Heft 2/2020 - Come Together!
In Form von Workshops oder thematischen Konferenzen haben pädagogische und diskursive Formate seit geraumer Zeit Einzug in künstlerische Praxis und kuratorisch-institutionelle Agenden gefunden. Diese der Gegenwartskunst inhärente Diskursivierung – der Fokus auf Wissensproduktion und Pädagogik – wird etwa deutlich, wenn die Forschungsagentur Forensic Architecture Workshops im Rahmen von Ausstellungen abhält. Hier können unter anderem Techniken der Gegenüberwachung mit selbstgebauten Flugdrachen oder „civic satellites“ erlernt werden. In Anlehnung an Praxen militanter Forschung gibt das Londoner Kollektiv Einblick in seine Arbeitsweise, Techniken und Strategien. Zentral scheint, dass das Format des Workshops nicht bloß Teil des Begleitprogramms, sondern integraler Bestandteil der Arbeit von Forensic Architecture selbst ist.
Während Workshops und Diskursprogramme in den letzten zwei Jahrzehnten zur graduellen Erweiterung künstlerischer Produktion und einer Modifizierung von Ausstellungsformaten beigetragen haben, geht eine Reihe rezenter Ausstellungs- und Theaterprojekte stärker auf den Akt des Trainierens, Erprobens und Vorbereitens ein. Im Vergleich zum etwas nüchternen Format des Workshops suggeriert die Rhetorik des Trainings eine gewisse Dringlichkeit. So fanden unter den Titeln Trainings for the Not-Yet und Training for the Future zuletzt zwei ähnlich gelagerte Projekte der niederländischen KünstlerInnen Jeanne van Heeswijk und Jonas Staal statt. Als Erprobung von Formen des Miteinanders setzen die Trainings auf durchaus unterschiedliche ästhetische und künstlerische Strategien. So scheint Staals Form der Versammlung auf Brüche mit gegenwärtigen Formen politischer Repräsentation abzuzielen; van Heeswijks Commoning hat im Gegenzug weniger die Distanznahme als das aktive Nutzen und Gestalten von gemeinsamen Ressourcen zum Ziel.
Jeanne van Heeswijks viermonatige Reihe (14. September 2019 bis 12. Januar 2020) bestand aus einer Ausstellung bei BAK, basis voor actuele kunst in Utrecht, die mit einer Vielzahl kleinerer, kollaborativer und lokaler Interventionen verbunden war. In der Kombination von eigenen Projekten, Arbeiten anderer KünstlerInnen und der Materialisierung von Gemeinschaftsprojekten agiert van Heeswijk gleichzeitig als Künstlerin, Kuratorin und Kollaborateurin. Die Ausstellung bot dabei eine Art Retrospektive von Community-Projekten, die die Künstlerin in den letzten drei Jahrzehnten in den Niederlanden und anderswo initiiert hatte. „Learning objects“ nennt van Heeswijk die Materialisierungen und Visualisierungen ihrer sonst ephemeren Arbeit. Im Kontext der Ausstellung werden diese Objekte, Diagramme und installativen Situationen zu Ressourcen und möglichen Ausgangspunkten für Zukünftiges; sie sind anschaulich und pädagogisch zugleich.
Jonas Staal hingegen veranstaltete im Rahmen der Ruhrtriennale in Bochum zusammen mit dem Dramaturgen Florian Malzacher ein dreitätiges „Trainingscamp“, Training for the Future (20. bis 22. September 2019). Während van Heeswijk auf eine langsame Entwicklung der Ausstellung mit lokalen Organisationen wie Utrecht in Dialoog und den UtrechterInnen abzielte, ist Staals spekulativ-performatives Programm wenig an den Veranstaltungsort gebunden. Jedoch materialisieren beide Trainings langjährige Kollaborationen und erprobte sowie neue Strategien an der Schnittstelle von Gesellschaft, Politik und Kunst.
