Heft 1/2021 - Artscribe


Zhanna Kadyrova/Jiri Kovanda – (Almost) Involuntary Sculptures

8. Dezember 2020 bis 29. März 2021
Zahorian und Van Espen / Bratislava

Text: Hedwig Saxenhuber


Bratislava. Zwei gute Nachrichten: Die bis dato dem Verfall preisgegebene historistische Bausubstanz des 1885 erbauten Bad Poszony, das heute Grössling heißt, wird von der Stadt restauriert und die Kuratorin Elena Sorokina hat interimistisch ein Konzept mit dem Titel (Almost) Involuntary Sculptures, das ganz dem Spirit der historischen Badeanstalt folgt, entwickelt, wofür sie Zhanna Kadyrova und Jiři Kovanda gewinnen konnte. Die Spuren der Geschichte eines Bads erinnern an Rituale des Wohlfühlens, des Reinigens, des Heilens, der sozialen Interaktionen und sportlicher Betätigungen sowie des Genusses – und der Vergänglichkeit. Öffentliche Bäder werden gerade im Falle einer Pandemie, wo wir unsere Körper in Distanz halten und uns unserer Fragilität bewusst werden, zu Begehrensräumen.
Anfangs war ich ein wenig enttäuscht, dass die Ausstellung nicht am Originalschauplatz stattfindet, sondern dass die künstlerischen Ideenfindungen mit und um das Bad in den White Cube des Galerieraums von ZAHORIAN & VAN ESPEN transferiert wurden. Aufgelassene Bäder sind magische Orte, doch für konzeptuelle Ansätze manchmal zu spektakulär.
Sorokina schafft einen Anlass und einen Raum für die Begegnung der beiden KünstlerInnen, die aus verschiedenen Generationen und Kontexten kommen. Der Beginn von Kovandas Künstlerkarriere ist in den „bleiernen Jahren“ im Prag der späten 1970er-Jahre verortet, in einem Staatssozialismus mit sowjetischer Einflussnahme, und jener Kadyrovas ein Vierteljahrhundert später in Kiew während der Orangenen Revolution als Mitglied von R.E.P. (Revolutionärer Experimenteller Raum), einer Künstlergruppe, die aktivistisch für die Demokratisierung der Ukraine auftrat. Mit der Wahl des Titels (Almost) Unvoluntary Sculptures spielt Sorokina auf eine beiden KünstlerInnen gemeinsame Eigenschaft an, nämlich auf ihren Ideenreichtum, der oftmals in einer bestechenden Direktheit, ja Einfachheit besteht. Jiři Kovanda ist bekannt dafür, dass er Erwartungshaltungen unterwandert und sich in Ausstiegsszenarien flüchtet. Diesmal kam Covid-19 mit ins Spiel. Mit seinen minimalistischen Aktionen in Prag ab 1977 hat er mittlerweile Kultstatus erlangt. Sie gehören zum Kanon der Performance jenseits des Eisernen Vorhangs. Auch die Performance einer Kussszene via Glasscheibe Jahrzehnte später könnte nun ein probates Mittel gegen die Vereinzelung und die Leere der Seuchenzeit werden.
Die Figur des Detournéments lässt sich auf die in der Ausstellung gezeigten Utensilien für einen Badeaufenthalt wie Handtücher, Badehose, Kleidung, Lektüre … anwenden. Kovandas Eingriffe bestehen in der Aufstellung eines Bugholzkleiderständers auf einer quadratischen Bodenfliese, die aus einem Moosstück besteht, daneben Kadyrovas Doppelgänger, „flauschige“ Badeschlapfen aus Kunststein. Beide beziehen sie sich auf Topoi der Literatur, und auch der Badeaufenthalt ist ja ein solcher, von Jean Paul bis Tschechow. Kadyrovas Gestalt des Doppelgängers ist häufig in der Literatur zu finden und war für einen der bedeutendsten Psychoanalytiker aus der Entstehungszeit der Badeanstalt, Otto Rank, ein Motiv für Abspaltung und Neurosenbildung. Kovanda sorgt mit der Arbeit Odysseus, 2020, dem Buch von James Joyce mit demselben Titel, für Irritation, da mag auch die kleine Leiter einen nicht versöhnlich stimmen. Davor steht eine trapezförmige weiße Skulptur Untitled, 2020, bestehend aus einem eleganten Hemd, integriert in ein Podest samt Armstützen – als Symbol für den Kleiderwechsel im Bad? Kovanda erschafft aus Handtuchhaltern eine Treppe von abstrakten Linien und führt die alltägliche Funktion des Handtuchhalters durch seine Unzugänglichkeit ad absurdum.
Zhanna Kadyrova ist mittlerweile Spezialistin für Secondhand-Materialien. Sie entnimmt Fliesen an verlassenen Orten (diesmal vom Grössling-Bad) und setzt diese in Gegenstände um wie ein Handtuch mit Bordüre und Falten From the Series Second Hand (Grössling Bath), 2020, das mit der Badehose aus Fliesen auf einer Leine flattert. Dahinter Fotos, auf denen die gestalteten Dinge (Badehose, Handtuch) in der Architektur des Bads sich unmerklich in dem von den Fliesen entnommenen Hintergrund abheben. Mit der Schwere des Materials erschafft sie Dinge, die das Gegenteil, eine Leichtigkeit, evozieren sowie leichte Dinge eine Schwere, oder eine feste Oberfläche als flüssig wahrgenommen wird. In der Installation From the series Volatility, 2020, stellt Kadyrova via mit Helium gefüllten Ballons im Ambiente des Grössling-Bads Raumfiguren her, die nicht nur eine Atmosphäre der Spannung erzeugen, sondern auch die Schönheit des Verfalls des Bads aufzeigen. Trotz der Flüchtigkeit des Materials gelingt es Kadyrova, serielle Anordnungen zu erzeugen und deren Veränderungen festzuhalten.
Wie in jeder Badeanstalt gibt es auch hier Pausen zur Einhaltung der Hygienemaßnahmen: Ein grauer Kübel von Kovanda steht bereit. Wirft man einen Blick hinein, findet man klares Wasser mit einer Dose Sardinen namens „Liberator“. Auch Kadyrova stellt ehemals benutzte Emailgefäße in den Raum, fast schon ein Klassiker, Completition, 2020, deren Oberflächen sich in den Farben des Bads spiegeln.
Kovanda zeigt eine Reihe von Fotoarbeiten, die mit Körpern, Mustern und Patterns poetische Resonanz erzeugen. In einer Momentaufnahme von zerschmelzender Schokolade an einer Glasscheibe, die die Gestalt eines Akts annimmt, von einem Blatt halb verdeckt und vom Nagel gehalten, deutet er den Prozess der Transformation an. Eine subtile Arbeit, aber nicht die Einzige, die so unnachahmlich für sein Werk ist. Eine absurde Situation: eine Faust aus Bronze in der Mikrowelle. Verweist sie auf den Sozialismus oder doch nur auf die Möglichkeit eines Saunagangs oder darauf, dass wir uns von der Faust im Nacken befreien konnten? Viele offene Fragen und noch eine größere Möglichkeit an Assoziationen bleiben in dieser an Episoden und Momenten reichen Ausstellung.