Heft 3/2021 - Netzteil


„Can you imagine solidarity?“

In den Arbeiten von Barbara Kapusta sind leakende Körper und soziale Oberflächen die Protagonist*innen einer von Technofeminismus und Science-Fiction inspirierten kommenden Welt

Christa Benzer


Ihre Arbeit sei „tröstlich“1, kommentierte eine Zuseherin die Vorführung von The Leaking Bodies – eine Animation von Barbara Kapusta, die im Rahmen einer Online-Veranstaltung im Februar 2021 anlässlich ihrer Ausstellung in der Wiener Galerie Gianni Manhattan zu sehen war. Angesichts der Bilder einer „leakenden“ Pipeline, aus der schmieriges Öl in eine dürre, postapokalyptische Wüstenlandschaft tropft, und eines metallischen Arms, der dieser schwitzend (oder schon brennend) begegnet, denkt man im Sommer 2021 an die klimakrisenbedingten Waldbrände in Südeuropa – tröstlich ist das erst mal nicht.
Nur geht es in The Leaking Bodies auch nicht darum, die akute Umweltkrise zu kommentieren, als viel grundsätzlicher um das Thematisieren und Überwinden jener traditionellen Konzeptionen des Humanen, die für den Schaden verantwortlich sind: „What caused the damage?“, fragt eine Stimme aus dieser Welt, in der das Fluide bestimmend ist und die*der Erzähler*in gleichzeitig ein Ich und ein Wir, eine Multitude ist: „We travel in contaminated lands. Yellow, dusty regions, orange shadows, and dry skies. I feel like a global fluid. You penetrate all boundaries.“
In dem die animierten Bilder begleitenden, für eine politische Arbeit ungewöhnlich poetischen Text eröffnet Kapusta entlang der Spuren von „Strömen“ – Kapitalströmen, Rohöltransporten, Trinkwasser, aber auch Körperflüssigkeiten – ein assoziatives Feld, in dem die Themen Migration, Ausbeutung von Ressourcen, das Narrativ der Wüste als unwirtlicher Ort, die Privatisierung von Wasser, das Vordringen der Menschen in die entlegensten Gebiete bis hin zu Covid-19 direkt miteinander verbunden sind: „A slimy, slippery mixture on dry, yellow grass and corroding iron. Slowly contaminating every part and cell of our wet and fragile existence.“
Das Verbinden von Sprache und Text mit Objekten, skulpturalen und animierten Körpern, von Buchstaben mit Zahlen, harten und weichen Stoffen ist charakteristisch für die Arbeit der Künstlerin, die sich in ihren Installationen, Animationen und Lecture-Performances mit der Materialität und sprachlichen Verfasstheit von Körpern befasst.
In The Leaking Bodies, der jüngsten Animation der Otto-Mauer-Preisträgerin 2021, kommt ein Verständnis von Körperlichkeit als durchlässige Membran hinzu – denn, so die Künstlerin: Wir alle „leaken“: Schweiß, Blut, Harn, Tränen, aber auch Hormone, Spuren von Antidepressiva oder Mutationen von Covid-19, die man im Abwasser nachweisen kann. „What caused the damage?“, fragt die Stimme noch einmal, und die Antwort lässt keine*n aus: „The loose ends of our dripping culture. Our leakiness.“
Die Bedeutungen des Worts „Leaks“ hebeln duale Denkmuster aus: Schließlich haben diese nicht nur umweltzerstörendes Potenzial, sondern dienen auch der Allgemeinheit, wenn „geleakte“ Daten die Machenschaften von Regierungen, Unternehmen usw. aufdecken. Dass es der Künstlerin gelingt, das scheinbar so saubere Digitale in widersprüchliche und ambivalente Geschichten zu verstricken, indem sie glatte, glänzende Oberflächen in klebrig-haptische, sich der Identifizierbarkeit entziehende Silhouetten und Figuren verwandelt, haben schon ihre beiden früheren Arbeiten Empathic Creatures (2018) und Dangerous Bodies (2019) gezeigt: „Bodies had been modes of perceiving conventions and proportions for so long“, heißt es in dem dazu erschienenen Textbuch Dangerous Bodies, und weiter: „The new bodies wanted to be superfluous, unnecessary, unfit.“
In ihren Ausstellungen sind ihre Überlegungen zu einem besseren Leben in einer von Empathie und Solidarität getragenen Gemeinschaft oft in Form von Sprechblasen aus Acrylglas neben objekthaften Prothesen und Körperfragmenten zu sehen: „Can you imagine solidarity, solidarity with the other ones, a group, a society, a mass of people and their identities?“, hieß es da etwa in der Ausstellung The Giant (2018) in der Galerie Gianni Manhattan, die Betrachter*innen direkt adressierend.
