Heft 3/2021 - Artscribe


Stefan Panhans/Andrea Winkler – The Pow(d)er of I Am Klick Klick Klick Klick and a very very bad bad musical!

15. Mai 2021 bis 5. September 2021
HMKV Hartware Medienkunstverein / Dortmund

Text: Celina Baljeet Basra


Dortmund. „my resilience ability doesn’t reach infinity.“ (Stefan Panhans & Andrea Winkler, Defender, 2021, gesprochen von Lisa Marie Janke)
Die Ausstellung von Stefan Panhans und Andrea Winkler im Dortmunder HMKV eröffnet sich als Mirage, eingebettet in eine „dazzle camouflage“. Die Wände des zentralen Ausstellungsraums sind mit schwarz-weißen Formen bedeckt, die verwirren wollen: „dazzle camouflages“ wurden während des Ersten Weltkriegs von Kriegsschiffen verwendet, um Intention und Fahrtrichtung unkenntlich zu machen. Es entsteht ein Spielfeld, in dem die Besucher*innen oszillieren wie die körperlosen Stimmen eines digital device. The Pow(d)er of I Am im Ausstellungstitel bezieht sich auf die Glaubenssätze von Prediger*innen der Megachurches in den USA. Ihre massentaugliche Rhetorik bietet einfache Regeln für Glück und Erfolg. Der neoliberale Gott will, dass wir erfolgreich sind.
Andrea Winklers Praxis ist eine künstlerische Recherche zur materiellen und digitalen Infrastruktur unserer Gegenwart. Stefan Panhans schafft in seinen Videoarbeiten, Texten und Fotografien eine Archäologie zeitgenössischer Medien. Gemeinsam konzipieren sie einen transdisziplinären Erfahrungsraum der Postdigitalität.
Marketinghülsen werden als Treibholz am Strand des kollektiven Unbewussten immer wieder neu angespült und sprechen aus ihren Charakteren. Die Kuratorin Inke Arns benennt diesen Zwang im Text zur Ausstellung treffend als Glossolialie, einen Zustand geistiger Entrückung, in dem der Körper zum Gefäß wird. Nach Lacan ist dieses Subjekt radikal exzentrisch. Eine Grundfrage der Ausstellung, die sechs Videoinstallationen und zahlreiche skulpturale und fotografische Arbeiten der Künstler*innen umfasst, ist: Wer spricht, wenn wir sprechen?
Am Anfang des postindustriellen Anti-Musicals Defender, der herausragenden neuen Videoarbeit von Panhans und Winkler, steht eine Reise. Die Reisenden: die Schauspielerinnen Lisa Marie Janke und Anne Ratte Polle, und die Choreografin und Performerin Olivia Hyunsin Kim, in Uniformen aus heller Jeans und schwarzem Hoodie, wahlweise in Mozart- und Marie-Antoinette-Perücken. Wir laufen mit ihnen durch die neonbeleuchteten Gänge eines Parkhauses und hören eine Deepl-Übersetzung1 von Georg Büchners Lenz, gesprochen von einer generisch weiblichen A.I. Stimme. Ein Selbstfindungstrip für A.I. mit Burn-out? Auch Lisa Marie Janke fragt sich: „Ist das jetzt hier unser neues ZU-HAUSE-HEIM-LAB, oder BÜRO-APPARTEMENT oder unser OFFICE CLUB oder was? Oder sind wir hier nur auf interim?“ In Start-up-Sprache ist das Homeoffice zugleich Lab, Hub, Generator, Think Tank, und vieles mehr. Flexibles Multitasking erlaubt auch Schreibtischen und Kunstinstitutionen, dass sie nicht nur eine(r) sind, sondern viele.
