Innsbruck. Das österreichische Kunsterfolgsquartett Gelitin, Ali Janka, Florian Reither, Tobias Urban und Wolfgang Gantner, entwickelte innerhalb eines circa einmonatigen Aufenthalts vor Ort, ein Ausstellungsformat, welches mit den Strukturen der Häuser der Tiroler Landesmuseen arbeitet: Zu sehen ist das Ergebnis in deren Zweigstelle Ferdinandeum, wo man die hintergründige Schärfe der Vielseitigkeit der eigenen künstlerischen Praxis unterstreicht. Diente vor allem die, dem eigenen Wiener Atelierbetrieb nicht unähnliche, im Parterre eingerichtete Keramikwerkstatt (Alle für Alle, 2021) neben der kollektiven Liveproduktion von Keramikarbeiten noch vor offizieller Eröffnung als ein die Ausstellung einweihender Party-, Performance- und Konzerthintergrund (Philipp Quehenberger, Internetband, Lissie Rettenwander …), bot sich – nach Weiterziehen der tonverschmierten, exhibitionistischen, tanzaffinen Akrobat*innen und Kollaborateur*innen von und rund um Gelitin – freie Sicht auf die räumlichen Eingriffe und überwiegend neuen Arbeiten. Gleich eingangs ragt wirksam ein Bein einer, durch drei Museumsstockwerke aufstrebenden Turmkonstruktion aus buntem Holz und Pressspannplatten, in den Raum. Ob als museumsvermessende Dominante oder simples Turm-als-Turm-Statement bleibt offen, es steigert jedenfalls die Erwartung.
Nach Durchquerung eines durch Ausklappen einer Ausstellungswand entstandenen Bogens und der Begehung der Keramikwerkstatt, der Spuren ihrer Produktion (Arbeitsmäntel, unverarbeitete Tonpakete …) und der dabei entstandenen, noch ungebrannten Keramikfliesen führt ein gebastelter Plastikvorhang in eine, nur für ein volljähriges Publikum zugelassene Videolounge. Die darin gezeigten, gemeinsam mit dem in Haltung und Zugang konsensuellen Performance-Dancekollektiv Young Boy Dancing Group (YBDG) entwickelten Videoarbeiten Bauernstube (2021) und I like my Job 6 (2021) offenbaren analytischen Tiefgang, jenseits der fotogenen, frech-fröhlichen Posterboy-Oberfläche der Truppe. Durch kollektive Penetrationen mit Kerzen oder einem Bauernhocker in vier Performer-Ani kommt es zu einem dunkel-schmerzhaften Exorzismus des jahrhundertelang in Bauernstuben vermuteten, lust- und lebensfeindlich Verdrängten und Unausgesprochenen, des nachhaltig frommen Terrors des bäuerlichen Mobiliars und Stubenalltags, hier als drückende Strapazen der Performer*innen vergegenwärtigt, die die Beklemmungen Defregger’scher Bilderwelten in stoisches BDSM übersetzen. Die leere eeri- und uncanniness der Depoträumlichkeiten des Sammlungs- und Forschungszentrums der Tiroler Landesmuseen in Hall bieten auch wieder eine kontrastierende Kulisse für eine ebenfalls sexuell aufgeladene Auseinandersetzung mit den dort unter anderem untergebrachten naturwissenschaftlichen Beständen, und zwar in Form einer repetitiv-mechanischen Kopulation mit Bären, Gämsen, Eulen und vielem mehr. Auch hier zeigt sich die „gelitinische“ Logik in ihrer seit jeher feinen Umkehrung, in der sich die Erkenntnis durchsetzt, wonach die eigentliche Perversion doch in der Tradition des Tötens, Ausstopfens und Aufbewahrens von Tieren ruht. Die zwei weiteren Videoarbeiten im nächsten Raum sind jugendfrei, aber deshalb nicht weniger zielsichere und lebendige Attacken auf die verschlafen-repräsentative Aura in der Hofkirche (auch Schwarzmander-Kirche) durch prekäre Steppeinlagen, hastig, unvermittelter Anziehungs- und Abstoßungsbewegungen der Performerinnen Candela Capitän und Maria Metsalu (beide YBDG) oder die humorvolle Slapstick-Unterwanderung WURMRAUPISCHLAAAAAAANGE, in der die Performer*innen in einem Raupenkostüm das historische Pathos des Rundumblicks auf die dritte Schlacht am Bergisel von 1809 im Riesenrundgemälde des Kaiserjägermuseums so genüsslich auflösen wie sonst eine Raupe Blattwerk. Nach dieser dicht bespielten Ebene bietet das obere Stockwerk mit nur drei bzw. vier Arbeiten eine, wie nach einem vollzogenen Bergaufstieg, vergleichbare kontemplative Ruhe. Ein überdimensioniertes Gelatin-Sofa lädt zu Einkehr und Reflexion: Wenn das Sofa bereits so groß ist, wie verhält es sich erst mit der Welt, auch die Aussicht aus Sofaperspektive auf eine Notausgangstür mit der Aufschrift „Kein Eintritt“ evoziert die Überlegung, welcher Bereich des Museums trotz der räumlichen und neue Perspektiven erschließenden Öffnungen der Ausstellung weiter verschlossen bleibt und ob man auch selbst daran Schuld trägt? Neben der sich hier aufbauenden und das Besucher*innenselbst ebenfalls in Relation dazu erneut verkleinernden Turmstruktur befindet sich eine Halbkopf-in-Halbkopf-Porträtfigur aus Styropor, welche zusätzlich von einer, aus einer eigens durchbrochenen Wand von Saal 1 des Museums ragenden Balkonkonstruktion, herab sichtbar ist. Es ist ein weiterer, von vielen überlegten, in der Geschichte des 1823 gegründeten Museums aber höchst seltenen Eingriffe, welcher neben der Präsentation aktueller Werke von Gelitin auch Möglichkeiten und Perspektiven eines umfassenden und gegenwärtigen Andockens an die von Archäologie über Spätgotik reichenden Bestände des Hauses aufzeigt. Abschließend lässt sich in Abwandlung des in Tirol offiziell gängigen, aber inhaltlich zuletzt meist fehl verwendeten Ausdrucks also sagen: Gelitin haben alles richtig gemacht!