Heft 1/2021 - Artscribe


Želimir Žilnik – Shadow Citizens

24. Oktober 2020 bis 18. April 2021
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Melanie Letschnig


Wien. „Ich mache Filme, weil wir immer noch nicht im Kommunismus leben“, sagt Želimir Žilnik in einem Interview mit dem Magazin Susret im Jahr 1968, zu einer Zeit also, als die Savez komunista Jugoslavije (SKJ) die Regierungspartei in Jugoslawien stellt. Allerhand. Und so liest sich eines der Eröffnungsexponate der Ausstellung Shadwow Citizens – von den Kunsthalle-Direktorinnen What, How & for Whom/WHW erstmals 2018 für das Edith-Russ-Haus für Medienkunst in Oldenburg kuratiert – wie ein Kommentar zu diesem Zitat: Žilnik, der sich am Set seines Films Rani Radovi Frühe Werke (YU 1969) mit erhobenen Händen kniend und erschrocken-amüsiertem Gesichtsausdruck einem Erschießungskommando seiner Protagonisten entgegenstellt. Die entschieden reflexive politische Haltung zu den herrschenden Verhältnissen, Parole: Humor und die große Lust am kollektiven Arbeiten sind die künstlerischen Grundvoraussetzungen, die die Arbeit von Želimir Žilnik kennzeichnen. Sie vermitteln sich in und durch den multimedialen Zugang, den die Kuratorinnen gewählt haben: Filmplakate, dokumentarische Fotostrecken von Dreh- und Produktionsarbeiten, die fotografische Dokumentation einer Inszenierung der Gastarbajter opera, Manifeste der politika avtorjev, Zeitungsausschnitte mit Filmbesprechungen und Aufregungen über Auszeichnungen für den Regisseur, vergrößerte Filmstills mit den Gesichtern von Žilniks ProgatonistInnen und ganz zentral die Filme selbst. In zwei Kinokammern wird den ganzen Ausstellungstag lang ein Programm gezeigt mit den Features, aus denen kurze Ausschnitte auf Mobilzäunen in der Mitte des Raums nach- und vorauszusehen sind. Monitore mit Videoarbeiten ergänzen die Schau. Baustellencharakter, ein – je nach Laune – flüchtiges und konzentriertes Rezipieren. Besonders einnehmend sind die großen Projektionen der Kurzfilme an den Wänden. Nebeneinandergestellt und mit Untertitelungen provozieren sie eine anregende Zusammenschau. Wenn die Loreleien in Ich weiss nicht, was soll es bedeuten (DE 1975) auf abgefilmten Fotografien ihre Musikinstrumente zücken, links davon eine Protagonistin in Žurnal O Omladini NA Seltu, Zimi/Chronik der Landjugend im Winter (YU 1967) für Johnny Walker schwärmt und die Sängerin von einem stalkenden Mönch bänkelt, während auf dem rechten Flügel des Triptychons ein Mann in die Mundharmonika bläst, so ist alles eine Frage des Zusammenhangs aus Mythos, Chronik und Platznehmen im richtigen Moment. Situationelle Attraktionsmontage.
Žilnik wird bereits für seine ersten Arbeiten Ende der 1960er-Jahre international ausgezeichnet, dann versetzt ihn das Folgejahrzehnt aber in die BRD, weil die künstlerische Auseinandersetzung in der ersten Heimat unbequem wurde. Als sich das Land der Emigration ebenfalls anschickt, politisch motivierten Druck auszuüben, kehrt Žilnik in den 1980er-Jahren wieder nach Jugoslawien zurück, um für Film und Fernsehen zu arbeiten.1 Dieses durch äußere Faktoren ausgelöste Mäandern vollzieht auch eine Vielzahl der ProtagonistInnen aus Žilniks Filmen. Zum Beispiel die GastarbeiterInnen, die ab den 1960er-Jahren nicht nur aus Jugoslawien durch Anwerbeabkommen nach Deutschland gehen, um Geld zu verdienen. Ihnen begegnen wir in Inventur – Metzstrasse 11 (DE 1975), wenn sie als BewohnerInnen der titelgebenden Adresse in München in ihren Erstsprachen und im Stiegenhaus bewusst für die Kamera stehenbleibend oder im Vorbeigehen berichten, wie es ihnen geht und wie sich der Aufbruch in neue Daseinsabschnitte gesetzt hat, der „nicht nur Hoffnung und neue Lebensumstände, sondern belastende Veränderungen“2 mit sich bringt. Am Schluss hat der deutsche Hausmeister das Wort, der in leicht grantigem Ton anmerkt, mit allen HauseinwohnerInnen zufrieden zu sein. Naheliegenderweise tun sich in der Rezipientin Assoziationen zu aktuellen Diskursen um Bleiberecht und „gut integrierte“ Personen in Österreich auf.
Mit dieser Weitsicht auf politische und soziale Veränderungen, die das Fundament, auf das eine Existenz baut, destabilisiert, blickt Žilnik nicht nur auf die (post-)sozialistische Gesellschaft (Ex-)Jugoslawiens. Sie fokussiert in den Arbeiten der letzten Jahrzehnte auch jene, die vor Kriegen aus dem Nahen Osten, Zentralasien und Afrika flüchten mussten. AußenseiterInnen, von denen ein unkompliziertes Sich-Einpassen verlangt wird auf einem Kontinent, der – und das zeigen Žilniks Arbeiten immer wieder auf – durch seine Gier die Situation derer, die dafür bezahlen, mitverursacht. Machtmissbrauch und Männlichkeitsdominanz, die im Werk des Regisseurs auch in Bezug auf Frauenbilder anklingen, oftmals mit Humor, was sich als Bewältigungsstrategie noch immer bewährt hat.
Ein stundenlanger Streifzug durch die Ausstellung sensibilisiert das Bewusstsein für diese Dynamiken der Ungleichheitsproduktion und zeigt mitunter sperrige Trampelpfade auf, die von jenen erarbeitet wurden, die viel zu oft unreflektiert fremdbestimmt in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt werden. Shadow Citizens bildet das Gegenprogramm.

 

 

[1] Vgl. WHAT, HOW & FOR WHOM/WHW, Želimir Žilnik – Schattenbürgerin: dies. (Hg.), Shadow Citizens –Želimir Žilnik. Oldenburg/Berlin/Novi Sad/Zagreb 2019, S. 17.
[2] So Želimir Žilnik in einem Interviewabschnitt mit WHW über die Situation der jugoslawischen GastarbeiterInnen. Želimir Žilnik im Gespräch mit WHW, April 2018, a.a.O., S. 29 u. 32.