Klimakatastrophe und Digitalisierung. Sieht man von der nach wie vor alles beherrschenden Pandemie einmal ab, so zählen diese beiden wohl mit zu den brennendsten Themen der Gegenwart. Am Klimanotstand führt kein Weg mehr vorbei, der kürzlich veröffentlichte Bericht des Weltklimarats (IPCC) führt dies in aller Deutlichkeit – und Wissenschaftlichkeit – vor Augen. Die Frage ist einzig, was effektiverweise von wem getan werden kann, um das Ärgste noch abzuwenden. Künstlerische Vorschläge gibt es dazu seit geraumer Zeit jede Menge – ja, fast hat man den Eindruck, die Klimakatastrophe hätte im vergangenen Jahr auch die Gegenwartskunst unwiderruflich eingeholt.
Doch Themenkonjunkturen sind oft kurzlebig – oder von ganz eigenen Zeithorizonten geprägt, wie der Blick auf die Digitalisierung und ihren Einfluss auf das Kunstgeschehen belegt. War das Digitale irgendwann einmal das disruptiv Neue, das die Erfindung eigener Kunstsparten nach sich zog (elektronische Kunst, Post-Internet-Art etc.), so hat es sich mittlerweile zu einer Art latenten Folie der Kunstproduktion abgeschliffen. So wenig es aus dem zeitgenössischen Schaffen mehr wegzudenken ist, so sehr hat sich sein Cutting-Edge-Charakter in Bezug auf künstlerische Belange nivelliert. Heute erscheint das Technologische oft progressiver als die Kunst selber, und man sehnt sich vielerorts nach einer Korrektur dieses in Schieflage befindlichen Verhältnisses.
Doch zurück zum Digitalen und zum Ökologischen: auf der einen Seite eine Fortschrittstechnologie, deren umweltbelastende Kehrseite lange Zeit unterbelichtet blieb; auf der anderen ein Diskurs über einen nach menschlichen Maßstäben viel zu groß geratenen Gegenstand (das „Hyperobjekt“ des Klimas), den man mithilfe des Digitalen womöglich besser in den Griff kriegen könnte. Anders gesagt: hier eine treibende Kulturkraft, der bis vor Kurzem herzlich wenig an Ideen von Nachhaltigkeit und Überlebenssicherung lag; dort ein oft technikskeptisches Ringen um das große Ganze – den mehr-als-menschlichen Verbund sämtlicher Lebensformen inklusive ihrer jeweiligen Umwelt. Ein Ringen, dem das Digitale als Ausgeburt des schönen, smarten Immateriellen immer auch ein wenig suspekt war. Öko und Big-Tech? Das klingt ein wenig, als wolle man zwei gestandene Antipoden zusammenzwingen.
Tatsächlich sah es lange so aus, als würden die zunehmende Technisierung von Informations- und Kommunikationsmedien und die Frage, wie ein stabiles ökologisches Gleichgewicht aufrechterhalten werden kann, kaum etwas miteinander zu tun haben. Lange wurde auch dem Zusammenhang zwischen künstlerischen Produktions- (und Rezeptions-)Mitteln und natürlichem Ressourcenverbrauch kaum Beachtung geschenkt. Dies beginnt sich gegenwärtig zu ändern: Nicht nur beziehen immer mehr Künstler*innen bewusst und reflexiv ökologische Fragestellungen in ihr Schaffen mit ein. Auch werden auf wirtschaftlicher wie kultureller Ebene zusehends die tieferen bzw. längerfristigen Auswirkungen erkennbar, welche die tagtägliche Inanspruchnahme des Digitalen in umweltbezogener Hinsicht hinterlässt. Dazu kommt, dass inzwischen gemutmaßt wird, ob nicht eine entsprechend in Stellung gebrachte Künstliche Intelligenz womöglich mehr an ökologischer Nachhaltigkeit bewirken könnte als vom Menschen ersonnene (meist umgehend wieder verworfene oder nicht durchsetzbare) Lösungsansätze.
Roberto Simanowski gibt sich in seinem Heftbeitrag genau dieser Spekulation hin und fragt, ob diesbezüglich nicht die Idee eines „gutmütigen Diktators“ den Gesetzen der Logik nach greifen müsste – mit allen Widersprüchlichkeiten und zu erwartenden Einsprüchen, die dies impliziert. Eine „Öko-KI“, die zur Rettung der Welt eine übermenschliche Perspektive einnehmen müsste, ist auch das Ansinnen von James Lovelocks letztem Buch über das Novozän. Der Erfinder der Gaia-Theorie sieht einzig die gerade in Entwicklung befindliche Hyperintelligenz in der Lage, die Bewohnbarkeit des Planeten aufrechtzuerhalten – Grund genug, um entlang dieses Ansatzes über den Umriss einer digitalen Ökologie nachzudenken.
Näher am aktuellen Kunstgeschehen bewegen sich Maja und Reuben Fowkes. Ihr Essay vermisst das Feld ökologisch motivierter Kunst auf Visionen und Kritikpunkte im Hinblick auf die digitale Hightechwelt. Ob die künstlerischen Decodierungen heutiger Zukunftsversprechen tatsächlich auch dekoloniale bzw. demokratisierende Impulse aussenden können, ist eine Schlüsselfrage, die auch in anderen Beiträgen zentral anklingt. So befasst sich Diedrich Diederichsen ausgehend von einer Romanfigur von Thomas Pynchon damit, welches transformatorische Potenzial in kybernetikkritischen Ansätzen ab den 1960er-Jahren angelegt ist. Auf die künstlerische Gegenwart bezogen nimmt Daphne Dragona die ethische Dimension öko- und digitalisierungskritischer Kunst in den Blick – um das Augenmerk unter anderem auf neue Formen des „Extraktivismus“ zu legen, wie er lange Zeit die westliche Eroberung und Ausbeutung der Welt geprägt hat.
Das Pendant zur unermüdlichen Rohstoffausbeutung ist die Müllproduktion. Olga Goriunova und Matthew Fuller thematisieren in ihrem Essay diesen Aspekt, der – im Zusammenhang der Digitalkultur – nicht nur die täglich wachsenden Schrottberge betrifft, sondern auch die generelle Verschwendung von Lebenszeit, Arbeit und Energie, die damit unweigerlich einhergeht.
Wie gehen Digitalisierung und Nachhaltigkeit also realiter zusammen? Wie ein immer mehr ins Digitale ausgelagertes bzw. dort ihr ureigenstes Milieu findendes Produzieren zum einen, und die Sorge um Ressourcenknappheit, kollabierende Ökosysteme und den unaufhaltsam steigenden CO2-Fußabdruck zum anderen? Das Heft „Digital Ecology“ fragt nach den konkreten Potenzialen und Implikationen dieses Konnexes. Ob elektrische Schafe es einmal mit weniger umweltzerstörenden Androiden zu tun haben werden oder ob posthumane Subjekte überhaupt noch zukunftsbezogen träumen – über all das spekuliert dieses längst überfällige Themenheft.