Wien. Wenn Künstler*innen eine leidenschaftliche Faszination für andere Künstler*nnen entwickeln, lohnt es sich oft, dem zu folgen und genauer hinzusehen. So auch im Fall der Ausstellung Interieur. A Tribute to Erwin Hauer, die Ulrike Johannsen im Rahmen von Clubclub, einem Format, das sie in unregelmäßigen Abständen in ihrem Atelier in der Alliogasse betreibt, konzipiert hat.
Die Werke Erwin Hauers (1926, Wien, bis 2017, Branfort, Connecticut) begeistern durch die räumliche Tiefe und Schönheit der miteinander verwobenen Oberflächen. Seine kontinuierlichen Formen beruhen auf Kurvaturen, die zugleich konvex und konkav gekrümmt sind, sich aufgrund ihrer modularen, sich wiederholenden Struktur ins Unendliche ausweiten lassen und zudem ein subtiles Licht- und Schattenspiel etablieren. In der Entwicklung und Ausdifferenzierung seines Vokabulars zeigt Hauer eine bemerkenswerte Konsistenz. Die ersten doppelt gekrümmten Module entwickelte er noch während seines Studiums der Bildhauerei an der Hochschule für angewandte Kunst Wien. Ihre Realisierung als ornamentale Wandgestaltung in zwei Sakralbauten Robert Kramreiters, der 1951 das Design #3 in der Pfarrkirche Liesing und 1954 das Design #4 in der Pfarrkirche Neuerdberg Don Bosco in seine Architektur integrierte, verhalf ihm 1955 zu einem Fulbright-Stipendium für die USA, wo er fortan lebte und viele Jahre lang an der Yale Universität lehrte. Hauer ließ sich seine Entwürfe patentieren, entwickelte die Technologie zu ihrer Herstellung und vermarktete sie erfolgreich als lichtfilternde Raumteiler. Parallel dazu führte er seine Entwürfe in zahlreichen Variationen und verschiedenen Materialien als Skulpturen aus.
Während Hauers Werk international, allen voran in den USA, durchaus breit rezipiert wird, ist er in Österreich allenfalls Eingeweihten ein Begriff. Die Gründe für die deutliche Differenz in der Wertschätzung mögen vielfältig sein. Dass sein Werk die disziplinären Grenzen vielfach überschreitet und zwischen industrieller Produktion und autonomem Kunstwerk oszilliert, könnte auch dazu beigetragen haben. Dass der gebürtige Österreicher in seinem Geburtsland bis heute allerdings weder in einer namhaften Sammlung vertreten, noch mit einer institutionellen Ausstellung gewürdigt wurde, ist ein augenfälliges Versäumnis oder, um es zukunftsorientierter zu formulieren, seine lokale Wiederentdeckung ist noch ausständig. Johannsens Ausstellung leistet diesbezüglich wichtige Pionierarbeit. Sie würdigt Hauer, indem sie ihn in Beziehung zu Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen setzt und so verschiedene Aspekte seines Werks reflektiert und die Aktualität sowie das Potenzial desselben auszulotet.
Als Johannsen von einigen Jahren Hauers Design #1 zufällig an der Fassade der Dorotheergasse 20–22, einem weiteren Kramreiter-Bau, der nebenbei bemerkt ohne das Wissen Hauers realisiert wurde, entdeckte, war sie so begeistert, dass sie Kontakt zum Künstler aufnahm. Ebendieses Design #1 steht nun als Skulptur im Zentrum der Ausstellung und dient als Referenzwerk für das elaborierte Display und die Auswahl der Künstler*innen. Einige von ihnen, wie Esther Stocker und Peter Sandbichler haben das Werk Hauers unabhängig voneinander seit Langem für sich entdeckt und wiederholt darauf Bezug genommen. Beispielhaft dafür steht Sandbichlers Prototyp, ein Geflecht aus gesteckten, sich überkreuzenden Holzstäben, das sich potenziell zu einem flächendeckenden Raster ausweiten ließe. Der Modulcharakter, das daraus abgeleitete repetitive Moment der Skulpturen Hauers findet sich hier ebenso wieder wie in dem als Rapport angelegten Liniengeflecht der Tuschezeichnung von Barbara Sturm. In Stefan Luxs Videoarbeit Busters House wiederum ist die Bewegung des Sich-Hineindrehens, das Perforieren der festen architektonischen Oberfläche, die verbindende Eigenschaft. Auf andere Weise findet sich dieses Zusammenspiel von Zwei- und Dreidimensionalität an der Grenze zwischen Innen- und Außenraum auch in den Wandobjekten von Heti Prack und Almut Reichenbach sowie der runden, an einen dysfunktionalen Couchtisch erinnernden Skulptur von Fabian Seiz. Eine weitere Rezeptionsebene liegt in der assoziativen Koppelung an die anthropomorphe Körperlichkeit von Knochen und die Idee der Wand als Skelett, die die Beziehungen zwischen den Werken Hauers und jenen von Alexandra Sascha Zaitseva, Sophia Latysheva und Ulrike Johannsen prägen, sowie ganz allgemein in der Idee vom Kreislauf des Lebens, die durch die Zeichnung Nazim Ünal Yilmaz repräsentiert wird.
Dass die derart diversen Arbeiten in ihrer Zusammenstellung eine stringente Erzählung formen und eine dichte Atmosphäre erzeugen, liegt nicht zuletzt an dem äußerst überzeugenden Display in der Qualität eines Gesamtkunstwerks. Die Nutzung von Vintage-Möbeln als Sockel lässt sich als eine spielerische Form der historischen Kontextualisierung lesen und unterstreicht zugleich die Schnittstelle im Werk Hauers zum Interieur Design. Das dominierende, sich über und durch die Ausstellung ziehende Element der Inszenierung ist allerdings die Übersetzung von Design #1 als Tapete. Sie bildet nicht nur eine optische Hintergrundfolie für die Ausstellungstücke, sondern holt auch wie in einer Art Zirkelschluss die Fassadengestaltung in den Innenraum. Die Stärke von Hauers Design zeigt sich dabei nicht zuletzt darin, dass es selbst in der fotografischen Reproduktion die Wände des Souterrains zu durchbrechen vermag und das ihm eigene Konzept der Unendlichkeit sichtbar werden lässt.