Heft 3/2020 - Netzteil
Für die Präsenz einer medialen Person sind politische Haltung und Expertise genauso wichtig wie modische Codes und private Details. Authentizität ist das Gebot der Stunde, doch diese will gestaltet werden, mit Outfits und Gesten transportiert, bewegt und bewegend im Strom der Bilder, in dem es mehr als bloß mitzuschwimmen gilt. Angesichts der Fülle zirkulierender visueller Repräsentationen, die zugleich Produktionen von Persönlichkeiten sind, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten die Kunst für alternative Verknüpfungen von Körpern und Bildräumen bietet. Kann sie eine Reflexion über die Physis multimedialer Inszenierung anstoßen? Und lässt sich eine politische Dimension in einer nicht nur visuellen Anschlussfähigkeit der Körperdarstellungen selbst suchen, statt in der Eigenschaft der Werke „Themen“ vorzuführen?
In seiner Installation Hope House (2017/18) präsentierte Simon Fujiwara diverse Kuriosa des Konsums als Metakommentare auf den Wunsch nach Authentizität von Bildern, Produkten und moralischen Haltungen. What Beyoncé wore to the Anne Frank House (2017) etwa zeigt den taubenblauen Topshop-Anzug, den Beyoncé bei ihrem Besuch im Anne-Frank-Haus trug und der nur eine Stunde nach ihrem Instagram-Posting ausverkauft war. Fujiwara präsentiert das schlichte, bezahlbare Kleidungsstück nun als Ikone der Nahbarkeit und Bescheidenheit des Weltstars an einer kopflosen Schaufensterpuppe. Das Objekt wird von einem Medium zeitgenössischen „Moral-Prosums“ in ein anderes überführt: von den Bildwelten hipper Produktinszenierungen in den musealen Raum der Kunstbetrachtung. Die Materialisierung gerät dabei zur sinnlichkeitsreduzierenden Geste, welche die realitätsmultiplizierende „Aura“ der sozialen Medien im entkernten Schaustück blutleer zum Konzept macht. Die Sinnfälligkeit des „geköpften Bilds“ will vor allem intellektuell verstanden werden.
Eine alternative Strategie verfolgt Will Benedicts I Am A Problem (2016), ein Musikvideo für die Band Wolf Eyes, in dem das Akustische untrennbar mit dem Visuellen verschmilzt. Auch hier werden Bildern die Köpfe abgeschnitten. Ein Alien, wie aus einem Guss mit seinem profilierten schwarzen Turnschuh gegossen, ist zu Gast bei Charlie Rose. Der Moderator bewegt geschäftig stumm die Lippen, die Nüstern des anonymen Aliens heben und senken sich zum Playback: „I stepped inside that doorway / Can’t turn back, this place resists / It’s opening windows to bricks“. Ähnlich wie im Video Enemy Ladder zu einem Track des gleichen Albums, in dem Polizisten lautlos in Megafone bellen und niedliche Hunde aus Internetvideos textsicher die Zähne zu den Lyrics blecken, werden Stimmen „gemutet“ und von Nicht-Menschlichem übernommen. Im Hintergrund stürzen Schwärme lebendiger Menschen vom Himmel; ein Delfin äußert sich kritisch zur Nahrungskette. Und ist das nicht Boris Johnson? Ein Kopf mit wüstem Haar, bereit im Kampf für den Brexit. Der Journalist und das vage Unbekannte treffen aufeinander in einer beinahe allegorischen Begegnung. Ob das Alien als Experte oder Politiker, als Botschafter oder Betroffener auftritt, bleibt unklar. I Am A Problem macht die Undurchdringlichkeit hörbar, nicht als Expertentalk, sondern als verschlüsseltes Stück Noise.
Im lasziven Tabledance des Aliens vor Charlie Rose verrutscht das angenommene System verlässlicher Körperkoordinaten. Anders als beim klassischen Talking Head, bei dem ein horizontaler Schnitt auf Brusthöhe die Standfestigkeit der „seriösen“ oberen Körperhälfte suggeriert, schneidet die obere Bildkante knapp über dem Steißbein ab. Die Konzentration rutscht in den Unterkörper – auch in den der Betrachtenden, die den schleppenden Bass zu spüren bekommen. I Am A Problem rückt durch Repräsentation des Fremden im Außerirdischen, im Androgynen und im Lärm, der wie ein Ziegelstein im Magen liegt, die körperliche Rezeption von Körpern selbst ins Zentrum. Dagegen erstarrt bei Fujiwara der Anzug Beyoncés zur Kollektion, die Person zur „Personality“. Das Unheimliche an dem Exponat ist die Vorstellung, es selbst zu tragen und damit die Produktion eines neuen konsumierbaren Körpers zu initiieren, im eng abgenähten Zwischenraum dessen, was es in den reproduzierten Hüllen des medial bereits Produzierten noch zu produzieren gibt.
