Heft 3/2020 - Post-Anthropozän


Die Wiederbelebung der Böden

Die Verwandlung von Mensch-Boden-Beziehungen durch Wissenschaft, Kultur und Gemeinschaft

Maria Puig de la Bellacasa


Dieser Essay geht der Frage nach, wie sich die Bande zwischen Mensch und Boden (engl. soil) durch die Veränderung der Vorstellung vom Boden als träge, der Nutzung durch den Menschen unterworfene Materie wandeln. Die Reanimation des Lebens dieser Welten unter unseren Füßen und die Entwicklung eines Gefühls der gemeinsamen Lebendigkeit von Mensch-Boden-Materie steht einer Sichtweise vom anthropozänen Boden entgegen, in der eine weitere objektivierte natürliche Ressource durch das tödliche, auf den Menschen zentrierte, produktionistische Ethos erschöpft wurde. Hier geht es vor allem um zwei sich abzeichnende Motive einer neuen Vorstellung von der Lebendigkeit des Bodens: voneinander abhängiges Leben und Regeneration.

1. Zusammenarbeit und voneinander abhängiges Leben
Der Boden als Medium, das verschiedene Lebensformen verbindet, die für ihren täglichen Lebensunterhalt auf ihn angewiesen sind, stellt ein Motiv ihrer Belebung dar: Das Bodenleben verkörpert die Bodenständigkeit des alltäglichen, voneinander abhängigen Zusammenlebens verschiedener Arten. Sichtbar wird dies in den vielfältigen Formen, in denen der Boden zu einem bestimmenden Faktor alternativer alltäglicher Nahrungspolitik geworden ist. Diese Bewegung durchzieht eine Reihe gemeinschaftsbasierter Anbauinitiativen – im globalen Norden ebenso wie in lokalen Kulturen und agroökologischen Praktiken im globalen Süden, denen es darum geht, die Landwirtschaft zu transformieren, wobei häufig auch wieder eine Verbindung zu indigenen Praktiken hergestellt wird. Hierbei ist bezeichnend, dass eine bessere Kenntnis des Bodens zum zentralen Aspekt des Anbaus gesunder und ethischer Nahrungsmittel geworden ist. Im Rahmen von Bodenpflegeschulungen durch ReferentInnen und BeraterInnen verschiedener alternativer Bewegungen (Permakultur, Biodynamik, Agrarökologie etc.) wird in nicht kommerziellen Anbaugemeinschaften eine Mischung aus wissenschaftsbasierter und praxisorientierter bodenzentrierter Landwirtschaft gefördert. Nicht institutionelle Bodenkompetenz ist heute ein typisches Merkmal von Unternehmungen, deren Anliegen es ist, die Beziehungen zur Nahrungsmittelproduktion zu verändern.
In diesem Kontext wird „vom Bauernhof auf den Tisch“ (from farm to fork) zu „aus dem Boden auf den Tisch“ (from soil to fork). Diese erdige Vorstellung von Nahrung wird sehr gut vermittelt durch das Bild in einer Facebook- und Flyer-Einladung zu einer „Soil Repair“-Präsentation von Dan Kittredge von der Bionutrient Food Association, in der eine Verbesserung der Zusammenhänge zwischen Bodenvitalität, Pflanzenqualität und Nährstoffgehalt von Lebensmitteln propagiert wird.1 Das Bild zeigt einen frischen, bunten Salat, serviert in einer rostigen Schaufel, die direkt auf dem Boden liegt, daneben eine Juteserviette und altmodisches Besteck, ebenfalls sorgfältig auf der braunen Erde arrangiert. Direkt auf dem Boden zu essen, widerspricht der Vorstellung, dass Erde schmutzig ist, gründet den alltäglichen Akt der Nahrungsaufnahme aber zugleich auch in der Erde. Zudem fand diese Veranstaltung auf der Earthworks Urban Farm in Detroit statt, einer Stadt, in der verschiedene Initiativen städtisches Brachland für sich beanspruchen, um Nachbarschaften wiederzubeleben, die von rasantem Niedergang und Vernachlässigung bedroht sind. Im Fall von Vernachlässigungen können Reparaturen ein wesentlicher Teil der Pflege (care) sein.2 Hier geht die Bedeutung der Bodenreparatur über den Boden als Objekt menschlicher Pflege hinaus. Was wird repariert, wenn der Boden repariert wird?
