Heft 3/2020 - Lektüre
Der launige Titel geht von Philip K. Dicks Science-Fiction-Genre aus. Darunter holt der Historiker Timothy Snyder, eine Bestseller-Edelfeder der Yale University, den Imitationstest des britischen Mathematikers und Logikers Alan Turing Kann eine Maschine denken? (1950) essayistisch in den Blick. Ins Deutsche übersetzt erschien er 1967 (Kursbuch Nr. 8, Neue Mathematik). Mit drei Akteuren A, B, C in zwei Räumen war Turings Experiment so angelegt, dass der Frager C, ein Mensch, der sich in einem Raum befand, wie auch ein Mann A und eine Frau B nur Einblick in den je eigenen Raum hatten. Wer von beiden Mann oder Frau ist, weiß C nicht. Zwischen den Wänden können zwar Notizen getauscht werden, doch fehlt jeder sensorische Kontakt. Der Mann wird künftig durch ein Computerprogramm ersetzt.
Was Snyder dazu sagt, steht Gendertheorien fern. Er sieht A, B, C als variable Akteure. C hat, wie ein Android, keinen Leib. Das ist den zwei anderen, weil sie ihre Leiblichkeit leugnen und damit tricksen, egal. In Snyders Parabel braucht C als Imagination eines Supergeists eine andere Programmierung. Wegen des Gebots humanistischer Werte soll für alle verschwinden, was als angelsächsische kognitive Tradition, als Utilitarismus- und Behaviorismus-Zwang einprogrammiert ist. Gemäß dem Psychiater Frantz Fanon, dass „Menschen zu einer Maschine machen zu wollen […] Niedertracht ist“ (1953), eilt der Essay flink zum Gegenwartsstress durch die Manipulationen russischer Troll-Fabriken bei der US-Wahl 2016 zum Nutzen von Präsident Trump.
Unstrittige Daten und Fakten zu den millionenfachen Falschbehauptungen, darunter Lügen, üble sexistische und rassistische Hassreden in Social-Media-Kanälen werden von Snyder erwähnt. Argumentative Gegenthesen bleiben hingegen oft dahinter zurück. Einige Male beklagt der Essay generell den Niedergang des IQ und der Lebenserwartung (für Männer) in den USA. Die angedeutete Abstiegsökonomie und die Psychologie dahinter werden nicht schlüssig geklärt. Weil die vertraute Lokalpresse zerschlagen worden war, war das Wahlvolk verpeilt und, so Snyder, für Cyber-Fakes disponiert. Doch die marktbeherrschenden Steuerungsmedien – virale Macht, Geld und Algorithmen – heizten den Fake-Konsum in der politischen Massenkommunikation an.
Sind die ausgezehrte Demokratie, Anonymisierung und der geleugnete Klimawandel also größtenteils Untaten russischer Schurken? Richtig ist, dass Bots „Schwächen“ in den USA ausnutzten. Aber ist nicht auch Bad Governance kritisierbar? Letztlich grassiert nicht erst aufgrund der Tech-Giganten White-Supremacy-Rassismus. Nicht kritisch einbezogen wird, dass die Polarisierung durch das schreiende Unrecht bei der Vermögensverteilung, durch fehlende Sozial- und Bildungsrechte schon mit Präsident Reagans „Reaganomics“ seit 1981 zulasten ärmerer Schichten ihren Lauf nahm. So beißt Snyders Plot nicht unbedingt in die Frucht der Erkenntnis: „So wie ein lädierter Apfel Fliegen anlockt, zieht menschlicher Leichtsinn Algorithmen an.“
Der britische Wirtschaftshistoriker und Keynesianismus-Forscher1 Robert Skidelsky meint, dass Menschen selbst geschaffenen Instrumenten „in die Falle gehen“. Die Menschheit wird das Ziel der KI, Unvollkommenheit zu überwinden, „hoffentlich nie erreichen“. Der Autor wünscht eine „Kehrtwende“. Er zitiert Worte des Computers „Adam“ aus Maschinen wie ich (Ian McEwan, Zürich 2019). Dieser weiß, dass, wenn er zerschmettert ist, er als Kopie in der Welt bleibt. Den Menschen sendet er eine Botschaft über die „Trauer, die kommt. Sie wird kommen. Mit Verbesserungen im Laufe der Zeit […] Wir werden euch übertreffen […] und überdauern […] auch wenn wir euch lieben. Glaubt mir, in diesen Zeilen klingt kein Triumph an […] Nur Bedauern.“ Der Computer weiß, er wird grundoptimiert, um zum neuen Modell zu werden.
Skidelsky mahnt zur Vorsicht, da es wegen der Überlegenheits- und Fortschrittsnarrative zu gefährlich wurde, Automatisierung „dem Markt“ zu überlassen. Die Sinnleere der Wettläufe von Mensch und Maschinen um sich potenzierende, globale Wettbewerbsvorteile müsse verringert werden, vielmehr sollte eine Ethik der Freizeit in neue Planungen einbezogen werden. Im Komposit aus vier voneinander unabhängigen Essays notiert er einen Abriss der Arbeitsrechtkämpfe gegen den Manchester-Kapitalismus (19. Jahrhundert). Schließlich widmet sich das Buch ausführlich den forcierten Rosskuren der neoliberalen Globalisierung ab 1980. Tarifvertraglich gestützt im Vereinigten Königreich (England, Schottland, Irland) sind nur noch 16 Prozent der Arbeitenden. Der Umfang der Schwächung von Gewerkschaften und Arbeitsrechten wird differenziert aufgelistet: Globale Unternehmen sind heute in ausgelagerte, undurchschaubare Subfirmen zerklüftet, wobei in sich anfeuernden Wettkämpfen Rivalitäten durch Arbeitsmanagements, Ausweitungen der Geschäftszeiten und Lohndruck weltweit Fahrt aufnahmen. Außertarifliche Arbeitszeiten wurden immer mehr flexibilisiert, um Nachfragen nach attraktiven Waren zu genügen. Seit der riskanten Rezession von 2008/09 kam es verstärkt zu Tendenzen von Austeritätspolitiken. Mehr und mehr wurde daraufhin an Gesundheits- und Sozialleistungen gespart.
Dem hält der Autor entgegen, dass heute überwältigend viele ArbeitnehmerInnen mehrheitlich für kürzere Arbeitszeiten wären, wenn sie die Wahl hätten. Er empfiehlt für den Kurswechsel staatliche Eingriffe in das Laisser-faire der Märkte: Abbau der Ängste vor Arbeitsplatzverlust aufgrund von Automatisierung, Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnverlust, kein ewiges Konsumwachstum mehr, CO2-Senkung, deutliche Schwächung der Einkommensunterschiede, neue Sozialpartnerschaftsforen u.v.m.
1 Benannt nach John Maynard Keynes’ (1883–1946) Theorie, die Märkte nicht der Selbstregulierung zu überlassen.