Heft 2/2023 - Sharing Worlds
Am Postulat des Anthropozäns als geologischer Epoche, die von den Folgen der industriellen Aktivitäten des Menschen charakterisiert ist, lässt sich ablesen, wie tiefgreifend die heutige Umweltkrise ist. So schreiben Déborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro: „Das Anthropozän hat eine echte metaphysische Krise zur Folge, führt es uns doch das Szenario eines ‚Endes der Welt‘ so empirisch, wie es nur geht, vor Augen, nämlich als einer für unsere Spezies katastrophalen Veränderung der Lebensbedingungen.“1 Das Anthropozän steckt also das Feld einer ontologischen und epistemischen Unsicherheit ab, die uns dazu zwingt, die Beziehungen zwischen Umwelt und Mensch jenseits der dualistischen Erkenntnistheorie des Westens neu zu denken.
Der Begriff einer „mehr-als-menschlichen Welt“ soll diesen Gegensatz zwischen Natur und Kultur überwinden, indem er unsere Auffassung des Zusammenlebens erweitert. Der durch David Abrams Ökophänomenologie2 populär gewordene Begriff („more-than-human world“) ist als offenes Spektrum der Wechselbeziehungen zwischen belebter und nicht-belebter Welt definiert. Gemeint ist also eine Welt, die menschliche Gesellschaften einschließt und zugleich über sie hinausgeht, indem sie diese mit den komplexen Netzwerken zahlloser Wesen, die sich die Erde als Lebensraum teilen, verbindet. Dazu gehören die Zyklen von Tieren, Pflanzen, von Wasser, Luftmassen und Gesteinen. Unter diesem erweiterten Blickwinkel stellt Abram nicht nur die Ausnahmestellung des Menschen infrage, die der derzeitigen Umweltkrise zugrunde liegt, sondern zielt auch auf eine speziesübergreifende Organisation unseres Planeten in Zukunft.
So erklärt Abram: „Boden und Horizont – beide gewährt uns einzig die Erde.“3 Diese Grundannahme einer gemeinsamen Erdverbundenheit macht erst deutlich, wie sich die subtilen Wechselwirkungen aller Lebewesen auf dem Planten manifestieren. Die verschiedensten terrestrischen Wesen mit ihren Besonderheiten und körperlichen Unterschieden werden dadurch in ihrem jeweils eigenen Empfindungsvermögen anerkannt.
Erkennt man, dass die Welt mehr-als-menschlich ist, so versteht man auch, dass es noch andere „Subjekte“ gibt, mit körperlich unterschiedlichen Erlebniswelten, die in Summe einen weiten intersubjektiven und interkorporealen Horizont ergeben. Das Universum besteht aus unzähligen Arten, deren Wechselbezüge und (Nicht-)Interaktion auf die Existenz von etwas verweisen, das María Puig de la Bellacasa als „lebendiges Netz wechselseitiger Verletzlichkeit“4 bezeichnet hat. Die Beziehungen, die aus der Verletzlichkeit aller Wesen folgen, die auf und von dieser Erde sind, verbinden somit alle mehr-als-menschlichen Daseinsformen miteinander. Diesbezüglich ist es vonnöten, die mechanistische Sichtweise, derzufolge Tiere, Pflanzen und andere nicht-menschlichen Entitäten einzig nach ihrem Instinkt handeln, zu dekonstruieren.5 Diese anderen Wesen, mit denen wir uns den Lebensraum teilen, sollten vielmehr als Subjekte mit eigenen intentionalen Horizonten verstanden werden.
Abram6 fasst jede mineralische, pflanzliche oder tierische Entität auf der Erde als „tellurische“ Variante der Strukturen und Zyklen ein und desselben fühlenden Kosmos auf. Will man einen neuen Bezugspunkt festlegen, von dem aus dieses lebende Geflecht mit Sinn erfüllt wird, so muss man als Erstes den Isolationismus des Menschen gegenüber den anderen Wesen, die wie er zur Dynamik der Biosphäre beitragen, zu überwinden versuchen. Dazu könnte man eine, dem Animismus traditioneller Völker entlehnte Erweiterung des Denkens in Betracht ziehen,7 die das aktive Fühlen miteinbezieht, das alle Wesen auf unserem Planeten miteinander verbindet.