Auf einer Führung über die Farm erläuterte ein Freiwilliger, dass die Böden in Detroit wie zu vermuten stark verseucht seien und die ErzeugerInnen Erde vom Mount-Elliot-Friedhof auf der anderen Straßenseite geholt hätten.3 Die lebenserhaltende Fähigkeit der Böden war innerhalb des sakralen Geländes zum Teil von den Folgen des industriellen Produktionismus verschont geblieben.4 Earthworks besitzt etwas Spirituelles. Die Anfänge liegen bei den Kapuzinermönchen des Klosters St. Bonaventura, die mit dem Gemüseanbau für eine Suppenküche begannen, die während der großen Depression von 1929 eingerichtet wurde und nach dem Motto „Den Körper nähren, den Geist nähren, Gemeinschaften stärken“ arbeitete. Heute ist Earthworks eine zertifizierte, 2,5 Hektar große städtische Anbau- und Community-Building-Einrichtung, die es sich in ihrem Manifest für Ernährungsgerechtigkeit (Food Justice Manifesto) zum Ziel gesetzt hat, „die Ernährungssicherheit (bzw. die Möglichkeit für alle GemeindebewohnerInnen, eine sichere, kulturell akzeptable und ernährungsphysiologisch angemessene Ernährung durch ein Ernährungssystem zu erhalten, das die Selbstversorgung der Gemeinschaft und soziale Gerechtigkeit maximiert) für DetroiterInnen zu verbessern“.
Ungerührt von der sich selbst erfüllenden Prophezeiung vom bodenverschlingenden Menschen und den Erwartungen an das Selbstheilungsversprechen der Natur, das der kontemplativen Bewunderung des Bodenlebens zugrunde liegt, findet sich hier eine Alltäglichkeit, über die Menschen und Nichtmenschen immer intensiver in das intime Geflecht ökologischer Pflege eingebunden sind. Dabei handelt es sich tatsächlich um Pflege als materielles Tun der alltäglichen Instandhaltung und Reparatur. Die Entscheidung, über die Earthworks-Farm zu sprechen, einer von vielen Initiativen zum Nahrungsmittelanbau, die sich auch mit der „Bodenreparatur“ befassen, ist durchaus bewusst. Earthworks verkörpert die Verbindung zwischen ökologischer Zerstörung und sozialer Ungerechtigkeit – für die Schwarzen Viertel im Zentrum von Detroit – mit einer Arbeit, in der es um das Streben nach öko-sozialer Gerechtigkeit geht. Sie deutet aber auch auf eine Vorstellung von Gerechtigkeit in einer aus verschiedenen Arten bestehenden Gemeinschaft hin, die die Pflege und Wiederherstellung der Erde zu einem wesentlichen Aspekt der Pflege und Wiederherstellung der Menschen macht. Den Boden in den Mittelpunkt dieser Art von gemeinnütziger Arbeit zu stellen, deutet auf eine mehr als bloß menschliche ethisch-politische Vision unserer verwickelten gegenseitigen Abhängigkeit hin: Wenn Böden lebendig sind, sind die Menschen umso lebendiger.
