Heft 3/2020 - Netzteil
Die enge Beziehung zwischen Mensch und Technik hat in Lockdown-Zeiten weiter an Relevanz gewonnen. Zahlreiche KünstlerInnen widmen sich in ihren Arbeiten diesem Naheverhältnis und greifen dabei nicht selten auf Ideen und Konzepte zurück, die von zwei Gruppen bekannter TechnoutopistInnen verbreitet werden. Es sind dies die TranshumanistInnen und die technologischen PosthumanistInnen, deren Ideen oft in den Bereich der Science-Fiction abgleiten. Während die TranshumanistInnen danach streben, den Körper mittels Technologie zu optimieren, wollen die technologischen PosthumanistInnen den biologischen Menschen an sich überwinden. VertreterInnen beider Richtungen suchen in der virtuellen Welt nach Unsterblichkeit.1
Eine Künstlerin, die die Konzepte beider Gruppierungen aufgreift und instinktiv hinterfragt, ist die junge Dänin Stine Deja.2 Deja verleiht ihren Ideen in immersiven Installationen, 3D-Bildern und Videoarbeiten Ausdruck, die als Reaktionen auf eine immer komplexer werdende Welt verstanden werden können. Eine Welt, in der der menschliche/tierische Körper zusehends in Bedrängnis gerät – bedroht durch ein Klima, das vielleicht bald kein Leben mehr unterstützt, und ein unsichtbares Virus, das sich in der verzweifelten Suche einzelner Länder nach Schutzkleidung manifestiert.
In Dejas Arbeiten wird der virtuelle Raum zum Rückzugsort, in den sich der erschöpfte Geist und der bedrohte Körper flüchten – ganz wie es von den Trans- und PosthumanistInnen imaginiert wird. Entgegen deren allzu utopischen Vorstellungen werfen Dejas Arbeiten jedoch Fragen zu den zentralen Konzepten beider Strömungen auf: den naiven Glauben an endlosen technologischen Fortschritt, eine tief greifende Abneigung gegen den menschlichen Körper, die Definition des Menschen als Maschine und dementsprechend die Gleichsetzung von menschlicher Intelligenz mit maschineller Rechenleistung und Speicherkapazität. Da die Trans- und PosthumanistInnen allzu oft die Folgen des technologischen Fortschritts ignorieren und sich stattdessen etwa auf die Imagination einer artifiziellen Superintelligenz konzentrieren, ist eine kritische Infragestellung ihrer Thesen stets von Relevanz.
Stine Dejas Videoarbeit Hard Core, Soft Bodies (2018) erinnert an den trans- und posthumanistischen Wunsch, den Körper zu überwinden und in eine höhere Daseinsform in der virtuellen Welt zu transzendieren. Dabei werden Dejas absurd-komische Assemblagen von Körperteilen und Prothesen zu Sinnbildern der angestrebten digitalen Körperlichkeit. Ist es das, was übrig bleibt, wenn wir ins virtuelle Dasein eintreten – ein kopfloses Rückgrat, das auf einer Lunge balanciert, und Eingeweide, die auf einer Laufprothese umherspringen?
In den Videoarbeiten Cyphoria (2015) und 4K Zen (2017) wird Cyberspace – jener Ort, der seit der Entstehung des Internets als vermeintliche Utopie betrachtet wird – zum Rückzugsort und Raum für Selbstfindung und -erfüllung. Dabei imaginiert Deja den Cyberspace als Urlaubsdestination, durch den uns die beruhigende Stimme einer digitalen Stewardess leitet. Der virtuelle Raum konstituiert sich aus Szenen von The Sims, einem Videospiel, das uns erlaubt, Wohnträume zu erfüllen, die wir uns sonst nicht leisten könnten3. In 4K Zen treten wir über eine umfunktionierte Kappe in die virtuelle Welt ein, wo wir uns mithilfe digitaler Meditation in einer „fiktionalen besseren Welt“ wiederfinden. Ganz wie es der Eskapismus der Trans- und PosthumanistInnen vorsieht, der in der Vorstellung des „mind-uploading“ kulminiert. Als Idee, die ursprünglich der Science-Fiction vorbehalten war, führte der austrokanadische Robotiker Hans Moravec diesen Gedanken Ende der 1980er-Jahre in den Fachdiskurs ein.4 Die Fiktion des „mind-uploading“ wurde zum Ticket ins virtuelle Leben und unterstützte zudem die Idee, dass der posthumane Geist im virtuellen Raum selbst superintelligent werden könne.