Durch den Klimawandel verändern sich die mehr-als-menschlichen Beziehungen ganzer Gegenden, und das führt auch zu existenziellen Ungleichgewichten. Geht es um das Ziel einer heute dringend notwendigen „Umweltgerechtigkeit“, ist es daher entscheidend, die Beziehungen im Einzelnen aufzuschlüsseln und herauszufinden, wie sie vor dem Hintergrund der inzwischen stark fragmentieren Ideologien neu verknüpft werden können.
Die prekären Bedingungen des Anthropozän haben auch das Interesse von Kulturgeograf*innen an sozioökologischen Problemen geweckt. Ihre jüngste Hinwendung zu den Daseinsweisen und räumlichen Anordnungen mehr-als-menschlicher Entitäten hat zu einer großen Themen- und Begriffsverschiebung innerhalb des Fachs geführt. So schreibt etwa Jamie Lorimer, dass sich immer mehr Kulturgeograf*innen für neue Ansätze wie Tierstudien, Biophilosophie und andere mehr-als-menschliche Perspektiven interessieren.8 Sie wollen Landschaften und Orte auf Basis der Interaktion zwischen den soziokulturellen und den nicht-menschlichen Elementen des Raums neu denken. Zu den nicht-menschlichen Entitäten und Kräften, die sie in ihren Studien betrachten, gehören Elefanten9, Rentierherden10, Fahrräder11, Bäume12, Gärten13 und vieles mehr.
Dadurch, dass sie die Bewohner*innen unseres Planeten in ihrer Körperlichkeit und Vielstimmigkeit auffassen und Methoden des „Denkens-mit“ entwickeln, liefern diese kulturgeografischen Studien Ansätze, um Gemeinsamkeiten zu sehen, die über den kartesischen Dualismus hinausgehen. Sie verbessern und erweitern damit auch die Erklärungskraft geografischer Begriffe in Bezug auf nicht-menschliche Entitäten, besonders jene von Ort und Landschaft.
Mehr-als-menschliche Ansätze in der Kulturgeografie zeichnen sich durch ihr Interesse an den verschiedenen Organisationsformen, die unterschiedliche Spezies miteinander unterhalten können, aus. Dabei stehen Methoden und Perspektiven im Mittelpunkt, mit denen sich der Hang zum menschlichen Exzeptionalismus überwinden lässt, üblicherweise im Zusammenspiel mit posthumanistischen, postkolonialen, ökofeministischen und/oder ökophänomenologischen Sichtweisen. All diese Ansätze sind relational. Sie umfassen auch Bio- und Geokomponenten, die charakteristisch für unsere mehr-als-menschliche Welt sind.
Mehr-als-menschliche Geografien
In vielen Bereichen hat sich die Interpretation von Bedeutungen und Repräsentationen mehr in Richtung einer Logik des Affekts verschoben. Affekte sind Kräfte unterschiedlicher Intensität, die alle Subjekte, die „viszeral“ in den Forschungsprozess involviert sind, interkorporeal und intersubjektiv betreffen.14 Gelangt man über die reduktive Deutung von Affekten als rein irrational oder als erhaben hinaus, erscheinen sie mithin wie ein Wechselspiel körperlicher Interaktion, die Emotionen, Wahrnehmungen und Imaginäres gleichermaßen umfasst. Puig de la Bellacasa verweist darauf, dass „Situationen, in denen man sich um andere kümmert, auch asymmetrische, multilaterale und asubjektive Pflichten implizieren, die mehr als nur menschliche Materialitäten umfassen“15. So entstehen affektive Interaktionen zwischen körperlich verschiedenen Entitäten innerhalb eines in jedem Fall spezifischen Erfahrungsgefüges.
