Heft 2/2023 - Sharing Worlds


Screen Grabs

Oleksiy Radynski


Wenn ich auf das Bildarchiv auf meinem Handy von Ende Februar und Anfang März 2022 öffne, sehe ich vor allem Bildschirmfotos. Das liegt zum Teil daran, dass in der Anfangsphase des russischen Angriffs auf Kiew das Fotografieren aufgrund von Sicherheitsbedenken stark eingeschränkt war. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich so viele Screenshots von Google Maps und anderen kartografischen Quellen über Nordosteurasien gesammelt habe. Als die Russische Föderation im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, war klar, dass sich der Zerfall des Imperiums in einem noch nie dagewesenen Tempo beschleunigen würde, was möglicherweise auch zum Untergang des gescheiterten russischen Staates in seiner jetzigen Form und zur lang erwarteten Befreiung zahlreicher Nationen und Gemeinschaften führen würde, die noch immer unter seinem kolonialen Joch leiden.
Die hier abgebildeten Screenshots zeigen die aktuellen Grenzen der „nationalen Republiken“, die innerhalb der international anerkannten Grenzen der Russischen Föderation in einer Reihe brutaler, völkermörderischer Landnahmen, die sich über Jahrhunderte erstrecken, noch immer besetzt sind. Die hier dargestellten Grenzen sind natürlich Produkte der kolonialen Aufteilung selbst: Einige wurden eigens entworfen, um im Falle des Zerfalls des Imperiums lokale ethnische Konflikte zu provozieren, andere wurden in aller Eile gezogen, um die Besetzung zu legitimieren. Als Antwort auf den redaktionellen Vorschlag, „‘Teilen‘ anders zu verstehen“ und nach dem „Verbindenden, nicht dem Trennenden“ zu suchen, schlage ich vor, einen genauen Blick auf diese Orte des dekolonialen Kampfes zu werfen, der untrennbar mit der laufenden Befreiung von der faschistischen russischen Armee in der Ukraine verbunden ist.