Auch Hannah Black wählt in Intensive Care/Hot New Track (2013) die Ästhetik des Musikvideos. Im Voiceover mischen sich Details aus der von emotionaler Verausgabung und körperlicher Gewalt geprägten, in den Medien ausgeschlachteten Beziehung der Popstars Rihanna und Chris Brown mit Aussagen von Vernehmerinnen im Gefängnis Abu Ghraib. Die Stimmen folgen schnell sprechend der Musik. Der Clip beginnt mit dem Bild einer zigarettenverbrannten Hand, über der ein historischer Stich des Laderaums der Brooke rotiert. Die Abbildung dieses britischen Sklavenschiffs, die in Blacks Video an eine trudelnde Fliegerbombe erinnert und Assoziationen zu verschiedenen Formen der Kolonisierung und Invasion zwischen – vor allem westlichen und „den anderen“ – Nationen weckt, diente im 18. Jahrhundert der Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade dazu, auf das Unwürdige der Verschiffung von Menschen hinzuweisen. „Whiteness is the theory and shame is the practice; love is the theory and shame is the practice; war is the theory and shame is the practice“, so das Voiceover. Nähe und Macht, von Körpern und Bildern, Ohnmacht und Enge, von Körpern als Bildern, Körpern als Fracht und ihren medialen Repräsentationen, die sie zu Objekten und zu Instrumenten werden lassen. Black zeigt die Auflösung des Körpers in transparente Bildebenen: Überlagert von Foltermalen, Kampfjets und funkelnden Galaxien wird das geschwollene und zugleich durchscheinende Gesicht Rihannas zum diesig-bunten Grund.
Alle drei Arbeiten spielen mit Bildern des Aufreizenden, durch freigestellte Körperteile, abgeschnittene Posen, kopflose Bewegungen. Fujiwara wendet dies ins plakativ Unheimliche eines puppenhaften Körpers, der durch die Unbeherrschbarkeit des produktförmigen Kleidungsstücks „beseelt“ wird, während Benedict sie motivisch wie sinnlich mit dem mehr-als-menschlich Unbekannten in der Konfrontation von Lärm, Gespräch und Stummheit verknüpft.
Black geht weiter, indem sie die physische und emotionale Gewalt, die von Medien gezeigt und ausgeübt wird, als Eigenschaft der Bilder aufscheinen lässt, die keinen Unterschied zwischen Celebrity-Gossip und „ernstem“ Weltgeschehen macht. Hör- und sichtbar wird nicht nur die Art der Repräsentation von medialen Körpern, von deren An- und Aufzügen der Selbstdarstellung, sondern die mediale Erscheinung des Verhältnisses zwischen Körpern, die einander dominieren, sich unterwerfen, ausharren, zurückkehren, bereuen und Verantwortliche suchen.
Während Benedict und Fujiwara die Inszenierung von Selbst- und Fremdbildern in mehrdeutigen einzelnen Figuren und Objekten präsentieren, lösen sich bei Black die Körpergrenzen und Kommunikationswege nach innen und nach außen auf. Der Umgang mit Bildern unterschiedlicher, versehrter und begehrter Körper ist medienkritisch und zugleich nah an der Realität eines Miteinanders, in dem wir uns gegenseitig Bilder aus semitransparenten Erwartungen überstreifen. Black adressiert uns als aktiv-passive Betrachtende, die im Sehen Blicke zufügen, erleiden und empfangen. Blicke, die einen Ort und einen Körper haben, als Ursprung und als Ziel, entstehend aus historisch geprägten und bewegten Überlagerungen – fragil, fluide, angreifbar. Es entsteht ein Raum, der weder vorne noch hinten noch ein messbares Volumen kennt. Die Arbeit geht über die Umwertung bestehender Codes hinaus und zeigt genau dort ihre Brutalität, wo die Farbnuancen sanft verschwimmen und der Rhythmus tanzbar bleibt.