Die Geschichten von alltäglicher Pflege inmitten des epischen Niedergangs und der Vernachlässigung der Erde müssen erzählt werden. Um, wie Nicholas Beuret argumentiert, aus der politischen und affektiven Sackgasse des „öko-katastrophalen Imaginären“5 herauszukommen, um auf die Katastrophe nicht als Ereignis in der Zukunft zu reagieren – und so radikale Arbeit auf ein verheerendes Nachher zu verschieben –, sondern, wie es bereits geschieht, durch die Konfrontation mit den unzähligen aktuellen „langsamen Gewalttaten“6. Eine Betrachtung der Art und Weise, wie Gemeinschaften mit Umweltzerstörung umgehen, begünstigt die Betrachtung alltäglicher Formen der „Hoffnung ohne Zukunft“7. Eine nicht episch angelegte Radikalität betrachtet Lebendigkeit als alltägliches Wiederaufleben aus der Verwüstung und ist in den Grundlagen der Subsistenz verwurzelt, identifiziert sich aber nicht mit dem „nackten“ Überleben. Earthworks und eine Reihe ähnlicher Gemeinschaftsgärten und -farmen8 geht es darum, die Bedeutung, was gutes und gerechtes Leben und Gedeihen ist, zu verändern, neue Bedeutungen eines für alle zugänglichen Überflusses zu schaffen, den Netzwerken der Verknappung und der monokulturellen Produktion einheitlicher Lebensmittel für alle zu entgehen. Extraktionismus und Produktionismus gibt es nach wie vor, überall herrscht Katastrophe, aber ihre Kolonisierung aller Beziehungen wird durch die Kreativität der Pflege gestört, die der Zusammenarbeit mit den Böden als einer Gemeinschaft vielfältiger Arten Platz macht.
Ein besonderer Ansatz, was die Lebendigkeit des Bodens betrifft, ist eingebettet in die Vermittlung von bodenzentriertem Wissen zur Pflege und Reparatur, ein Thema, das den zeitgenössischen Wandel der Beziehungen zum lebendigen Boden durchzieht und Ausdruck findet in einer Praxis der „Zusammenarbeit mit“. So lautet das Motto zweier Gärtner, die ein Buch für ErzeugerInnen geschrieben haben, das direkt auf der Popularisierung des Foodweb-Bodenkonzepts der Wissenschaftlerin und Aktivistin Elaine Ingham beruht.9 Dabei geht es vor allem um die „Zusammenarbeit“ mit Mikroben und anderen Bodenbiota, die in intimen materiellen Beziehungen des Sich-voneinander-Ernährens involviert sind. Im Mittelpunkt der Bodenpflege nach dem Foodweb-Konzept steht beispielsweise, dem Boden das zurückzugeben, was wir ihm entnehmen – durch die Rückführung organischer Abfälle in Form von Kompostierung, die Rückführung vermeintlich „toter“ Materialien in lebendige stoffliche Prozesse. Die öko-ethische Voraussetzung dafür ist, dass Menschen nicht nur BodenkonsumentInnen sind, sondern auch BodenproduzentInnen werden.10
Germain Meulemans hat gezeigt, wie Praktiken der Bodenbildung in Wissenschaft und Gesellschaft die Unterscheidung zwischen Anbau und Produktion verwischen, da die Pedogenese – das wissenschaftliche Konzept der Bodenbildung – kein rein menschliches Unterfangen mehr ist.11 Wir können auch sagen, dass der Produktionismus hier durch eine Praxis des mehr-als-menschlichen, gemeinsamen Schaffens/Erschaffens aufgebrochen wird.12 Das ist öko-soziale Reproduktion. Öko-Poiesis durch ein mehr-als-menschliches Kollektiv, das die alltägliche Lebendigkeit erhält. Wenn der Mensch an der fortwährenden Schaffung des Lebensraums Boden beteiligt ist, indem er ihn nicht nur verbraucht oder nutzt, macht Extraktion Platz für Re-Generierung. Dabei geht es nicht nur darum, dass Böden Leben sind, um das wir uns kümmern müssen, sondern auch, dass wir dieses Leben sind. Wenn wir Menschen Böden gut behandeln, sorgen wir für Gerechtigkeit (für uns). Böden werden in diesen verwobenen Interdependenzen lebendig, aber auch der Mensch wird durch andere ökologische Bande belebt und vom Bodenverzehrer zum Bodenproduzenten. Ökologisches Handeln ist dezentrales Handeln. Diese Appelle an die „Zusammenarbeit mit dem Leben“ untergraben die Sichtweise von menschlichem Leben als tödlicher Kraft, nicht durch einen guten „Anthropos“, sondern durch seine dezentrale Positionierung in den vielgestaltigen Wechselbeziehungen einer mehr-als-menschlichen Gemeinschaft.