Der Kontakt mit anderen tellurischen Formen reaktiviert und belebt auch die menschlichen Sinne.16 Die affektiven Ansätze in den mehr-als-menschlichen Kulturgeografien ermöglichen ein Eintauchen in den Kosmos von Pflanzen, Tieren und Atmosphären. Geograf*innen, die sich von solchen Primärformen der Interkorporealität leiten lassen, können so auch neue Ansätze entwickeln, wie sich geografische Situationen verändern lassen bzw. man sich von ihnen verändern lassen kann.
Dazu schreibt Jamie Lorimer, dass eine mehr-als-menschliche Geografie die Aufmerksamkeit auf die systemische Bedeutung körperlicher, affektiver und nicht-menschlicher Elemente zu lenken imstande ist.17 Die Betrachtung der Wirkungsweise jener interagierenden Elemente, die die geografische Wirklichkeit beeinflussen bzw. von ihr beeinflusst werden, ermöglicht die Beobachtung jener Bedingungen, die sich aus den prekären interkorporealen Situationen des Zusammenlebens und/oder den Spannungen ergeben, welche mit der Praxis der Ortsgestaltung (place-making) verbunden sind.
Diese Geograf*innen tauchen also in die Umwelt ein, um sich neuen affektiven Atmosphären und Formen des Andersseins anzunähern. Damit wird aber ihre wissenschaftliche Praxis selbst zu einem kreativen Kontext, der affektive Verbindungen schafft, schließlich verbindet sich ihre relationale Aktivität mit sonst als künstlerisch, poetisch und/oder immersive erachteten Handlungen.
Künstlerische Vokabulare und Methoden auf die Forschungspraxis der Kulturgeografie zu übertragen, bietet somit eine Chance, nicht-menschlichen Welten näherzukommen. Die Künste erlauben es, einen Kosmos der Wechselseitigkeit zu schaffen, der die Aufmerksamkeit für die anthropozänen Umweltbedingungen erhöht. Wenn unser Zeitalter, wie Haraway meint,18 durch Brüche charakterisiert ist, dann besteht eine Aufgabe der Künste und Geisteswissenschaften darin, Handlungs- und Denkweisen herauszuarbeiten, die dieses Zeitalter so kurz wie möglich halten und neue Formen des Zusammenlebens in Aussicht stellen – kurz, die Zuflucht und Alternativen bieten.
Mehr-als-menschliche Kulturgeografien nähern sich den Künsten, ohne deren Repräsentationsweisen zu übernehmen. Gleichzeitig setzen sie sich aber auch von ästhetischen Themen und Bedeutungen ab, die durch die Symbolsysteme der Künste bereits vordefiniert sind. Umgekehrt betrachten sie den Kontakt zwischen Kunst und Wissenschaft als schöpferisches Engagement mit der Welt, bei dem die Sinne durch die intersubjektive Interaktion aller involvierten Entitäten eine Auffrischung erfahren.19
Die unterschiedlichen Wesen auf der Erde, so Haraway weiter,20 interagieren nicht nur, sondern „kennen“ sich auch. Alle denken sie in Narrativen bzw. Welten, und das mit einem Wissen, das man mit kartesischen Kategorien und Maßstäben nicht fassen kann. Stattdessen erlebt man den vielstimmigen existenziellen Raum der Erde, indem man mit ihr in imaginativen, poetischen, sinnlichen und empathischen Kontakt tritt. Das Erfassen des gemeinsamen Affekts aller tellurischen Körpervariationen erfordert auch alternative Formen der Aufmerksamkeit und Repräsentation seitens der Geografie.
Die Existenz anderer Wesen geografisch zu erfassen, erfordert somit, offen zu sein für deren Affekt und Wissen. Nur so kann auf Basis des „stimmlosen Ausdrucks“ der Erde eine gemeinsame Sprache entwickelt werden. Das bedeutet, sich von Begegnungen mit anderen so beeinflussen zu lassen, dass dies Veränderungen in den Formen des Andersseins begünstigt und den gemeinsamen Aufbau einer neuen Welt befördert. Es geht darum, wie man in der Welt in einem mehr-als-menschlichen Zusammenhang weiter existieren kann.