Das Etappenziel ist ein SUV, schwer wie ein goldenes Kalb, personifizierte Energie- und Ressourcenverschwendung. Die Performerinnen tanzen, singen, krabbeln und rennen in seinem Wirkungskreis und verharren dann plötzlich erschöpft im Leerlauf. Was wollen sie vom SUV? Beschützen sie das Auto oder beschützt das Auto sie? Ein Hauch des Bösen umweht das Sports Utility Vehicle. Es ist die Stimme von Jeff Bezos, der uns im Musical beschwört: „It’s always day one, you know? Because day two is stasis. Followed by irrelevance. Followed by excruciating, painful decline. Followed by death!“ Das Team aus Defender ist das digitale Unbewusste; ein Schwarm, der mit fremden Stimmen spricht. Byung Chul Hans Müdigkeitsgesellschaft in 4K. Der großartige Soundtrack von Thies Mynther spiegelt die kaleidoskopische Sogkraft der endlosen Ich-Schleife: Wir sind in einem Warteraum gefangen.
Immer wieder blitzen durch die Glossolialie jedoch echte Befindlichkeiten auf. Anne Ratte Polle in venezianischer Maske zum Beispiel, wenn sie „City of Stars“ aus La La Land singt, ist brüchig und wahrhaftig. Und wenn Olivia Hyunsin Kim, vor dem SUV auf dem Boden kniend, fragt, ob du mehr über Amazon Prime erfahren möchtest, ist ihre Müdigkeit real. Lisa Marie Jankes Performance ist von einer kristallklaren Dringlichkeit. Sie stellt die postdigitale Medienarchäologie grandios und auf den Punkt her, immer wieder.
Der SUV in Defender trägt einen Erlkönig von Andrea Winkler: Tarnanzüge für Automodelle, die unsichtbar bleiben sollen. Die Erlkönig-Skulptur veranschaulicht das Prinzip einer Marketingworthülse. Da der SUV nicht in den Lastenaufzug des HMKV passte, sehen wir nun – in einer Pointe à la Des Kaisers neue Kleider, nur umgekehrt – das Nichts, umschlossen von einer geschmeidig gepolsterten Hülle, die als Hybrid zwischen Bild, Skulptur und Körper erscheint.
Das Grundmotiv von Panhans‘ Roman We Just Left Shore (2017) durchzieht auch Defender: auf einer Mission mit ungewissem Ziel, im endlosen Feedback-Loop gefangen. Ebenso in Winklers und Panhans‘ grandioser Videoinstallation Freeroam À Rebours, Mod #I.1 – Installation Version (2017/21) – Fehler, Blockaden und Leerstellen in den Bewegungen von Game-Avataren werden virtuos und raumgreifend in einen hypnotischen Tanz übersetzt. In Panhans‘ ebenfalls gezeigter Videoinstallation Hostel (2018) transfiguriert sich das digitale Unbewusste zu prekären Kulturarbeiter*innen in einer flexiblen Hostelumgebung und trifft ihre Befindlichkeiten im Kern.
Die Kommunikation mit Künstlicher Intelligenz ist ein Treppenhaus, das ins Nichts führt. Die absurden Dialoge des animierten Videos If You Tell Me When Your Birthday Is (Machinima Version) (2020) basieren auf Unterhaltungen der Künstler*innen mit algorithmisch gesteuerten Chatbots. Stimmen und Köpfe stammen von Lisa Marie Janke und Uwe Schmieder, das virtuelle Setting integriert Elemente aus dem Leben der Künstler*innen: eine Socke und leere Ibuprofen-Packungen von Andrea Winkler erscheinen als 3D-Scans in einem surrealen Wald. Zu den Melodien von „Major Tom“ und „Wind of Change“ singt uns Anne Ratte Polle in Defender schließlich die Kernfrage unserer Gegenwart entgegen: „Und wenn die Straßen wegbrechen, fährst du dann VÖLLIG SOUVERÄN trotzdem weiter?“ Am Ende fransen die Phrasen der Performerinnen in Tiergeräusche aus. Das Animal laborans ist pure Reaktion. Es reagiert auf jeden Impuls und wird darin wahnhaft, zerstreut. Dennoch sind die animalischen Geräusche eine Befreiung. Kein Repräsentieren und Bewerben, nur noch: Miauen.

 

 

1 Die Deepl-Desktop-Version hört auch in diesem Moment alles mit. Sie übersetzt automatisch, wenn ich die falsche Taste drücke. Ich weiß leider nicht, wie ich das ausstellen kann.