Heft 1/2022 - Artscribe


Wilhelm Sasnal – Such a Landscape

17. Juni 2021 bis 10. Januar 2022
POLIN, Museum der Geschichte der Polnischen Juden / Warschau

Text: Ulrich Loock


Wie kann eine Malerei die Formen und Spuren zeigen, die das „Verbrechen gegen die Menschheit, begangen am jüdischen Volk“ (Hannah Arendt) dem Land selbst, seiner physischen Gestalt, unauslöschlich eingeprägt haben?

Die Ausstellung Such a Landscape zeigt eine sorgfältig zusammengestellte Auswahl von mehr als sechzig Ölbildern des 1972 in Tarnów geborenen Malers und Filmemachers Wilhelm Sasnal aus den vergangenen zwanzig Jahren (Kurator Adam Szymczyk). Arbeiten nach den Maus-Comics von Art Spiegelman, der expressive Realismus von Landschaftsbildern und Porträts oder die Übertragung von Schriften und Emblemen greifen auf unterschiedliche ästhetische Regimes zurück, um die Modellierung der Landschaft durch Antisemitismus und die Zerstörung des jüdischen Volkes kenntlich zu machen: Der Begriff des Anthropozäns bedeutet dann nicht nur, dass menschliche Produktions- und Konsumprozesse den biologischen, geologischen und atmosphärischen Aufbau des Planeten neu konfigurieren, sondern er bedeutet ebenfalls, dass der zivilisatorische Bruch des 20. Jahrhunderts die Gestalt der Erde verwandelt hat.
Die Ausstellung läuft bis zum 10. Januar 2022 im Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau (POLIN), das 2014 eröffnet hat. Der Name des Museums leitet sich vom hebräischen Namen für Polen her und beinhaltet die Zusicherung, Polen sei ein guter Ort für die Juden.1 Das Museum „presents the 1000 years of Jewish life in the Polish lands“2 in einer ständigen Ausstellung und realisiert in eigens dafür vorgesehenen Räumen auch Wechselausstellungen. Als löste Sasnals malerische Registrierung von „solch einer Landschaft“ jedoch einen geheimen Widerstand aus, sind die Bilder in der Ausstellung Untermalungen und Überschreibungen – verschiedenen Formen von Camouflage – ausgesetzt.

Museumsräume, die den kuratorischen Ansprüchen vermutlich nicht genügten, wurden mit einer eigens konzipierten Architektur überblendet (unter anderem wurden enge, korridorartige Räume gebaut, die nichts als eine Nahdistanz zu den Bildern erlauben), es wurden die Stirnseiten der eingestellten Wände abgerundet (vergleiche zum Beispiel Philip Johnsons Travestie von Mies van der Rohes Konzept des flowing space in der Kunsthalle Bielefeld), und die Wände wurden mit reflektierenden, aber nicht spiegelnden, leicht welligen und beuligen dünnen Metallplatten verkleidet. Die schimmernden, ungreifbaren Flächen lösen die Ausstellungsräume visuell auf (vergleiche Brian O’Dohertys Analyse des White Cube von 1976, mit der er die Krise des Modernismus der Nachkriegszeit an der scheinbaren Immaterialität des zeitgenössischen Ausstellungsraums festmachen konnte), und auf den flüchtigen Wänden isoliert, tritt die physische Realität der Bilder auf befremdliche Weise in den Vordergrund. Die aufgelöste Materialität der Ausstellungsarchitektur wirkt auf der anderen Seite, als hätten die Räume für Wechselausstellungen vom eigentlichen Museum der Geschichte der polnischen Juden isoliert und Sasnals Bilder in einen unvergleichbaren, von der anerkannten Geschichtsdarstellung getrennten, durch ganz eigene visuelle Effekte bestimmten Raum versetzt werden müssen.
Der Titel Such a Landscape ist einem Gedicht von Andrzej Szmidt entnommen, das Ewa Demarczyk 1963 gesungen hat. Anlässlich der Ausstellungseröffnung hat Sasnal gesagt, der Film Shoah von Claude Lanzmann habe ihm gezeigt, dass die Landschaft für immer besetzt sei mit Färbungen und Prägungen, die die Geschichte – die Geschichte der Vernichtung – in oder auf ihr hinterlassen hat. Wieso aber heißt es im Einführungstext zu der Ausstellung, Sasnal sei ein Realist und male nur, was man sehen kann?3
Bezieht seine Malerei sich nicht ganz im Gegenteil genau auf das, was einer besonderen Form der Blindheit verfallen ist? Mit dieser Blindheit sind die Gesichter von mehreren Protagonisten geschlagen, die in der Ausstellung auftreten; sie zeigt sich im malerisch ausgelöschten Gesicht der Übersetzerin von Claude Lanzmann, in den verdüsterten Augenhöhlen und einer weiteren, unerklärlichen Störung des Porträts von Arab 2 sowie dem weißen Feld fehlender Malerei eines González ebenso wie dem mit schmieriger grauschwarzer Farbe und einer schrägen Holzlatte unkenntlich gemachten Hitler.

