Heft 2/2023 - Lektüre
„Schade, dass du Mutter wirst, ich mochte deine Kunst immer so gern“, war kürzlich als Zitat in einer Einladung zum Thema Kunst und Mutterschaft zu lesen. Ein blöder Spruch, vielleicht witzig gemeint, aber mit Sicherheit als Chiffre für eine Tatsache zu sehen, die im Kunstbetrieb bitterer Ernst ist: Mutterschaft und Kunstkarriere sind selten kompatibel. Während männliche Künstler nämlich seit jeher Kinder bekommen, ohne größere Einflüsse auf den Verlauf ihrer Karriere befürchten zu müssen, lassen sich internationale Ausstellungsmarathons und die Jagd nach Reisestipendien schlecht mit einem Kleinkind kombinieren, wenn man die Hauptlast der Care-Arbeit trägt.
„Wouldn’t it be glorious if all of this were the stuff of the distant past? If artists didn’t feel pressured to feel between motherhood and a successful career? […] If family was not considered a trap for women, because child care would be equally shared between partners?“, fragt die britische Kunstjournalistin Hettie Judah dazu in ihrem kürzlich erschienenen Kompendium How Not to Exclude Artist Mothers (and other parents) gleich zu Beginn. Denn, so Judah weiter, nicht nur im 19. Jahrhundert wurden Karrieren durch Schwangerschaft abrupt beendet, auch später, selbst innerhalb feministischer Avantgarden der 20. Jahrhunderts blieb die Mutterrolle eine oft als bürgerlich wahrgenommene Idee, die sich mit dem freien Bohemeleben schlecht vereinbaren ließ.
Auf Basis von 50 Interviews, etwa mit Künstlerinnen wie Camille Henrot, Emma Talbot oder Jenny Saville, sowie zahlreichen Studien zeichnet der Band dann ein ebenso konzises wie ernüchterndes Bild darüber, welcher Phalanx an Problemen sich Eltern im Kunstbetrieb gegenübersehen: der (reale oder vermeintliche) Zeitverlust in einem karrierekritischen Alter, unflexible Studien- und Stipendienbedingungen, vor allem aber die irrationale Angst vor „Mommy Art“, die in zahlreichen Galerist*innen und Professor*innen tief sitzt. Und nicht zuletzt auch der widersprüchliche Druck von innen und von außen. Kehrt man als Mutter ins Atelier zurück? „You will be looked at as a mother who doesn’t care for her children properly to do a job that is unpaid and only benefits her glory“, zitiert Judah eine Kollegin.
„Am Tisch sagte L neulich, man dürfte nicht reich sein, denn dann hätte man gar keinen Platz in der Wohnung, weil alles voller Geld wäre. Ich hätte fast angefangen zu weinen. Soll er doch reich werden. Vermittle ich ihm versehentlich, dass reich sein nicht erstrebenswert ist?“ Dies schreibt die Künstlerin Jenny Schäfer, die mit Arbeitstage gerade ein ganz anders gelagertes Buch zum Thema vorgelegt hat: ein Jahr im echten Leben einer in Hamburg lebenden Künstlerin mit Kind und Nebenjob – verhältnismäßig erfolgreich, mehrfach ausgezeichnet, und trotzdem an der nervlichen und finanziellen Kippe. Denn der Nebenjob in einer Kita – Brote schmieren, rinnende Nasen putzen – ist die eigentliche Hauptverdienstquelle, während die unbezahlte Care-Arbeit zu Hause die restliche Zeit frisst. Es ist ein Tagebuch, gnadenlos ehrlich, in dem mal ausufernde Sätze, mal hingeworfene Fragmente das Leben zwischen Antragsformularen, Atelier und Lidl-Schlemmerfilet festhalten. Jeder Gedanke wird in dieser Flut an luziden Alltagsbeobachtungen gleichwertig: Logisch, wenn eine täglich Schleich-Tiere oder Tupperdosen mindestens genauso lang beschäftigen wie künstlerische oder erzieherische Entscheidungen.
Dabei greifen die beiden Bücher an vielen Stellen ineinander. Ein vages Schuldgefühl, die Angst, sich an vielen Fronten zu zerreiben, zieht sich durch zahlreiche von Judahs Interviews ebenso wie durch Schäfers Text, und wenn Judah strukturelle Probleme anspricht, dann blitzen sie in Arbeitstage zwischen den Zeilen auf, in den vielen To-do-Listen, ständigen, banal wirkenden Problemen, die trotzdem zermürben. Natürlich fehlen auch viele eingestreute Glücksmomente nicht. Aber als etwa ein Auszug aus Schäfers Buchs mit dem Hamburger Literaturpreis prämiert wurde, geriet auch die Preisverleihung zu einem ernüchternden Erlebnis, da gleichzeitig ein problematisches Kinderbuch ausgezeichnet wurde.
Die Lösung? Judah zeigt in ihrem Band immer wieder Best-Practice-Beispiele auf, neue Arten von Residencies, gezielte Förderungen, lokale Zusammenschlüsse oder subversive Projekte wie den Online-Artspace asterisk*1, der Künstler*innen die Chance gibt, die Kinderlücke im Ausstellungs-CV mit einer fiktiven Show zu füllen: Wenn in den Köpfen die Blockaden festsitzen, dann müssen institutionelle Unterwanderungen und politische Eingriffe die Kunstwelt inklusiver machen. Die Metaerkenntnis aus beiden Büchern scheint aber eine andere: Dem in der Kunstwelt immer noch vorherrschenden Geniekult, bei dem nur geistige Arbeit zählt, muss endlich eine Erzählung entgegengesetzt werden, die der tatsächlichen Lebensrealität der meisten Künstler*innen entspricht. Judah: „It has become unacceptable to ask a woman in any career how she balances domestic and working life. For good reason: We don’t ask men these questions. […] but sometimes, in the right context, these forbidden questions become important, and in failing to ask them we end up maintaining the very structures that make it hard for working parents to thrive.“ Wenn also bei den anderen immer alles besser zu laufen scheint, hilft anstatt eisernem Durchkämpfen vielleicht mehr Offenheit, mehr Austausch. In der Kunst geht es doch um existenzielle Erfahrungen. Mutterschaft ist definitiv eine davon.