Diese Praktiken stellen etwas wieder her, das über das Erkennen des Lebens im Boden hinausgeht. Der Philosoph Paul B. Thompson behauptet, dass „die moderne agronomische Sicht des Bodens“ eine Betrachtungsweise der „Elemente des Lebens“ ermöglichte, nach der der Boden, „als Materie betrachtet, … tot, leblos ist“. Doch die Betrachtung des Bodens als lebendig, „in Gestalt von Mikroorganismen, die die lebenserneuernden Eigenschaften ausüben, die lange Zeit mit fruchtbaren Böden verbunden waren“, reichte nicht aus, um die Bedeutung des Bodens beim „Anbauen von Nahrung und deren Verzehr als Akt der Gemeinschaft mit einem größeren Ganzen“ vollständig wiederherzustellen.13 Hierbei geht es auch um eine „materielle Spiritualität“.14 Das „größere Ganze“ ist eine mehr-als-menschliche Gemeinschaft wechselseitiger materieller Abhängigkeit, die nicht nur über die fälschlicherweise als „materialistisch“ bezeichnete Reduzierung von Böden auf nutzbare Ressourcen und die Konzeptualisierung seines Lebens auf mechanistische Prozesse hinausgeht, sondern auch über die speziezistische Kontrolle durch eine menschliche Ordnung. Die „Gemeinschaft“ – nach dem Konzept mehr-als-menschlicher „ökologischer Commoning“-Praktiken,15 die die Commons ausmachen und erhalten16 – besteht in den alltäglichen, häuslichen und profanen Taten der Regenerierung von gemeinsamem, nicht allein menschlichem Reichtum durch die wechselseitige Verwandlung in die Substanz des jeweils anderen und das Führen eines Lebens, das unseren Geist beflügelt. Belebende Begegnungen mit dem Boden fördern eine bessere Kenntnis des lebendigen Bodens und das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit durch auf Erfahrung beruhende Intimität und Freude. Sie machen jene, die mit Böden Kontakt aufnehmen, nicht nur empfänglich dafür, Böden in ihr Denken einzubinden, sondern auch dafür, sich berühren zu lassen und diesen Kontakt vielleicht sogar als Erfahrung eines gemeinsamen materiellen Schicksals zu verstehen.

2. Regeneration – das Leben nach dem Tod als Formwandel
Gemeinsam geteilte Materie ist ein weiteres Motiv der Bodenlebendigkeit in der Bewegung für transformative Mensch-Boden-Beziehungen. Hier besitzt die Lebendigkeit des Bodens eine formwandelnde Kraft, die auf dessen angestammter kultureller Bedeutung als Ort und Wirkkraft der endlosen zyklischen Beschwörungsformel des Erdenlebens gründet: „Leben ist Tod ist Leben ist Leben ist Tod ist …“, wie Natasha Myers es formuliert.17 Lebendiger Verfall hat eine immanente ethische Bedeutung.18 Diese Vision des Todes, die in scharfem Kontrast steht zu den Geschichten von der Auslöschung des Planeten, ist über die profanen Visionen von Böden als Regeneratoren an das Leben geknüpft. Es ist dies eine klassische Bedeutung von Boden, die es schon immer gab. Boden als der große Verwerter von Materie, als großer Verdauungsapparat, als Darm von Mutter Erde, der Überreste in Nahrung verwandelt und Wiedergeburt möglich macht. Was also hat dies zu bedeuten, in Zeiten, in denen die Böden immer ärmer, kränker und erschöpfter werden – ihr Status als mächtige Erinnerung an die Möglichkeiten der Wiedergeburt? Wie wird diese Bedeutung neu beansprucht inmitten kultureller Räume, die scheinbar von einer fälschlicherweise „materialistisch“ genannten modernen wissenschaftlichen Tradition beherrscht werden, die sie zum Verstummen gebracht hat? Aber hatte sie das wirklich?
