Heft 2/2022 - Artscribe


Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre

7. April 2022 bis 4. September 2022
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Melanie Letschnig


Wien. 1975 ruft die UNO das „Internationale Jahr der Frau“ aus und als ob das nicht schon seltsam genug wäre, schreibt die Fernsehgeschichte des Landes den von Feministinnen kritisch reflektierten Feierlichkeiten ein unrühmliches Ende: Der Journalist Bernard Pivot lädt die damalige Frauenstaatssekretärin Françoise Giroud in eine Fernsehsendung mit dem Titel Encore un jour et l'année de la femme ouf c'est fini! („Das Jahr der Frau. Gott sei Dank! Es ist vorbei!“) ein, um sie mit den Aussagen eingefleischter Sexisten zu konfrontieren. Giroud spielt die „elder stateswoman“, entschärft die Aussagen, relativiert sie, stimmt mit ein. Aus feministischer Sicht ein Trauerspiel – und Anlass für die Insoumuses, sich darüber lustig zu machen. Sie schneiden mit knackig formulierten Inserts und Found Footage von feministischen Märschen gegen die Talkshow-Bilder, kommentieren auf der Audioebene an besonders sexistischen Stellen mit überspitzten Ausrufen und spielen die „Barcarole“ aus Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen ein, in der Sopran und Mezzo gemeinsam eine Liebesnacht musikalisch beschwören, um so kontrapunktisch die abwertenden Aussagen der Männer zum Zwecke der Reflexion zu verstärken.
Diese Art der Intervention mit videotechnischen Mitteln ist typisch für das ästhetische Vorgehen der Nicht-Musen. Eine von ihnen ist Delphine Seyrig, berühmt geworden als Hauptdarstellerin in Alain Resnais’ L'Année Dernère á Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad, FR/IT 1961), die im Laufe ihrer Karriere recht bald beschließt, nicht nur das Herzeigeobjekt zu geben, sondern sich kritisch mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen auseinanderzusetzen, in denen Frauen leben. Gemeinsam mit den Filmemacherinnen Carole Roussopoulos und Ioana Wieder tut sie sich Mitte der 1970er-Jahre zum Kollektiv Les Insoumuses zusammen, um weitverzweigt feministische Videoarbeiten zu verfassen. Das damals neue Portapak-Videosystem unterstützt das Vorgehen der Frauen und ist somit realitätsbildend für die künstlerische Befreiung ganzer Generationen filmschaffender Frauen, denen zuvor der Zugriff auf die große Kinomaschinerie renommierter Studios als auch auf die männerdominierten Wellenbewegungen des Kinos der Nachkriegszeit erschwert worden war.
Wie weitblickend und divers sich die Themenfelder gestalten, auf denen die Insoumuses Lebensrealitäten von Frauen medial politisch bestellt haben, zeigt die von Nataša Petrešin-Bachelez und Giovanna Zapperi kuratierte Ausstellung Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre in der Kunsthalle Wien. Postkarten, Briefe, Zeitungsausschnitte, schriftliche Aufzeichnungen, Fotos, Kostüme, Videomonitore und große Leinwände eröffnen einen reichen Kosmos widerständiger Praxen, die von Frankreich ausgehend Teile der Welt in den Blick nehmen. Der Vietnamkrieg, Angela Davis, die Anti-Psychiatrie- und Pro-Abtreibungsbewegung sind nur einige der Themen, derer sich die Frauen mit der Kamera annehmen, um intersektional reflektierend auf gesellschaftlich und institutionell verfestigtes Unrecht aufmerksam zu machen und Lösungen zu präsentieren. Das Erste, was meine Sinne beim Betreten der Ausstellung beansprucht, ist ein Stimmen- und Geräuschgewirr aus Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“, sich kämpferisch deklarierender Frauen auf einer Demo und Delphine Seyrigs unverwechselbarer Stimme hinter einem schwarzen Vorhang, die als Tonaufzeichnung eines Vortrags den Raum erfüllt. Die Ausstellung ist multisensorisch angelegt und nimmt so den reflexiven Gestus der Insoumuses auf, die sich dessen bewusst sind, dass eine rein visuelle Repräsentation der Anliegen von Frauen immer Gefahr läuft, am idealisierten Abbild haften zu bleiben und auch deswegen den Ton als Mittel der sensuellen Kampfführung so gezielt einsetzen. In einem mit dem Titel „Praktiken des Ungehorsams“ überschriebenen Raum müssen sich die Besucher*innen körperlich in Bodennähe begeben, um auf die ebenerdig platzierten Videomonitore blicken zu können – ein Dispositiv, das auf die gesellschaftliche Marginalisierung jener Menschen verweist, um die sich die hier gezeigten Filme drehen: Prostituierte, Homosexuelle, ungewollt Schwangere wie die Protagonistin in Y’a qu'à pas baiser (Hab einfach keinen Sex, 1971) von Carole Roussopoulos, die eine Abtreibung vornehmen lässt. Ich habe so einen Film noch nie gesehen. Die Frau, die abtreibt, eine Freundin, die sie begleitet, und die Abtreibungsärztin bilden ein intim gefilmtes Triangel, das frei ist von Schuld, starkem Schmerz und Angst. Während die Ärztin der Schwangeren bei vollem Bewusstsein ganz genau die Arbeitsschritte erklärt und dazusagt, wie die Frau den nächsten Eingriff empfinden könnte, fängt die Kamera die Blicke aller Beteiligten ein, fokussiert immer wieder die Vagina der Frau, die abtreibt. Es herrscht Ruhe, kein Stress, die Stimmung ist gelöst. Jene Art der unangenehmen Dramatisierung von Abtreibungen, wie die Mainstreamfilm- und Fernsehgeschichte sie pflegt, wird nicht bedient. Im Vergleich zur eingangs erwähnten Interventionshysterie Maso et Miso wird hier gemäß dem Thema ein gänzlich anderer Ton angeschlagen und darin zeigt sich der versatile Umgang der Insoumuses mit ihrem bevorzugten Medium Video, das als politische Waffe im Kampf gegen patriarchale Allmachtsbehauptungen alternative Perspektiven von Gewicht aufzeigen kann.