Heft 2/2023 - Lektüre



Jürgen Engel/Christian Welzbacher (Hg.):

The Making of a Mosque

Djamaâ el-Djazaïr – Die große Moschee Algier von KSP Engel

Zürich (Park Books) 2022 , S. 72 , EUR 48

Text: Jochen Becker


Die alte Kasbah und die neue Moschee rahmen Algiers weitgestreckte Bucht ein, auch wenn die sich auf über 1.200 Quadratkilometern erstreckende Stadt da längst nicht endet: Mindestens vier Millionen Einwohner*innen soll die Metropole zählen. Über die verwinkelte Altstadt mit dem Place des Martyrs, die baumbestandenen französischen Kolonialachsen und betonmodernen Anlagen kurz vor und nach der Befreiung 1962 – darunter Oskar Niemeyers spektakuläre Universitätslandschaft – führt der Weg hinaus Richtung Osten, wo mit der Djamaâ el-Djazaïr nun Afrikas größte Moschee aufragt.
Diese Freitagsmoschee ist als religiöser und sozialer Treffort konzipiert und umfasst ein Kulturzentrum mit Cinemathek aus vier Sälen sowie Archiv, Hochschule, Museumshochhaus, Kongresszentrum, Gärten, Läden und Marktplatz, Hotel, Tiefgarage und Feuerwache. Daneben erschließt die zentrale Stadtautobahn neu geformte Uferzonen am Mittelmeer, mit künftiger Oper und Museen sowie Wohnquartieren bis hin zum Flughafen, während der stinkende Ausfluss eines Kanals mit steten Parfümwolken übertüncht wird.
Durch die restriktive Visapolitik der Algerischen Demokratischen Volksrepublik strömen außer Exilant*innen aus Frankreich kaum Tourist*innen in die Region; dafür arbeiten hier aber 50.000 Chines*innen alleine für das Staatsunternehmen CSCEC. Sie errichten auf diversen Baustellen Algeriens Wohnungen, Verkehrswege, ein Musiktheater oder den Flughafen und unterhalten eigene Märkte und Restaurants, während die begehrten Waren aus China per Containerschiff im Hafen von Algier eintreffen. Im Zuge des Projekts Chinafrika. under construction war ich selbst vor Ort, um in dem abgekapselt wirkenden Land mit seiner inneren ethnischen Vielfalt zumindest von außen den Bau der Großen Moschee von Algier bis hin zu den bald schon weggebaggerten Fischerkaten zu verfolgen. Fotografieren oder gar Filmen ohne Genehmigung ist eigentlich verboten, worauf man von besorgten Einwohner*innen immer wieder hingewiesen wird. Doch erst direkt vor der Moschee schritt ein Zivilbeamter ein.
Nun liegt ein Prachtband vor, der von allen Seiten diesen Monumentalbau ablichtet und beleuchtet. Die modern wirkende „Stadt in der Stadt“ ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, wurde doch in einem internationalen Wettbewerb 2007 wegen bewährter Deutscher Wertarbeit das Frankfurter Büro KSP Engel gemeinsam mit der süddeutschen Ingenieurfirma Krebs+Kiefer International durch die staatliche Religionsagentur ANARGEMA ausgewählt. Zur Vertragsunterzeichnung kam neben dem totkranken Staatspräsidenten Bouteflika auch Bundeskanzlerin Merkel. Errichtet wurde das durch Sandstürme und Erdbeben gefährdete Projekt nicht ohne interne Konflikte von der China State Construction Engineering Corporation mit der Unterstützung einer kanadischen Projektsteuerung sowie einer italienischen Firma: „Bei den turnusmäßigen offiziellen Besichtigungen des Baufortschritts waren immer drei, vier Botschafter anwesend.“ (Jürgen Engel)
Als ich 2017 das letzte Mal die weit fortgeschrittene Baustelle aufsuchte, war das Frankfurter Team von heute auf morgen vom Hof der „multikulturellen Baustelle“ gejagt worden – nicht einmal ihre Unterlagen konnten sie mehr einpacken. Bis zur Fertigstellung 2020 legten sich die Wogen, weshalb nun in drei verschiedenen Sprachausgaben – allerdings nicht auf Arabisch – der Architekt Jürgen Engel gemeinsam mit dem Journalisten Christian Welzbacher das Projekt auch in Buchform präsentieren kann. War bislang das 20 Jahre nach der Befreiung als säkulares Monument der Opfer errichtete Monument Maqam Echahid Algiers alles überragendes Stadtzeichen, prägt nun der Islam mit weltlichen Zügen sein Großzeichen in die Stadtsilhouette ein. Das Minarett wurde auf Wunsch des Präsidenten das höchste der Welt, zugleich Afrikas erhabenstes Hochhaus, und 2018 wurde der Staatsbau auf einem Geldschein verewigt.
Die für 120.000 Besucher*innen ausgelegte drittgrößte Moschee der Welt erstreckt sich über 26 Hektar und ragt mit einem multifunktionalen Minaretthochhaus 265 Meter in die Höhe. 2007 umfasste die Ausschreibung gerade einmal eineinhalb Seiten; für die Baugenehmigung wurden 17.000 Dokumente auf einem Laster angeliefert, auch weil viele Sonderwünsche hinzukamen. 60 Architekt*innen und knapp 100 Ingenieur*innen planten das Projekt in acht verschiedenen Bauteams; bis zu 4.000 chinesische, italienische und algerische Bauarbeiter*innen errichteten den Gebäudekomplex und unterhielten Selbstversorgergärten, eine Fischzucht und das allseits beliebte Restaurant gleich neben ihren Unterkünften auf dem Areal. Die Ingenieur*innen hielten mit Grillabenden dagegen.
Der kosmopolitane Stadtteil Gottes ist robustes Resultat aus Perfektion und Pragmatismus. Doch sei der „Grat zur Fahrlässigkeit“ zumindest aus europäischer Sicht sehr schmal gewesen. Während die mehr als 600 Multifunktionssäulen aus Deutschland angeschifft wurden, bastelten die chinesischen Kräfte alle nur erdenklichen Hilfsmittel, Werkzeuge, Erschließungsbrücken und Kühlsysteme aus Eiswürfeln und Plastikflaschen selbst; das Buch widmet diesen freigestellt fotografierten Objekten zu Recht mehrere Seiten. Ebenso sorgfältig finden die vielfältigen kaligrafischen und handwerklichen Elemente eines insgesamt statisch herausfordernden und hochwertig gefertigten Komplexes Beachtung. Die Grundfigur aus vier Quadraten zeugt von Engels Zeit als Büroleiter bei O. M. Ungers und wirkt zugleich wie das Berliner Band des Bundes.
Das Buch enthält neben dem faksimilierten Skizzenbuch von Jürgen Engel die prägenden Fotografien von Schnepp Renou, welche viele Details und zugleich den urbanen Kontext zeigen. Zudem gibt der Band auch einen Schnellkurs, was die Stadtentwicklung von Algier betrifft.