Vitale und atmosphärische Geografien
Einen Teil der mehr-als-menschlichen Kulturgeografie bildet die Vitalgeografie. Sie beschäftigt sich vornehmlich mit der Ortsgestaltung durch Tiere und Pflanzen. Als Teildisziplin erforscht sie, wie sich mehrere Spezies über die Körperkontakte unterschiedlicher Wesen miteinander arrangieren können. Intersubjektivitäten, Affekte und Erlebnisweisen des Mehr-als-Menschlichen sind hier vorausgesetzt, zugleich geht es darum, das jeweils eigene existenzielle Ortsgefühl zu verstehen.
Thema ist eine mehr-als-menschliche Körperlichkeit, zugleich diffus und über unterschiedliche Spezies miteinander verknüpft, wobei eine Art räumliches Ethos der gegenseitigen Abhängigkeit von Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt im Mittelpunkt steht. Auch wenn jede dieser Welten variable Dimensionen besitzt, fördert das Erkennen von Gemeinsamkeiten unter mehr-als-menschlichen Wesen multiple räumliche Verschränkungen zutage. Eine diesbezügliche Grundannahme geht von der autonomen, vitalen und gesellschaftsfähigen Handlungsfähigkeit der beteiligten nicht-menschlichen Wesen aus.
So offenbart eine spannende Studie von Maan Barua die Bedingungen, unter denen der im indischen Dorf Sundapur selbst gebrannte Schnaps Sulāi Einfluss auf die affektiven Beziehungen und die räumliche Konkurrenz zwischen Menschen und Elefanten nimmt. Offengelegt werden in dieser ethnogeografischen Untersuchung die mikropolitischen und kulturellen Umstände des mehr-als-menschlichen Zusammenlebens an einem ganz bestimmten Ort. So suchen die riesenhaften Tiere immer wieder nach dem Gebräu und reagieren unter seinem Einfluss aggressiv, was zeigt, dass die Biopolitik des Orts auf relationalen Widersprüchen beruht, die durch menschliche Eingriffe hervorgerufen werden.21
Ein anderes Beispiel liefert die Arbeit von Catherine Philips und Jennifer Atchinson, die untersucht haben, wie in australischen Städten Bäume miteinander interagieren und auf diese Weise mehr-als-menschliche Welten ausgestalten. Anhand biografischer Berichte und poetischer Äußerungen über die Sensibilität dieser Pflanzen decken die Autorinnen Netzwerke des kreativen Zusammenwirkens von menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten auf. Die von ihnen analysierten Narrative zeigen die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Menschen, die gemeinsam Städte in Orte des Zusammenlebens mehrerer Arten verwandeln. Die Beobachtung der subtilen relationalen Zusammenhänge, die das Miteinander und Empfinden der erforschten Wesen kennzeichnen, ist dabei ihrerseits sehr einfühlsam.22
Hannah Pitt, um noch ein drittes Beispiel hier anzuführen, folgert aus ihrer Studie über die Wechselwirkung von Menschen und Pflanzen in Gemeinschaftsgärten, dass es ethisch unumgänglich sei, den Pflanzen aktives Handeln zuzuerkennen.23 Begreift man diese als autonome Wesen, überwindet man den falschen kartesischen Dualismus, demgemäß sie bloß passiv ohne jegliches Empfinden vor sich hin vegetieren. Das mechanistische Denken, auf dem dieser letztgenannte Gedanke beruht, ist Teil der Argumentationskette, mit der auch die heutige Ökokatastrophe gerechtfertigt wird. Vertreten Geograf*innen demgegenüber einen vitalistischen Standpunkt, können sie gemeinsam zu einer antihegemonialen Wahrnehmungsweise in Bezug auf unsere Beziehungen zu Pflanzen und Tieren beitragen.
Diese Vitalgeografien dienen allesamt dazu, Spannungen, Unberechenbarkeiten, Diskontinuitäten, Wechselwirkungen und gemeinsame Lebensräume im Anthropozän deutlich zu machen. Will man Wesen, deren Körperlichkeit sich stark von der menschlichen unterscheidet, interaktiv beobachten, muss man die Variationen ihrer mehr-als-menschlichen Welt sorgfältig erkunden. Die Forschungen richten sich daher nicht nur auf Seinsweisen, die sich körperlich stark unterscheiden, sondern auch im Hinblick auf ungewöhnliche Topologien und geografische Realitäten.