Vom dystopisch-futuristischen Sound der jungen Wiener Musikerin Rana Faharani begleitet, treffen in der Animation Dangerous Bodies Körperwesen aufeinander, die ihren Aggregatzustand wechseln können, sich fluide hin zur Umgebung öffnen, um dann wieder als abgeschlossene Entitäten die Welt von weit weg zu betrachten. Ihre Körper wirken geschunden und angreifbar und lassen so nicht nur an Aliens denken, sondern auch an die Geflüchteten in den europäischen Lagern: „We linger and inhabit shelters […] Our bodies are hard and real, we breathe and we weep.“
Mit Atmen und Weinen erzeugen die Menschen aber offenbar keine Solidarität in Europa. Wie müssen die Körper also beschaffen sein, fragt die Künstlerin, wie viele dürfen es sein, damit man sich noch solidarisch erklärt, und was, wenn sie – wie die (minoritären) Körper in Dangerous Bodies – kaum Identifikationspotenzial besitzen? Barbara Kapusta trifft mit diesen Fragen mitten hinein in die hetzerischen Antimigrationsnarrative der gegenwärtigen, von Mitte-Rechts-Regierungen geprägten politischen Verhältnisse in Europa, und versucht, basierend auf technofeministischen Theorien eine Utopie zu entwickeln, in der sich die Körper gleichberechtigt, jenseits von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, dem ökonomischem Stand, der Bildung usw. entfalten können.
Eine wichtige Grundlage für ihre Entwürfe, die sie selbst nicht als utopisch, sondern als kritische Annäherungen an die gegenwärtigen Verhältnisse begreift, sind die cyberfeministischen Theorien von Donna Haraway, die postapokalyptischen Kurzgeschichten der amerikanischen Science-Fiction-Autorin Octavia E. Butler, Paul B. Preciados Geschichte seiner Transition, aber auch die radikalen Überlegungen zur Überwindung von Familienstrukturen, wie sie Sophie Lewis 2019 in Full Surrogacy Now. Feminism Against Family formuliert hat. Kapusta knüpft darauf aufbauend an die emanzipatorischen Versprechen an, die diese (teils 30 Jahre alten) feministischen Ansätze mit dem biotechnologischen Fortschritt verbinden, greift aber auch deren Kritik an der rassifizierten und sexualisierten Aufladung von Technologie auf.
Empathic Creatures, eine Animation, in der objekthafte Elemente aus früheren Arbeiten – eine Hand, eine „8“ und ein „O“ – aufeinandertreffen, gilt (auch) der technischen Imperfektion. In der Sammlungsausstellung Enjoy (2021) im mumok sind die materiellen Repräsentanten dieser „Figuren“ aus Porzellan, glatt und zerbrechlich. In der Animation berühren sich ihre metallisch glänzenden Flächen und Rundungen sanft, sie ruhen nebeneinander und greifen ineinander. Irgendwann ballt sich die Hand zu einer Faust, die „8“ spannt sich an: „When we feel, we feel so deeply. We rack and shatter into pieces and parts, this is the vulnerability of our society of empathy.“
Irgendwann bricht das Gefüge in tausend Stücke und ringt den Betrachter*innen die Einsicht ab, dass Empathie in einer Gesellschaft nicht „natürlich“ vorhanden ist, sondern erarbeitet oder – wie Barbara Kapusta vorschlägt – trainiert und eingeübt werden muss. „The end of the world is so easy to picture, much easier than its continuity“, konstatiert das Voiceover. Kapustas Bilder verweisen auf ein mögliches Danach und ermutigen dazu, Konzepte und Vorstellungen von solidarischen, inklusiven, transhumanen, umweltverträglicheren zukünftigen Gemeinschaften zu entwickeln. Die Zuseherin hatte recht: Das ist gegenwärtig sehr tröstlich.

1 https://vimeo.com/509739349

Literatur:
Octavia E. Butler, Speech Sounds, in: Bloodchild and other Stories. Seven Stories Press 1996/2005.
Donna J. Haraway, When Species Meet. University of Minnesota Press. 2007.
Sophie Lewis, Amniotechnics, in: Sophie Lewis, Full Surrogacy Now. Verso books 2019.
Elisabeth Povinelli. Geontologies. A Requiem to Late Liberalism. Duke University Press 2016.
Paul B. Preciado, Testo Junkie. Sex, Drugs, and Biopolitics in the Pharmacopornographic Era. The Feminist Press 2013.
Sylvia Wynter. On Being Human as Praxis. Duke University Press 2014.