Der Boden bleibt ein Ort, den man sich mit infra-natürlichen Geistern, der „materiellen Spiritualität“ eines lebendigen Todes bevölkert vorstellen kann. William Bryant Logan schreibt in seiner klassischen Bodenelegie Dirt: The Ecstatic Skin of the Earth: „Die Erde der Gräber ist die transformierende Kraft“.19 Seine Äußerungen intensivieren das öko-poetische Register, wenn er mit wissenschaftlicher Präzision die Einleitung des Zerfallsprozesses von Körpern als eine lebendige Zusammenarbeit zwischen Körpern und Böden beschreibt: Mit einem Zitat von Francis Bacon sagt er uns, dass „die Verwesung das Werk des Geistes der Körper ist“20, dass dieselben Enzyme, die unseren Stoffwechsel regulieren, „selbstzerstörerisch“ werden, wenn wir sterben21, und die Rückverwandlung unserer Materie in Dreck einleiten. Die „visuellen Ökologin“ Aviva Reed greift diese Bedeutung in der partizipative Performance Soil Biome Immersion22 auf, die von Narrativen der wissenschaftlichen Ökologie inspiriert ist und Sound, visuelle Darstellungen und taktile Erfahrungen beinhaltet. Ihr Anliegen ist es, die „ökologische Ontologie“ von Mensch und Boden als Materie zu offenbaren, die Nährstoffe in der Zeit durch den Planeten zirkulieren lässt und „alle Organismen durch die Überreste ihrer Vorfahren miteinander verbindet“. Diese Sympathiebekundung für gemeinsame mehr-als-menschliche Materie, die durch biogeochemische Prozesse, welche zusammengesetzte Materie wieder zu elementarer Materie machen, zum ökologischen Commons wird, widerspricht der Individuation der anthropozänen Erde als „unsere eigene Schöpfung“.
Eine Trope materiell-spiritueller Zugehörigkeit zu den biogeochemischen Prozessen der Erde wird auch von Ana Mendietas performativer Silueta Series betont, in der Körper in Gestalt weiblicher Körperformen, eingeschrieben in nassen Sand, Schlamm und Gras, an die Erde zurückgegeben werden. Diese Performances werden in Bildern festgehalten, wenn die Silhouetten langsam verwässern, sich auflösen, verbrennen oder wieder zu Leben werden: wie in der einen Aufnahme, in dem Mendietas nackter Körper eine Leiche darstellt, die auf dem Boden einer Grabgrube liegt (ein Grab aus vorspanischer Zeit), aus dem wiederum eine üppige Blumenpracht hervorwächst.23 Ritualisierte Begegnungen, die die Künstlerin mit ihrem eigenen Körper erzeugt, werden zu vergänglichen materiellen Co-Transformationen. Mendieta bezeichnete ihre Kunst bekanntlich als „auf dem Glauben an eine universelle Energie gründend, die alles durchzieht; vom Insekt zum Menschen, vom Menschen zum Gespenst, vom Gespenst zur Pflanze, von der Pflanze zur Galaxie“24. „Dieselbe“ Materie – ihre Form wandelnd durch Wiedergeburt und Wiederauferstehung durch elementare Rezirkulation.
Auch die Lektüre dieses Werks als Bodenkunst25 sieht in der Rückkehr in den Boden nach dem Tod eine Regenerierung. Zwischen ausgelöschten Böden – vom Menschen beherrscht – und Böden als natürlichen Erneuerern – regenerative Natur als Heilsversprechen – eröffnet sich so ein Ort für Mensch-Boden-Beziehungen, die eine Lebendigkeit bescheidenerer, wenn auch unbestimmter Art erzeugen. Menschen können gerettet werden, aber nicht ohne Formwandel wieder auferstehen. Geschichten, die den Boden als Ort der Wiederauferstehung spiritualisieren, fordern dazu auf, die Identitätsgrenzen des Anthropos zugunsten einer Erfahrung kosmischer Intimität aufzugeben. Hier wird die voneinander abhängige Lebendigkeit zwischen Mensch und Boden substanziell, zur ontologischen Schuld, knüpft aber auch an alltägliche materiell-ethische Verpflichtungen an, die zuvor schon genannt wurden: (unsere) Materie an den Boden zurückzugeben, uns selbst als profane Instanz der Öko-Poiesis, des Schaffens/Erschaffens von Lebendigkeit zu kompostieren. Häusliche Alltagshandlungen werden so zu einer kosmischen Performance.
