Heft 3/2020 - Artscribe


Tai Shani – Tragodía

27. Mai 2020 bis 4. September 2020
Grazer Kunstverein / Graz

Text: Milena Dimitrova


Graz. Der Grazer Kunstverein zeigt mit Tai Shanis Ausstellung Tragodía eine der vier KünstlerInnen, die sich 2019 den Turner Preis teilten. Spirituelle Fragen wie Tod und Trauer treten hier vor die anderen Themen der Künstlerin – Feminismus oder alternative Gesellschaften – bzw. werden als Teil davon verhandelt. In den Medien Installation, Video und im Virtual-Reality-Format wird der frühe Tod einer einzigen Tochter betrauert. Die Geschichte, die die Videoarbeit erzählt, wird in nur leichten Abwandlungen als Virtual Reality wiederholt. Es ist die Rede von Synapsen, zellulären und neuronalen Aktivitäten, Bewusstsein, alternativen und parallelen Realitäten sowie Liebe, Trauer, Angst, Verlust und energetischen Feldern, die diese Emotionen kreieren.
Die Arbeit, für die Tai Shani den Turner Preis erhielt, war DC: SEMIRAMIS. Erstmals gezeigt wurde sie 2018 am Glasgow International Kunstfestival. Die dafür charakteristischen Formen tauchen ab 2013 bei Tai Shani auf, anfangs noch in Vitrinen präsentiert, wie archäologische Objekte etwa. Die Ausstellung in Graz ist dieser Werkgruppe verwandt. Es geht hier um die Vorstellung einer postpatriarchalen Welt, in der in der heutigen Welt unterdrückte Lebensweisen Platz finden und die die Künstlerin im weitesten Sinne als feministisch bezeichnet. Das Übernatürliche, Spirituelle ist ein Teil davon, auch weil es Frauen in der Geschichte zur Selbstermächtigung diente, wie Tai Shani in einem Interview sagt. In die Installation in Graz findet es Eingang etwa durch Elemente „ritualistischer Architektur“. Eine flache Stadtlandschaft in Rosa mit geometrisch angeordneten Pyramiden und Labyrinthen breitet sich einerseits in Draufsicht vor einem aus. In einer zweiten Lesart steht man vor einem Altar, auf dem eine kreisförmige, türkise Fläche, die einen scharfen Schatten an die Wand wirft, als Gong gelesen werden kann. Neben den pyramiden- und tempelartigen Gebilden sind es auch Kreise, Kuben, Quader und Zylinder, aus denen sich die Installation zusammensetzt. Sand, Murmeln und weitere, symbolhafte oder als organisch zu verstehende Formen sind darauf platziert. Immer wieder tauchen auch Gesichter wie Totenmasken auf. Diese Elemente sind für uns nicht lesbar, sind wie gezielt verteilt, als hätten sie eine Bedeutung oder Funktion, die uns aber nicht bekannt ist. Der Blick wird dadurch unruhig und wandert umher, im Versuch, Bedeutung zu erfassen. Man steht vor einer Welt ähnlich unserer, aber mit anderen Ritualen, anderer Ästhetik, Kultur und Spiritualität. Unbewusstes und Magisches scheinen in dieser Welt sichtbar, Teil des bewussten Lebens zu sein.
Die Installationen Tai Shanis können für sich alleine stehen, wie in Graz, oder auch von PerformerInnen bewohnt sein, wie in Glasgow, wo diese sich in die „Landschaft“ einbetteten, auf die Formen und Farben der Umgebung antworteten, wie man das aus der modernen Malerei, etwa Cezannes Badenden kennt. Hier bekommt die Formensprache aus der Moderne eine eigene, zeitgenössische Bedeutung.
Es werden auch aktuelle Darstellungsformen reflektiert, wenn etwa in der Virtual-Reality-Arbeit die Katze Ödipus in einem Glitch für einen Augenblick in einzelne Bildteile zerlegt wird. Oder in der Position, die den Betrachtenden zugeteilt wird, wenn ein durchscheinender kindlicher Körper in Rückenansicht ins Bild kommt, dessen Kopfbewegungen den eigenen – denen der Betrachtenden – entsprechen. Es ist eine Art Neuinterpretation der Rückenfigur. Hatte sie im Gemälde die Funktion, Tiefenraum zu erzeugen, zieht sie hier die BesucherInnen weiter ins dreidimensionale Bild.
Der experimentelle, narrative und bildreiche Text zur Videoarbeit – der Nachruf auf die verstorbene Tochter, der in einer expressiven Sprache Ereignisse, Ideen und Dinge beschreibt, erweitert das Bild, auf dem meist nur der Kopf der Großmutter in Nahsicht zu sehen ist. Dieser befindet sich in einer dunklen, nur von fernen Lichtern und Nebeln belebten Umgebung, wie ein Universum. Man fühlt sich dadurch an den Zeitpunkt eines Todes versetzt – den der Großmutter oder auch der Tochter –, man wird an diese Schwelle mitgenommen. Die eigens für die Arbeit beauftragte Musik trägt noch weiter zur besonderen Stimmung bei. Der Text spricht von Ritualen und Magie. In einem auf eine Art medienreflexiven Moment wird erklärt, dass genug Liebe, anthropomorphe Materie und Erinnerungen an die Gesichtszüge der Verstorbenen vorhanden wären für einen Auferstehungszauber. So etwas in der Art – sich mit Auferstehungszauber zu beschäftigen – ist vielleicht auch der Anspruch dieser Arbeit an die Kunst.
Diese Themen werden bei Tai Shani fühl- oder darstellbar sowie politisch. In der bildenden Kunst gingen der Themenbereich der Rituale und einer nicht nur unmittelbaren, sondern auch spirituellen Einheit von Mensch und Natur mit der Diskussion um das Anthropozän einher und fanden Eingang in das Feld. Thematisch damit verbunden sind auch Raubbau an der Natur und profitorientierte Ökonomie, die in weiterer Folge auch Fragen von rigiden Gesellschaftsstrukturen aufwerfen, die von feministischen Standpunkten aus kritisiert werden.
Eben diese letztgenannten Themen teilt Tai Shani mit den anderen PreisträgerInnen des Turner Preises 2019. Die vier nominierten KünstlerInnen forderten von der Jury ein, als Kollektiv gesehen zu werden, aufgrund der aktuellen Dringlichkeit ihrer jeweiligen Inhalte. Es ging ihnen dabei nicht um ästhetische Gemeinsamkeiten. Sie argumentierten, dass sie ein kollektives Statement im Namen von Gemeinschaft, Vielfalt und Solidarität machen möchten. Die Jury begrüßte das als „symbolischen Akt, der auch die politische und soziale Poetik“ ihrer Arbeiten wiedergibt. Sie ist damit in ihrer Rhetorik ungenau. Als Kollektiv aufzutreten ist nicht nur eine symbolische oder repräsentative Geste, sondern vielmehr die Verkörperung einer bestimmten Haltung, die kollektive, solidarische Antworten auf zeitgenössische Probleme will.