Culture Wars und Assemblism
Ein Hintergrundmotiv der Trainings sind die Kulturkämpfe, die culture wars1 der Gegenwart – Nationalismus und Antisemitismus, das Pochen auf Rede- und Meinungsfreiheit im rechten Diskurs, die Erosion westlicher Demokratien hin zu Postdemokratien, die Aushöhlung nationalstaatlicher Kompetenzen durch globale, neoliberale Akteure, räumliche Strategien der gesellschaftlichen Separierung sowie der Klimawandel, an dem sich die zunehmende Polarisierung westlicher Gesellschaften eindrücklich zeigt. Diese Kulturkämpfe werden nicht nur auf sprachlicher Ebene, in den Medien und in den Echokammern der digitalen Öffentlichkeit ausgetragen. Vielmehr findet ein gezieltes Aufrüsten statt: Bislang von der Politik und den Medien verharmloste rechte Gruppierungen, die sich international vernetzen, personelle und materielle Ressourcen bündeln und für den Tag X trainieren, stellen zunehmend eine Gefahr für die liberale Demokratie dar. Es bleibt also nicht bei einer Normalisierung verletzender und verhetzender Sprache und dem gleichzeitigen Pochen auf die Rede- und Meinungsfreiheit der modernen Demokratie. Eine ganz anders gelagerte Praxis der Vorbereitung, die der Logik eines ausschließenden „Wir“ zuwiderläuft, findet sich etwa bei den AktivistInnen von Fridays for Future. Auch diese bieten „Trainings“ an, beispielsweise das gemeinsame Einüben von Varianten des Blockadesitzes, um auf Klimastreiks und Demonstrationen vorbereitet zu sein. Eine Funktion dieses Trainings – im Sinne einer Probe – ist es, Körper durch die Wiederholung auf spezifische Aufgaben vorzubereiten. Es zielt aber auch darauf ab, die affektiven und körperlichen Dimensionen von Kollektivität in Momenten der Versammlung und des Trainierens zu befragen und essentialistischen Vorstellungen von Gesellschaft entgegenzutreten.
Schon in der von Florian Malzacher kokuratierten Ausgabe des steirischen herbsts 2012, Die Wahrheit ist konkret: Künstlerische Strategien in der Politik und politische Strategien in der Kunst fand sich ein Beispiel eines künstlerisch-aktivistischen Trainingscamps. Die Marathonveranstaltung versammelte mehr als 200 KünstlerInnen, AktivistInnen und TheoretikerInnen in einem eng getakteten Ablauf, sieben Tage lang, rund um die Uhr. Dabei nahm das Festival den Fahrtwind des Aufbruchs und der Erneuerung der Occupy-Bewegungen auf. Als politisches Theaterprojekt war Die Wahrheit ist konkret als Versuch der Überführung der Wirkmacht sozialer Bewegungen in den Raum der Kunst und des Theaters zu verstehen. Dabei wurden die Rolle der Kunst im Verhältnis zu sozialen Bewegungen befragt und Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihre Potenziale als politisches und soziales Werkzeug entfalten kann. So insbesondere in Praxen der Selbstermächtigung, der Gegenaneignung oder des Taking Care.
Dabei plädiert Malzacher für künstlerische Praxen, die nicht allein in ihrer „usefulness“ aufgehen, sondern zugleich symbolisch und direkt operieren – innerhalb des künstlerischen Felds und außerhalb.2 Ein Beispiel dafür ist Jonas Staal, der ebenfalls am steirischen herbst 2012 teilnahm und kurz zuvor die erste Ausgabe seines Langzeitprojekts New World Summit im Rahmen der 7. Berlin Biennale (2012) abgehalten hatte. Der New World Summit ist ein alternatives Parlament, das Gruppen, die von politischer Repräsentation und demokratischen Entscheidungsprozessen weitestgehend ausgeschlossen sind, eine Plattform bietet. Dies inkludiert insbesondere jene, die von westlichen Staaten als terroristisch eingestuft werden. So beispielsweise die Kurdish Women’s Movement, die der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahesteht und dezidierte basisdemokratische und feministische Agenden verfolgt sowie eine „demokratischere“ Form von Demokratie zu instituieren versucht. In der Versammlung operiert der New World Summit als Parlament des Konflikts im doppelten Sinne: Es stellt die westliche Demokratie auf den Prüfstand und bietet einen Rahmen, in dem teils opponierende Gruppierungen in Diskussion miteinander treten. Die konstruktivistische Ästhetik des Summits wiederum setzt ein Wechselspiel aus Fiktionalisierung und Realität in Gang, wodurch die Versammlung als konstitutive Form des Politischen reflektiert wird.