Welche andere Metapher als die des Kompostierens wäre besser geeignet für Geschichten, die Zerstörung und Angst vor Verfall in ein Gefühl irdischer Wiedergeburt verwandeln? Donna Haraway hat die Heilgemeinschaften, die sie sich am Ende unser Gegenwart und 500 Jahre danach vorstellt, „Kinder der Kompostisten“ genannt: Sie lassen sich in verwüsteten Landschaften nieder, um „sympoietische“, mehr-als-menschliche, sich regenerierende Beziehungen zu schaffen, in denen metamorphe Transformationen eine Erfahrung alltäglicher Mitgestaltung zwischen Menschen und Nichtmenschen darstellen.26 In ihrem Film Shape-Shifting führen uns Elke Marhöfer und Mikhail Lylov in Prozesse ein, durch die Menschen und Landschaften gemeinsam eine neue Gestalt annehmen. In der Begleitpublikation spricht Anna Tsing von „Wiederauferstehung“, um auf nicht menschliche Lebenskräfte (des Walds) zu verweisen, die der Vernichtung zum Trotz nachwachsen.27 Wiederauferstehung: wieder lebendig werden. Was wiederum auf Earthworks in Detroit zurückverweist, wo die Wiederauferstehung ein täglicher Kampf ist. Auch hier bieten die Geschichten von der weltlichen Wiedergeburt dem Menschen, dem Zerstörer der Welten, ein Gegenmittel gegen die tödliche Minimierung und Quasiaufgabe der menschlichen Einbindung in mehr-als-menschliche Welten. Sie verlangen nach einem Menschen, der nicht nur gut lebt, sondern auch lernt, gut zu sterben.
Neuinterpretationen der Lebendigkeit, nach denen Leben Tod ist Leben ist Tod …, tragen in bescheidenem Maße zu diesen Geschichten bei, indem sie ein relationales Verhältnis zur Lebendigkeit der nicht nur aus Mensch und Boden bestehenden Gemeinschaft liefern: Sie ist nicht „im“ Boden – weder in den Menschen, noch in den Pflanzen, noch in den anderen Lebewesen, die von ihm leben. Kristina Lyons, Anthropologin für Mensch-Boden-Beziehungen, hat dies sehr schön formuliert und fordert uns auf, Zersetzung als Lebenspolitik zu denken, und zwar anhand der irreduziblen Bodenvorstellung der amazonischen Bauern und Bäuerinnen, mit denen sie arbeitet: „Transformative Potenzialität ist kein menschliches Privileg, sondern vielmehr eine relationale Angelegenheit, die auf die Verbindungen und die Arbeit zwischen den Menschen sowie anderen Arten von Wesen und Dingen verteilt ist.“28 Denkt man mit Böden, gerät auch die Idee der Lebendigkeit in Bewegung, wechselt, zirkuliert und offenbart ein gemeinsames, verwobenes Schicksal, das die ontologischen Grenzen zwischen Mensch und Boden verwischt.

3. Coda: ánimo!
„In gewisser Weise sind wir einzigartige, feuchte Pakete aus belebter Erde.“ Dies sind die bestechenden Worte von Francis D. Hole, einem Professor für Bodenkunde, der dafür bekannt ist, die Liebe zum Boden zu verbreiten und das Bewusstsein für dessen lebenswichtige Bedeutung für die Menschheit zu fördern. Bekannt ist er auch für seine eigenwillige Bodenpädagogik, die sich in sinnlichen Praktiken äußert, bei denen Studierende barfuß auf dem Boden spazieren oder er Vorträge hält und zu den Freuden der „Bodenbeobachtung“ einlädt, während er Geige spielt.29 Seine Worte erinnern an traditionelle Schöpfungsgeschichten: Menschen, die aus Schlamm, Lehm, Erdmaterie hervorgehen. Die Ansicht, dass der Mensch aus Erde gemacht ist, macht die Menschen zu einer Art innerhalb einer umfassenderen materiellen Gattung. Dennoch tritt die Menschheit in der Geschichte oft als einzigartig belebte Art auf, die von Gott/Göttern/Göttinnen auserwählt wurde, zu „einzigartigen“ feuchten Paketen zu werden, die das Reich der unbelebten Materie verlassen, indem sie mit „Seele“ (animus: Atem, Luft, Geist) erfüllt werden.