Zur Ausstellung ist eine besondere, aufschlussreiche Publikation erschienen: Sasnal hat im Rückgriff auf sein ursprüngliches Quellenmaterial (nicht die eigentlichen Malereien) alle ausgestellten Bilder durch Bleistiftzeichnungen wiedergegeben und diese in vielen Fällen zusätzlich kommentiert. Zu González beispielsweise ist zu erfahren: „One from the series of portraits of Jewish musicians. It refers to the pre-war idea of ‘de-Judaization’ of artistic and intellectual life in Poland.”4

Als Maler geht Sasnal auf spezifische Weise photographisch vor: Das Photographische seiner Malerei besteht nicht so sehr in realistischer Wiedergabe (davon sind die Bilder mal weiter und mal weniger weit entfernt), sondern vor allem in der Isolation von Figuren und Gegenständen auf der Bildfläche oder der Beschränkung von situativen Zusammenhängen auf einen abgekoppelten Moment. Dekontextualisierung und das entsprechende Fehlen von innerbildlich hergestellter Bedeutung übersetzen die Unmöglichkeit von umfassender Darstellung und verlangen nach zusätzlichem Text. Diesen stellt Sasnal in Form von Bildtiteln und Kommentaren unterschiedlicher Art zur Verfügung. Umgekehrt hilft die textliche Ergänzung eines Bildes, in diesem zu erkennen, was es nicht zeigt – die Blindheit gegenüber den Zeichen der Geschichte zu umgehen. Folgerichtig beschäftigt sich, initiiert durch Sasnals bildlich-textlichen Konstellationen, ein wesentlicher Teil des Diskurses zu seinem Werk mit der Entzifferung und Erläuterung von dessen Referenzen – in dieser Weise von der Malerei selbst abzusehen, birgt die Gefahr, eine besondere Form der Blindheit, eine Blindheit gegenüber der Blindheit hervorzubringen.