In Anlehnung an die Praxis des Versammelns hat Staal für seine künstlerische Praxis den Begriff „assemblism“ geprägt – eine Form der Kollektivität, die aus dem Prekariat heraus entsteht und so andere Formen von Gemeinschaft, die politischer Repräsentation zuwiderlaufen, produziert.3 In ihrer Analyse der Versammlung als Form gehen Michael Hardt und Antonio Negri noch einen Schritt weiter. Sie verstehen die Versammlung (und das Recht darauf) nicht als bloße „Verteidigung individueller Freiheit oder Schutz vor staatlicher Ausbeutung oder gar [als] Gegengewicht zu staatlicher Macht. Sie ist kein Recht, das dem Souverän zugestanden wird, sie ist nicht das Werk von Repräsentanten, sondern Errungenschaft von Konstituenten selbst. Versammlung wird zu einem konstitutiven Recht, das heißt zu einem Mechanismus, um eine gesellschaftliche Alternative zu schaffen, die Macht auf andere Weise zu übernehmen, nämlich mittels Kooperation bei der gesellschaftlichen Produktion.“4 Wo Hardt und Negri die zentrale Rolle der Versammlung erkennen, hebt etwa Judith Butler die körperliche Dimension des Zusammenkommens hervor. Für Butler findet die Versammlung „nur ‚zwischen‘ Körpern statt“, nämlich „in einem Raum, der die Lücke zwischen meinem eigenen Körper und dem eines anderen oder einer anderen konstituiert. Somit handelt mein Körper nicht allein, wenn er politisch handelt.“5
Choreografien des Miteinander
In Propaganda Art in the 21st Century, einem Buch, das aus Staals PhD-in-Practice-Dissertation hervorging, argumentiert der Künstler für ein emanzipatorisches Verständnis von Propaganda. Anstelle der überwiegend negativen Assoziation mit den Propagandamaschinen des Dritten Reichs und des Stalinismus argumentiert Staal für ein Verständnis von Propaganda als „world-making“6. Folgt man Staal, so können auch die Kämpfe und Errungenschaften sozialer Bewegungen adäquater verstanden werden. Diese betreiben nicht bloße Gegenpropaganda, die ein Korrektiv zu dominanten Narrativen anbietet, sondern schaffen selbst Realität. Künstlerische Praxis, wie dies auch an Staals New World Summit deutlich wird, kann in Verbindung mit sozialen Bewegungen und aktivistischen Gruppierungen ästhetische und formale Lösungen für politische und gesellschaftliche Probleme bieten. So legt seine „morphologische“, das heißt formgebende Praxis nicht nur die ideologischen Bedingungen von Exklusionsmechanismen liberaler Demokratien frei, sondern bietet auch aktive Gegenentwürfe. Zentral für Staals Arbeit ist die langjährige Zusammenarbeit mit AktivistInnen, Künstlerorganisationen und sozialen Bewegungen über die Grenzen einzelner Projekte hinweg.
Dies wurde auch in Artist Organisations International, einem performativen Kongress, den Staal 2015 zusammen mit Florian Malzacher und Joanna Warsza im Berliner HAU Hebbel am Ufer abhielt, deutlich. Am Kongress teil nahmen sowohl Künstlerorganisationen als auch EinzelkünstlerInnen mit Werken, die mit der Form der Organisation und der Institution experimentieren. Als teils spekulativ-künstlerische Geste, teils tatsächlich mögliche Dachorganisation einer neuen künstlerischen Internationale, die künstlerische und aktivistische Einzelprojekte und Organisationen vereint, zeigte dieser Vorschlag die Notwendigkeit internationaler Vernetzung künstlerisch-aktivistischer Initiativen auf.
Die deutliche visuelle Handschrift und konzeptuelle Autorschaft Staals wurde auch bei Training for the Future sichtbar. Der Veranstaltungsort, die Bochumer Jahrhunderthalle, war durch halbdurchlässige Vorhänge (schmale Kunststoffbahnen, wie sie auch in lebensmittelherstellenden Betrieben benutzt werden) in drei Bereiche geteilt. Die beiden seitlichen Abschnitte wurden jeweils an den Vor- und Nachmittagen parallel bespielt, während der mittlere, etwas größere Bereich der Versammlung diente. Das Curriculum bestand einerseits aus gemeinsamen Aktivitäten jeweils an den Morgen und Nachmittagen der drei Veranstaltungstage sowie „Debriefs“ vor den gemeinsamen Abendessen. Diese Nachbesprechungen dienten der Rekapitulation und boten die Möglichkeit, im Plenum über das Trainingsformat zu diskutieren. In den individuellen Trainings folgte nach einer Vorstellung und Inputs der TrainerInnen ein praktischer Teil, der vom Erstellen linker, mythopoetischer Memes und Twitter-Nachrichten bis hin zu einem Training von Women on Waves, die Anleitungen zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch gaben, reichte.
