreich damit, wie seine lange Liste an internationalen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen zeigt. Ausstellungen sind für den 1974 in Plymouth, Massachusetts geborenen Amerikaner Orte, an denen er Projekte materialisiert, am besten gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Und diese Projekte betreffen zumeist aktuelle Bürgerrechtsbewegungen wie etwa Fridays for Future und sind verknüpft mit einem historischen Ereignis.
In Karlsruhe hat Jeremiah Day die Carl-Schurz-Straße aus Knielingen in den Badischen Kunstverein verlegt. Sie erinnert an den rheinischen1848er-Revolutionär, der auch in Baden aktiv war. Großformatige Fotografien einzelner Häuser- oder Gartenansichten bilden eine Gasse, einen leeren Raum, der gefüllt werden soll: mit Performances, mit BesucherInnen, mit dem, was noch entsteht. Jeremiah Day stürzt sich planmäßig mit seiner ephemeren Kunst aus Recherche, Kommunikation und Kontaktimprovisation-Workshops in das Abenteuer eines Work in Progress. Sein inhaltliches Gerüst ist die Geschichte des verfolgten Demokraten Carl Schurz, der mit seiner Frau Margarete Mayer-Schurz in die USA emigierte, wo er sich für die Integration befreiter SklavInnen einsetzte und wo Margarete die Institution des Kindergartens erfand.
Seine Performancetechnik ist genauso immateriell wie seine Inhalte, aber auch genauso verlässlich. Das geplante Festival und die Ensembleperformance mussten allerdings aufgrund des Corona-Shutdowns abgesagt werden. Zuvor hatte Jeremiah Day mit Studierenden der Hochschule für Gestaltung (HfG) und einer regionalen Kontaktimprovisationsgruppe zusammengearbeitet. Der Waldstraßensaal war zum Übungsraum umfunktioniert worden. Nur an einer Wand war eine kleine Projektion zu sehen, eine Performance von Simone Forti aus dem Jahre 2014. Eine weißhaarige Frau kniete wie eine mythische Figur am Meeresufer und versuchte vergeblich, durchnässtes Zeitungspapier vor der Brandung zu schützen. Der 1935 geborenen Tanzlegende verdankt Jeremiah Day wichtige Aspekte seiner Performancetechnik, die von der improvisierten Sprech- und Bewegungskunst Simone Fortis, Logomotion, abgeleitet ist. Zehn Jahre hat der Künstler mit Simone Forti und dem Schriftsteller und Aktivisten Fred Dewey an dem Projekt Nonfiction gearbeitet, in dem es um bürgerschaftliche Relevanz in der Kunst ging.
Diese gemeinsame Arbeit war vielleicht entscheidend für das Gelingen des aus Offenheit und Erfahrung gespeisten Ansatzes von Jeremiah Day. Mit der künstlerischen Forschungsarbeit A Kind of Imagination that has Nothing to Do with Fiction: Art in Public Life wurde er jedenfalls 2017 an der Freien Universität Amsterdam promoviert. Eine Imagination, die nichts mit Fiktion zu tun hat. Was kann das sein? Ihm schwebte offenbar eine Kunst vor, die sich manifestiert in der Gabe des Menschen, sich zu organisieren, einfallsreich zu sein und auf diese Weise politisch etwas zu bewirken. Darin liegt für ihn die Kraft einer Ästhetik verborgen, die erfolgreicher ist als beispielsweise Barack Obama. Dem soll es nicht gelungen sein, in Chicago die illegalen Verhöre der Polizei gänzlich zu unterbinden, bei denen Folter an der Tagesordnung gewesen sein soll. AktivistInnen hingegen besetzten den Freedom Square gegenüber dem Tatort und erlangten auf diese Weise Gerechtigkeit. Die an diese Aktion erinnernde Installation 16 People, 41 Nights (2020) besteht aus einem einzigen kleinen Foto, das der Künstler wie eine Mischung aus Hinweisschild und Denkmal auf einem Sockel präsentiert hat.
Jeremiah Day unterläuft mit dieser minimalistischen Installation das Pathos des Siegs gegen die Gewalt, baut aber einen anderen Popanz auf, den des Kollektiven, das keiner weiteren Transformation bedarf, um Kunst, „Art in Public Life“, zu sein. Wie kraftlos eine solchermaßen postulierte Nonfiction sein kann, zeigte auch die Veranstaltung mit Joanne Bland, die im Vorfeld der Ausstellung in Karlsruhe stattgefunden hatte. Die Zeitzeugin der Bürgerrechtsmärsche von Selma nach Montgomery 1965 erzählte von der brutalen Niederschlagung der BürgerrechtlerInnen zu Beginn der legendären Protestmärsche. Die Aktivistin tat dies routiniert, ihr authentischer Bericht verkehrte sich in das Gegenteil, in eine durch Wiederholung abgenutzte Litanei.
KünstlerInnen, die sich auf einer politischen Ebene der Partizipation an gesellschaftlichen Themen verschreiben, laufen Gefahr, in der Banalität stecken zu bleiben. Nicht umsonst liegt der Erfolg von Kino und Literatur darin, Inhalte treffender auf den Punkt zu bringen als die bloße Realität. Die problematische Grauzone zwischen Authentizität und Fiktion ist das Material von Jeremiah Day, das er in seinen Performances in Vibration setzt. Er erzählt mit dem Körper, improvisiert mit dem Raum und Requisiten, bringt die Imagination des Publikums in Gang. Am Eröffnungsabend verknüpfte er zudem die Installation Making For Home/Via Schurz Way mit der Historie und der politischen Realität. Es ginge nicht um ihn, sondern um uns alle, zitierte der Künstler – mit den Armen wedelnd – Bernie Sanders, der in den USA für seine Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat kämpfte. Und Jeremy Day setzte hinzu: „Aber wer, zum Teufel, sind wir eigentlich?“