Mich interessiert, wie Debatten über den Animismus aus der Lebendigkeit einen historisch, ethisch und politisch aufgeladenen Begriff machen.30 Dies sind Vermächtnisse, die die gegenwärtigen Bodenreanimationen erschließen könnten, indem sie die metamorphe Transformation der Kommunikation mit dem Boden nicht nur durch eine Neuzuschreibung von Anima zur Materie, sondern als ethisch-politisch aufgeladene Antworten auf zerstörerische ökosoziale Beziehungen aufgreifen. Erstens stellen sie Kontexte infrage, in denen die Beziehungen zu natürlichen Ressourcen überwiegend auf Extraktivismus, Industrialismus und Konsumismus beruhen und in denen die Vorstellung, die Entitäten der biophysikalischen Welt könnten einen Geist, eine anima haben, angeblich ausgerottet wurde. Zweitens kann das Wiedereinbringen des Geists in den Boden in der Mensch-Boden-Kommunikation als Mysterium einer neu gedachten, mehr-als-menschlichen Lebenskraft gelesen werden, weil sie in relationalen Verstrickungen entsteht, in denen kein einzelnes Element „den Schlüssel“ darstellt. Ein Mysterium dessen, wozu eine Gemeinschaft fähig sein könnte, eine vitale Kraft, die zutiefst ethisch-politisch ist.31
Der rote Faden, der diesen Text durchzieht, ist der anthropozäne Hintergrund einer entmutigten Menschheit, die fassungslos ist angesichts ihrer eigenen Tödlichkeit. Auf Spanisch, meiner Muttersprache, sagen wir, wenn es jemandem nicht gut geht, wenn er das Gefühl hat, er könne nicht mehr weitermachen, „Animo!“, als Wort der Ermutigung oder Aufmunterung. Anthropozäne, müde und erschöpfte Böden brauchen Ermutigung, aber, so würde ich sagen, auch die Menschen, die sich bemühen, für sie zu sorgen. Auch wenn es sich um eine Projektion von Empathie handeln könnte, bin ich der Ansicht, dass die (Wieder-)Belebung der Beziehungen zwischen Mensch und Boden auch im Sinne einer Be-Geisterung erfolgt. Von den Verlockungen wunderbarer biologischer Bodenwelten und ihrem großartigen Gewimmel bis hin zur verkörperten Hoffnung öko-poetischer alltäglicher Bodenpflege und freudig-sinnlicher Nähe im Versprechen eines kompostierten Nachlebens zeugen diese Geschichten von Freude, Hoffnung – und davon, dass es andere mögliche Versionen des Menschen geben könnte als den Weltzerstörer.

Die ungekürzte Originalfassung dieses Essays ist erschienen in: The Sociological Review Monographs 2019, Vol. 67(2), S. 391–407. © Maria Puig de la Bellacasa 2019. Abdruck mit Genehmigung von SAGE Publications Ltd.

 

Übersetzt von Anja Schulte

 

[1] https://www.facebook.com/events/184251545330901 – eine gemeinsam von den AktivistInnen und PermakulturverfechterInnen Claire Maitre, Bridget O’Brien und Cliff Scholz organisierte Veranstaltung.
[2] Siehe Steven J. Jackson, Rethinking Repair, in: T. Gillespie/P. Boczkowski/K. Foot (Hg.), Media Technologies: Essays on Communication, Materiality and Society. Cambridge 2014.
[3] Ich danke Dimitris Papadopoulos, dass er mich auf diese Earthworks-Geschichte zur Bodensanierung auf Friedhöfen aufmerksam gemacht hat.
[4] Dies gilt nur zum Teil, denn bekannterweise können Friedhofsgelände extrem verseucht sein durch Chemikalien in nicht biologisch abbaubaren Särgen, Formaldehyd und andere Chemikalien, die zur Einbalsamierung verwendet werden.
[5] Vgl. Nicholas Beuret, Organizing against the end of the world: the praxis of ecological catastrophe, unveröffentlichte Doktorarbeit, University of Leicester 2015.