Es ist der Drang nach mehr Effizienz, der die Trans- und PosthumanistInnen dazu motiviert, ein Hinter-sich-Lassen des Körpers zu propagieren. Der Körper wird als schwach und mangelhaft wahrgenommen, das menschliche Denken als zu langsam und fehleranfällig. Nicht nur erlaubt das Abwerfen der „wetware“ die ersehnte Immortalität im virtuellen Raum, sondern es leitet zudem einen Prozess der Leistungssteigerung ein, der in die Vorstellung mündet, dass das gesamte Universum mit (post-)humaner Intelligenz erfüllt werden kann. Diese Definition des Cyberspace als Ort der Auferstehung in einer neuen Daseinsform führt beide Richtungen in den Bereich religiöser Prophetie mit einer starken eschatologischen Dimension.
Letztlich kulminieren die Konzepte der Trans- und PosthumanistInnen in der Fiktion einer artifiziellen Superintelligenz, die sowohl die KI beschreibt, der wir in zahlreichen Filmen begegnen, als auch den hochgeladenen (post-)humanen Geist. Seit Jahren versuchen VertreterInnen beider Strömungen, die artifizielle Superintelligenz aus dem Bereich der Science-Fiction herauszuholen und als reale Zukunftsperspektive zu verkaufen. Zu diesem Zweck wurden nicht nur zahlreiche Schriften publiziert,5 sondern auch Organisationen gegründet, die sich auf die großzügigen Spenden bekannter Tech-InvestorInnen verlassen können, darunter Peter Thiel. Durch die Warnrufe angesehener Personen in Technologie und Wissenschaft, etwa Elon Musk und Stephen Hawking, konnte sich das Schreckensbild der zukünftigen KI-Superintelligenz auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit einschleichen.6 Und seit Kurzem wird diesem Szenario auch in der Wissenschaft nachgegangen – so widmen sich gleich zwei Institute an den britischen Eliteuniversitäten Cambridge und Oxford der Erforschung der Superintelligenz als existenzielles Risiko für die Menschheit.7
Stine Dejas Arbeiten lassen erkennen, dass die Vorstellungen der Trans- und PosthumanistInnen unser Bild von technologischen Entwicklungen maßgeblich mitbestimmen. Bekannte Formate wie TED-Talks tragen das Ihre dazu bei, dass sich die Ideen der beiden Strömungen in unserem Bewusstsein niederschlagen. Obwohl der trans- und posthumanistische Drang, dem biologischen Körper zu entfliehen, immer verlockender erscheinen mag, ist zu bedenken, dass diese Vorstellung letztendlich darauf beruht, Verantwortung für den eigenen Körper, die Gesellschaft und die bedrohte Natur aufzugeben. Eine Verantwortung, der wir uns jedoch gerade jetzt in Anbetracht der vergangenen und kommenden Monate zusehends stellen sollten.
[1] Der Religionswissenschaftler und Soziologe Oliver Krüger unterschied Anfang der 2000er-Jahre zwischen den beiden Strömungen. Die Philosophin Janina Loh übernimmt diese Differenzierung, vgl. Trans- und Posthumanismus zur Einführung. Hamburg 2018; sowie Oliver Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit. Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus. Freiburg 2019 (Erstausgabe 2004).
[2] https://stinedeja.com/
[3] Vgl. https://www.theguardian.com/games/2020/feb/05/the-sims-millennials-home-ownership.
[4] Die Vorstellung des „mind-uploading“ beschreibt die Übertragung des menschlichen Geists auf den Computer und beruht auf dem Gedanken, dass die Essenz der menschlichen Existenz einzig im Gehirn liege. Mittels digitaler Reproduktion des Gehirns und dessen Funktionen lasse sich somit das gesamte menschliche Wesen in einen Computer übertragen; vgl. Hans Moravec, Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence. Cambridge 1988.
[5] Nick Bostrom ist ein bekannter Transhumanist, der sich seit Jahren der Erforschung der Superintelligenz widmet. Vgl. Nick Bostrom, Superintelligence. Paths, Dangers, Strategies. Oxford [6] Vgl. https://www.theguardian.com/technology/2017/jul/17/elon-musk-regulation-ai-combat-existential-threat-tesla-spacex-ceo.
[7] Die beiden Institute sind das Future of Humanity Institute an der Universität Oxford (https://www.fhi.ox.ac.uk/), das 2004 von Nick Bostrom gegründet wurde, und das Centre for the Study of Existential Risk an der Universität Cambridge (https://www.cser.ac.uk/), das 2012 gegründet wurde und eng mit dem FHI verbunden ist.