Einige Trainings, etwa Inventing the Radical von Not An Alternative, nahmen dabei Staals (neo-)konstruktivistische Trainingsarchitektur als Ausgangspunkt. Mehr noch als der eigentliche Verweis auf den russischen Konstruktivismus oder De Stijl erinnerte das rigide Raster aus weißen und roten Linien, die starr auf dunklem Teppichboden verlaufen, an tatsächliche training grids im Sport. Auf dem Raster waren Holzkonstruktionen mit weißen Feldern und Buchstabenfragmenten platziert; die Objekte konnten gedreht, verschoben und gewendet werden – sie dienten als Tische, Sitzgelegenheiten oder Sockel. Ziel des Trainings von Not An Alternative war es, die visuelle Sprache des Trainingscamps zu analysieren, sie in das umliegende Außengelände zu übersetzen und so die Verbreitung von diskreten Zeichen als Mikroverschwörung in den öffentlichen Raum zu übertragen.
Der Ansatz vieler Beiträge war weniger spekulativ oder diskursiv, sondern auf das Verhältnis vom einzelnen zum kollektiven Körper bezogen. In Choreographies of Togetherness etwa zeigten Public Movement, wie die Bewegungen einzelner Körper in eine gemeinsame Kraft übersetzt werden können. Sie wiesen Teilnehmenden die Rollen von Polizeikräften und Demonstrierenden zu, um sodann Techniken der Separierung und des Widerstands zu erproben. Im Kontrast dazu leitete Redistributing Love, organisiert von der Army of Love, zur Umverteilung von körperlicher Nähe und Liebe an. Heath Bunting von irational.org bot Einblicke in Techniken codierter Kommunikation an – eine Übung, die auf Strategien der analogen Verschlüsselung zurückgreift und dabei jenes Wissens, das in intimen Momenten entsteht, produktiv macht. Dieses Wissen ist kein rein kognitives, sondern ein an emotionale Gehalte geknüpftes.
Training for the Future erscheint insgesamt als Versuch, der primär diskursiven Ebene der Summits eine körperlich-affektive Dimension hinzufügen. Kollektivität und Gemeinschaft sind eben nicht nur sprachlich verfasst oder gründen auf vorgefestigte Positionen, sondern entstehen zuallererst „zwischen“ den Körpern.
Ressourcen des Noch-Nicht
Trainings for the Not-Yet, so der Titel von Jeanne van Heeswijks Ausstellung mit wöchentlichen Trainings bei BAK, basis voor actuele kunst in Utrecht7, benennt zugleich ein Prinzip, das ihrer Praxis der letzten drei Jahrzehnte zugrunde liegt. Van Heeswijk versteht darunter einen relationalen und dialogischen Prozess, der einen Raum für Reibungen eröffnet, ein „field of tension where new senses of belonging are created, and it is also where the communal lies: in working and re-working the territory together in order to understand what it takes to make things grow, to make things connect“8. Für van Heeswijk ist das Noch-Nicht nicht zielgerichtet-linear, es ist kein Telos, sondern ein unbestimmtes Zukünftiges, das in kollektiven Akten entsteht.
Van Heeswijk, die hauptsächlich im öffentlichen Raum bzw. in lokalen Zusammenhängen arbeitet, versteht sich in einer Traditionslinie mit den Diskursen rund um das Recht auf Stadt, die in den späten 1960er-Jahren durch den Soziologen und Philosophen Henri Lefebvre geprägt wurden. David Harvey, der die Stadtsoziologie nach Lefebvre entscheidend beeinflusst hat, zeigt in seinem Buch Rebellische Städte: Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution, dass revolutionäre Bewegungen „oft, wenn nicht immer, eine urbane Dimension annehmen“9. Während dies bei Lefebvre schon implizit angelegt war, habe sich der klassische Marxismus jedoch selten darauf eingelassen, das Urbane als Ort der Revolution zu verstehen. Harvey aktualisiert Lefebvre vor dem Hintergrund neoliberaler (Stadt-)Politik und räumt dabei dem Prekariat einen neuen Platz als revolutionäres Subjekt ein. Vor dem Hintergrund der Stadt der Kreativwirtschaft – der Creative City – rücken insbesondere Ausschlussmechanismen und die damit einhergehende Abwertung von Produktivkräften und Wissensformen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Dies wird etwa im Projekt Freehouse: Radicalizing Local Production (seit 1998) im Afrikaanderwijk, einem von migrantischen EinwohnerInnen geprägten Stadtviertel im Süden Rotterdams, deutlich. Das Afrikaanderwijk ist seit den späten 1990er-Jahren von Gentrifizierungsprozessen und sukzessiver Verdrängung der lokalen Bevölkerung und deren Wissen bedroht. Zusammen mit lokalen AkteurInnen hat van Heeswijk eine Nachbarschaftskooperative, die Afrikaanderwijk Coöperatie gegründet, die bis heute besteht. Van Heeswijks Projekt besteht daran, die spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Wissensformen, die sich der neoliberalen Verwertungslogik entziehen, in eine kooperative Form der Organisation zu bringen. Ihr Einsatz zielt weniger darauf ab, Verteilungs- und Zugangsungleichheiten sichtbar zu machen, sondern aktive Formen der Selbstorganisation, Kooperation und des Commonings – dem Nutzen, Organisieren und Erhalten von Gemeingütern – zu initiieren. Bei BAK wurde dies insbesondere durch ein weit verzweigtes Ausstellungs- und Trainingsprogramm deutlich, das von einer Basic Activist Kitchen und einer Utrecht-bezogenen Gesprächsreihe mit dem Titel The City Staircase bis hin zu einem mehrteiligen Training mit Black Quantum Futurism reichte.