[6] Vgl. Rob Nixon, Slow Violence and the Environmentalism of the Poor. Cambridge 2011.
[7] Vgl. Patrick Bresnihan, Hope without a future in Octavia Butler’s Parable of the Sower, in: L. Dawney/C. Blencowe/P. Bresnihan (Hg.), Problems of Hope. Lewes 2017, S. 39–48.
[8] Naomi Millner, „The right to food is nature too“: food justice and everyday environmental expertise in the Salvadoran permaculture movement, in: Local Economy, 22, 2014, S. 764–783.
[9] Jeff Lowenfels/Wayne Lewis, Teaming with microbes: a gardener's guide to the soil food web. Portland 2006.
[10] Starhawk, The Earth Path: Grounding your spirit in the rhythms of nature. San Francisco 2004.
[11] Germain Meulemans, The Lure of Pedogenesis. An Anthropological Foray into Making of Urban Soils in Contemporary France. Aberdeen 2017.
[12] Dimitris Papadopoulos, Experimental Practice. Technoscience, Alterontologies and More Than Social Movements. Durham 2018.
[13] Vgl. Paul B. Thompson, The Spirit of the Soil Agriculture and Environmental Ethics. London/New York 1995, S. 18–19.
[14] Vgl. Maria Puig de la Bellacasa, Ecological thinking, material spirituality, and the poetics of infrastructure, in: G. Bowker/S. Timmermans/A. E. Clarke/E. Balka (Hg.), Boundary Objects and Beyond: Working with Leigh Star. Massachusetts 2015, S. 13–46.
[15] Vgl. Papadopoulos, Experimental Practice.
[16] Peter Linebaugh, The Magna Carta Manifesto. Berkeley 2008.
[17[ Vgl. N. Myers, Life is death is life is death is …, in: S. Helmreich/N. Myers/M. Rossi/S. Roosth (Hg.), What is Life: An Exquisite Cadaver, undatiertes, unveröffentlichtes Manuskript.
[18[ Mark Jackson, Plastic islands and processual grounds: ethics, ontology, and the matter of decay, in: cultural geographies, 20(2), 2012, S. 205–224.
[19[ Vgl. William Bryant Logan, Dirt: The Ecstatic Skin of the Earth. New York 1995, S. 57.
[20[ Vgl. ebd., S. 54.
[21[ Vgl. ebd., S. 56.
[22[ Siehe http://www.avivareed.com/soil-biome-immersion/.
[23[ Siehe https://mcachicago.org/Collection/Items/1973/Ana-Mendieta-Untitled-From-The-Silueta-Series-1973-77-7.
[24] Ana Mendieta, A Selection of Statements and Notes, in: Sulfur, Vol. 22, 1988, S. 70–74.
[25] Vgl. Clive Adams/Bruce Lascelles/Daro Montag (Hg.), SoilCulture. Bringing the Arts down to Earth. Devon 2015.
[26] Donna Haraway, Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Übersetzt von Karin Harrasser. Frankfurt am Main 2018.
[27] Vgl. Anna Tsing in: Elke Marhöfer/Mikhail Lylov, Shape Shifting, Berlin 2016, S. 41.
[28] Vgl. Kristina Lyons, Decomposition as Life Politics: Soils, Selva, and Small Farmers under the Gun of the U.S.–Colombia War on Drugs, in: Cultural Anthropology, 31(1), 2016, S. 56–81.
[29] Vgl. Francis D. Hole, The Pleasures of Soil Watching, in: Orion Nature Quarterly, Frühjahr 1988, S. 6–11.
[30] Mel Y. Chen, Animacies. Biopolitics, Racial Mattering and Queer Affect, Durham/London 2012, und Isabelle Stengers, Reclaiming Animism, in: e-flux, 36, Juli 2012, https://www.e-flux.com/journal/36/61245/reclaiming-animism/.
[31] Maria Puig de la Bellacasa, Ecological thinking, material spirituality, and the poetics of infrastructure, in: G. Bowker/S. Timmermans/A. E. Clarke/E. Balka (Hg.), Boundary Objects and Beyond: Working with Leigh Star. Massachusetts 2015, S. 13–46.