Heft 3/2021 - Artscribe


Overground Resistance

26. August 2021 bis 21. November 2021
frei_raum Q21 exhibition space / Wien

Text: Ameli M. Klein


Wien. „Die Kunst ist kein Spiegel der Gesellschaft, sondern ein Hammer, mit dem sie geformt werden kann.“ Das provokante Motto der Aktivistengruppe Tools for Action scheint wie der Schlachtruf zur aktuellen Ausstellung Overground Resistance, kuratiert von Oliver Ressler im frei_raum Q21 exhibition space. In dieser zeigt der Künstler eine Auswahl internationaler Künstler*innen, deren Arbeit sich zwischen Aktivismus, künstlerischem Schaffen und sozialer Praxis positioniert, um sich mit dem aktuellen Klimanotstand auseinanderzusetzen. Die Ausstellung versammelt unter anderem kollektive Formate, Indigene Positionen und individuelle Akteur*innen wie Tiago de Aragão, Lauren Bon and the Metabolic Studio, Noel Douglas, Francisco Huichaqueo, Gilbert Kills Pretty Enemy III, Kathy Jetn̄il- Kijiner & Aka Niviâna, Laboratory of Insurrectionary Imagination, The Natural History Museum, Rachel Schragis, Seday und Jonas Staal.
Resslers thematische Eingrenzung auf aktivistische Positionen erlaubt es ihm, die komplexe Thematik aus verschiedenen geografischen Perspektiven darzustellen, um einen planetarischen Zusammenhang scheinbar lokaler Ereignisse zu veranschaulichen und so das Ausmaß der weltweiten Katastrophe zu verdeutlichen. Es ist das Verständnis der Klimakatastrophe als systematisches Problem, das Resslers langjährige Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen zwischen sozialen und ökologischen Thematiken unterstreicht: Der Aufruf zum Handeln verbindet die an der Schnittstelle von Protest und künstlerischer Praxis vereinten Positionen und hinterfragt, ob eine solche disziplinäre Unterscheidung im aktuellen Kontext notwendig und zeitgemäß ist.
So kommen die aufblasbaren Kuben von Tools for Action bei öffentlichen Aktionen bei Konfrontationen mit der Polizei als physische Barriere zum Einsatz; im musealen Kontext hingegen besticht ihre metallische Oberfläche und die scheinbar schwerelose Schwebe, in der sie den Ausstellungsraum vertikal erhöhen.
Die zentralen Aktionsformen von Jay Jordan und Isabelle Frémeaux vom Laboratory of Insurrectionary Imagination während des COP21 in Paris im Dezember 2015 prägten maßgeblich das Erscheinungsbild der Klimagerechtigkeitsbewegung. In dem in der Ausstellung gezeigten Film beschreibt Jay Jordan die Rolle von Künstler*innen, sich in die sozialen Bewegungen zu involvieren und diese als Material zu begreifen, und löst so ebenfalls die Grenzen zwischen Kunst und Aktivismus in letzter Konsequenz.
Die Dualität von Resslers Perspektive – zwischen künstlerischer Praxis und kuratorischer Rahmung – wird in der Ausstellungskonzeption deutlich, da er es den Besucher*innen ermöglicht, das Thema des künstlerischen Protests im Kontext von Umweltbelangen durch vielschichtige Informationsebenen zu erschließen: Je nach Vorwissen und Erfahrung der Besucher*innen kann man die Ausstellung als künstlerische Dokumentation der jüngsten Umweltproteste, als Darstellung sozialer künstlerischer Praxis oder als Informations- und Bildungsangebot erleben, um die Komplexität der internationalen und regionalen Anliegen und ihrer Gemeinsamkeiten zu reflektieren.
Dies spiegelt sich auch in dem 32-minütigen Film Mencer Ñi Pewma (2011) des Mapuche Künstlers Francisco Huichaqueo, den er selbst als Mischform zwischen Kuratieren und Heilen positioniert, im Besonderen in Zusammenhang mit der Heilung der kolonialen Wunde. Im Kontext von Resslers künstlerischer Arbeit und im Besonderen in der Kuration der Ausstellung ist diese Methodik sichtbar, indem Ressler die Ausstellung zu einem Ort macht, an dem wir Strategien entwickeln können, um unsere Beziehung zu der beschädigten Welt wiederherstellen zu können. Ein Weiterdenken von kuratorischer Praxis ist ohne eine Institutionalisierung der Fürsorge zu unserer Umwelt nicht mehr denkbar. In diesem Sinne fragt Overground Resistance, von welcher Position und Perspektive aus wir unser Verständnis des Umweltschutzes orientieren und wie uns Kunst und künstlerische Räume dabei helfen können, uns mit einer zerstörten Umwelt und einer prekären Welt zu arrangieren.
Die Anregung zum Umdenken und zur Hinterfragung unserer Lebensrealität, um das Ausmaß der aktuellen Krise aufzuzeigen, ist eine klare Zielsetzung der Ausstellung und unterstreicht die politische Motivation Resslers und der gezeigten Künstler*innen. Eine institutionelle Kritik ist häufig mitgedacht, so auch bei The Natural History Museum, ein mobiles Pop-up-Museum, das 2014 vom Kollektiv Not An Alternative gegründet wurde. Es konzipiert eigenständige Kampagnen, die oft in Zusammenarbeit mit Indigenen Protagonist*innen oder mit unterrepräsentierten Communitys umgesetzt werden. Dabei fokussiert es unter anderem darauf, wie das Sponsoring der Erdölindustrie beeinflusst, was und wie in Museen gezeigt und was komplett ausgeschlossen wird. In der Ausstellung sind zwei Videos von The Natural History Museum zu sehen, die das Houston Museum of Natural Sciences und dessen Sponsor*innen unter die Lupe nehmen.
Die Ausstellung ist eine Anerkennung der vielfältigen (und sich vervielfachenden) Formen des Klimanotstands. Diese Annahme der Ausstellung Overground Resistance erfordert jedoch, dass wir die multisystemischen Krisen mit einem Bewusstsein für die Art und Weise angehen, in der verschiedene Menschen den Ausnahmezustand erleben, um auf der dringenden Notwendigkeit zu bestehen, intersektionale Formen der Solidarität einzubeziehen.
In Übereinstimmung mit der zeitgenössischen indigenen Ökokritik entspringt dieser Ansatz dem Verständnis, dass Umweltzerstörung eines der größeren Systeme ist, die koloniale Herrschaft aufrechterhalten. In dem Bemühen, sowohl unsere vielfältigen und heterogenen Ökosysteme zu bewahren, als auch die wachsende Klimagewalt einzudämmen, ist die hier vorgeschlagene Vorstellung von Fürsorge durch Umweltengagement auch eng mit der Vergangenheit verwoben. Eine Vergangenheit, die die unterschiedlichen Geschichten des Kolonialismus, die Anerkennung von unterdrückten Formen der Resilienz und des Widerstands und die Aufwertung von Überlebenszeugnissen berücksichtigt, die in Anlehnung an Donna Haraway zu einem artenübergreifenden „Aufblühen“ führen können.
Resslers Ausstellung ist eine eindringliche Erinnerung daran, dass die Zeit abläuft, und kann daher als ein Akt des Klimaaktivismus an sich betrachtet werden. Die Ausstellung ist ein Aufruf, den Klimanotstand als planetarisches Problem zu begreifen, ein Plädoyer für politisches und privates Handeln.