Auch für David Harvey steht der Zugang zu städtischen Ressourcen, die Teilhabe an Entscheidungsprozessen und die Selbstbestimmung jener, die die Stadt bewohnen, im Mittelpunkt. In einem Vortrag im Rahmen von van Heeswijks Trainings stellte Harvey das Kollektiv Urban Front, ein internationales, transdisziplinäres Netzwerk an der Schnittstelle von Forschung, Politik und Gesellschaft, vor. Urban Front kooperiert mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen. Im Fokus des Kollektivs stehen jene Prozesse, die den öffentlichen und städtischen Raum unter dem Einfluss neoliberaler Politik formen. Diese Prozesse sind auch Ausgangspunkte von van Heeswijk, die selbst Teil von Urban Front ist. In ihrer Praxis steht das Commoning im Vordergrund, und so verbirgt sich hinter dem Motto „radicalizing the local“ das gemeinsame Nachdenken und Gestalten von Organisationsformen und städtischen Räumen.
In ihren Trainings, die das Format des Workshops (und das der Ausstellung) zuspitzen und überschreiten, entwerfen Staal und van Heeswijk weniger Utopien einer kommenden Gemeinschaft, die überhaupt erst gedacht werden müsste. Sie beziehen sich vielmehr auf vorhandenes, stilles Wissen von BürgerInnen, AktivistInnen und ForscherInnen. So unterschiedlich die zeitlichen Horizonte und inhaltlichen Setzungen sowie die konträren künstlerischen und ästhetischen Lösungen sind – das Trainieren, das Vorbereiten und die Rhetorik der Dringlichkeit erscheinen bei beiden als selbstreflexive Akte der Verhandlung jener Positionen, die künstlerische Arbeit einnehmen kann. Die Form des Trainings in Staals und van Heeswijks Praxis ist als nicht essentialistische Probe von Gemeinschaft zu verstehen – als Gemeinschaft, die sich weniger in reinen Sprechakten als in den Zwischenräumen und somit auch dem „Zwischen“ der Körper konstituiert.
[1] Als Spin-off von Jeanne van Heeswijks Ausstellung fand eine viertägige Reihe mit dem Titel Deserting from the Culture Wars (13. bis 16. November 2019) statt. Vom Kunsthistoriker und Theoretiker Sven Lütticken konzipiert, war das Training-Symposium zugleich an die Ausstellung und das Langzeitprogramm von BAK Propositions for Non-Fascist Living (seit 2017), angebunden.
[2] Vgl. Florian Malzacher, Putting the Urinal back in the Restroom: The Symbolic and the Direct Power of Art and Activism, in: Truth is Concrete: A Handbook for Artistic Strategies in Real Politics. Hg. v. steirischer herbst und Florian Malzacher. Berlin: Sternberg Press 2014, S. 25.
[3] Vgl. Jonas Staal, Assemblism, in: e-flux journal, Nr. 80, März 2017; https://www.e-flux.com/journal/80/100465/assemblism/.
[4] Michael Hardt/Antonio Negri, Assembly. Die neue demokratische Ordnung. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2018, S. 359.
[5] Judith Butler, Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Berlin: Suhrkamp 2016, S. 105.
[6] Jonas Staal, Propaganda Art in the 21st Century. Cambridge, MA: MIT Press 2019, S. 114.
[7] BAK, basis voor actuele kunst ist zugleich auch eine langjährige Basis für Jonas Staals Projekte, etwa seine New World Academy (2013–17).
[8] Jeanne van Heeswijk, Preparing for the Not-Yet, in: Slow Reader: A Resource for Design Thinking and Practice. Hg. v. Carolyn F. Strauss und Ana Paula Pais. Amsterdam: Valiz und Slow Research Lab 2016, S. 45f.
[9] David Harvey, Rebellische Städte: Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 15.