Was die Art und Weise angeht, wie die Farbe auf den Bildträger aufgebracht und zur Gegenstandswiedergabe organisiert ist, nimmt Sasnals Malerei eine verletzende Banalisierung vor – eine Banalisierung nicht dessen, was außerhalb der Malerei liegt und worauf sie sich bezieht, sondern eine Banalisierung der Malerei selbst. Als Hannah Arendt ihren „Bericht von der Banalität des Bösen“ veröffentlichte, löste es Unverständnis und
Empörung aus, dass sie Eichmann nicht als Monstrum, nicht einmal als überzeugten Judenhasser auftreten ließ, sondern er war ein „subalterner Bürokrat“5, der den Befehlen folgte, die „Endlösung“ möglichst effizient umzusetzen. Seinerseits reagiert Sasnal malerisch auf die Geschichte der Vernichtung, indem er scheinbar unangebrachte Szenen lesbarer Belanglosigkeit hervorbringt und die Malerei selbst an den Rand ihres Übergangs in Nicht-Malerei treibt. Etwa die Hälfte der Bilder der Ausstellung sind auf die Verwendung von Schwarz, Weiß und Grau beschränkt, andere tendieren zur Monochromie, und in mehrfarbigen Bildern markieren die einzelnen Farben gegenständliche Unterschiede, ohne den koloristischen Zusammenhang einer „Komposition“ herzustellen. Kontraste zwischen Schwarz und Weiß, aber auch zwischen Groß und Klein oder Nah und Fern können heftig und unvermittelt sein; das Licht schafft keine Verbindungen, die Bilder wirken düster, selbst wenn sich in ihnen Effekte photographischer Überbelichtung niederschlagen. Verschiedene Bilder schließlich sind auf die ausgesprochen „kunstlose“ Wiedergabe einer einfachen graphischen Konstellation reduziert.
Doch Sasnals Banalisierung der Malerei entspringt keiner abfälligen Geste und Banalisierung heißt nicht, dass die Malerei banal ist. Im Gegenteil: Die Banalisierung ist bei Sasnal eine malerische Handlung, die der alltäglichen Banalität widersteht (das sei auch hervorgehoben im Hinblick auf die gegenwärtig überwältigende Präsenz von ästhetisch unbefriedigender Malerei, die mit dem Anspruch auf Gendergerechtigkeit, postkoloniale Korrektheit oder politische Widerständigkeit gegen alle Ansprüche an die malerische Realisierung immunisiert wird) – gegebenenfalls ist Sasnal in der Lage, zur Banalisierung der Malerei hoch entwickelte malerische Erfindungen einzusetzen. Die Banalisierung der Malerei ist der tragende Grund für sein künstlerisches Projekt: Der Selbstverpflichtung darauf, die der Landschaft eingeprägte Vernichtungsgeschichte kenntlich zu machen, wird die Malerei nur gerecht, indem sie die Malerei selbst zur Disposition stellt. Was das Werk von Sasnal so herausragend macht, ist das malerisch übersetzte Eingeständnis, dass es keine – in diesem Fall keine visuelle – Sprache gibt, die von dem vollständigen Bruch von Zivilisation und Kultur unberührt bleibt. Umgekehrt ist einzig durch die Banalisierung der Malerei, die intendierte Beschädigung ihrer Sprache, dasjenige zu erfassen, das umfassender Blindheit gegenüber der Geschichte verfallen ist. Erst der Affront gegen malerische Kultur ermöglicht es, die Blindheit gegenüber von „solch einer Landschaft“ anzuerkennen und ihr genau damit etwas entgegenzusetzen.
Die Einzeichnung der Vernichtungsgeschichte in die Landschaft bedeutet, dass es der geschichtlichen Vergiftung gegenüber keine Möglichkeit der Distanzierung oder Objektivierung gibt. Von Sasnal gemalt, ist eine Anlage zur Schweinezucht als ein Lager zu sehen (Spiegelman stellte in seinen Comics die Polen als Schweine dar); Personen, die in den 1950er- oder 1960er-Jahren Comic-Hefte in Amerika verbrennen, erscheinen als Teilnehmer an einer Bücherverbrennung; ein Haufen Kohlköpfe auf dem Feld beschwört die Leichenberge; eine Rauchwolke von verbrannten Pflanzenresten, gesehen aus dem Zugfenster, wird vom Rauch der Krematorien überlagert. Unweigerlich ist Sasnals eigene Person impliziert: Das Bild eines Schweins aus dem Maus-Comic hat er als sein Selbstporträt bezeichnet, das Torhaus von Birkenau wird am Profil seiner Frau vorbei am ersten Tag des Neuen Jahres aus dem Autofenster gesehen, und auf der freien Fläche vor einem Lager steht das Fahrrad, mit dem er im Sommer 2016 verschiedene Konzentrationslager besucht hat. Sein Fahrrad ist in gleicher Weise eine Einzeichnung in die Landschaft wie die Wachtürme und die Stangen des Zauns.
Sasnals Malerei zeigt die sinnliche Wirklichkeit einer Landschaft, die durch die Vernichtung der Juden geprägt ist, und sie zeigt diese Wirklichkeit, indem sie der Malerei selbst eine unheilbare Störung einschreibt. In der Exposition von unterschiedlichen Konstellationen des zwingenden Zusammenhangs zwischen der Notwendigkeit von Entzifferung und Übersetzung und der Aushöhlung einer jeden Sprache der Darstellung liegt die außerordentliche Bedeutung von Sasnals Ausstellung Such a Landscape.

 

 

[1] https://polin.pl/en/system/files/attachments/miniguide_en_0.pdf, aufgerufen am 3. Juli 2021.
[2] https://polin.pl/en/about-museum, aufgerufen am 30. Juni 2021.
[3] Diese Frage bezieht sich auf die englische Fassung des Ausstellungstextes.
[4] Wilhem Sasnal, Taki Pejzaz. Such a Landscape, POLIN Museum of the History of Polish Jews, 2021, n. p.
[5] Hans Mommsen, „Hannah Arendt und der Prozess gegen Adolf Eichmann“, in: Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München: Piper Verlag, 2014 (1964, 2011), S. 11.