Die Atmosphärengeografie ist eine weitere wichtige Teildisziplin der mehr-als-menschlichen Geografien. So argumentiert Gail Adams-Hutcheson, dass der in diesem Feld angewandte Atmosphärenbegriff beide Bedeutungen des Worts umfasst – das affektiv-aurale Feld von Lebewesen und Dingen einerseits, aber auch die üblichen troposphärischen Erscheinungen andererseits.24 Diesbezüglich verdeutlicht Dylan Trigg, dass „die Doppelbedeutung von Atmosphäre als etwas Subjektives und Objektives ermöglicht, sie als gemeinsame Grundlage von Einzelwesen zu begreifen“25. Diese Gemeinsamkeit umfasst die mehr-als-menschlichen Wechselbeziehungen, die sich ergeben, wenn man das „Denken-mit“ in Bezug auf vielfältigste Arten und deren In-der-Welt-Sein in den Mittelpunkt rückt.
Die atmosphärische Durchlässigkeit und der dynamische Fluss von Gefühlen, Körpern und Objekten legen eine neue Auffassung der variablen Beziehungen zwischen fühlenden Entitäten nahe, die sich ein Ökotop miteinander teilen. Atmosphären können ungestüm, mild oder anstrengend, erhaben oder aufregend, behaglich oder bedrückend sein. So zeigte Adams-Hutcheson in ihren Forschungen in Neuseeland auch, wie die saisonalen Zyklen der Troposphäre das Gefühl und die Haltung der Kleinlandwirt*innen zu ihrem Netzwerk aus Tieren, Pflanzen, Landmaschinen, Niederschlag und Wattenmeeren beeinflussen. Sie hält fest, dass das Eintauchen in Atmosphären diskrete und dynamische Verbindungen beobachtbar macht, die auch die Körperlichkeit der unterschiedlichsten Wesen umfassen.26
Laut Trigg kann eine Atmosphäre durch die Art von Adhäsion definiert werden, die sie auf die Körper ausübt, mit denen sie in Wechselwirkung steht.27 Paul Simpson wählte diesen Ansatz bei seiner Studie über die widersprüchlichen Haltungen von Radfahrer*innen zu ungünstigen Winden an der britischen Küste.28 Neben der „Atmosphäre“, die aufgrund der Aktivität des Fahrradfahrens selbst entsteht, erzeugt die Troposphäre gleichzeitig eine Art Gegenatmosphäre, die die Bewegung der Radfahrer*innen behindert. Das Zusammenspiel dieser Elemente erzeugt also eine affektive Gemengelage, die von einer ortsgebundenen, mehr-als-menschlichen Wechselseitigkeit charakterisiert ist. Die Atmosphärengeografie rückt in Summe den Zusammenhang von Bedeutungen, Stilen und Affekten in den Vordergrund, die aus dem Amalgam diversester mehr-als-menschlicher Akteur*innen entstehen und sich in situativ variablen Räumen entfalten.
Schlussbemerkung
Am Horizont unserer desolaten Geografien zeichnen sich im Anthropozän immer deutlichere Brüche ab. Diese drohende Katastrophe wirkt sich auf alle neuen mehr-als-menschlichen Denkweisen aus. Diesbezüglich gilt es, die Intersubjektivitäten und Verstrickungen zwischen allen irdischen Wesen anzuerkennen und jene Dualismen zu überwinden, mit denen die Umweltkrise gerechtfertigt wird.
Nur indem man die Beschränkungen der herkömmlichen geografischen Disziplin in Richtung der Veränderungspotenziale, die mehr-als-menschliche Welten bieten, überschreitet, lassen sich Möglichkeiten eines neuen Zusammenlebens auf der Erde aufzeigen. Die Untersuchung der räumlichen Existenzbedingungen verschiedenster Entitäten birgt das Potenzial, dass die Verletzlichkeit, Wechselseitigkeit, Instabilität und Affektivität von Orten tatsächlich auch erfahrbar werden. Diesbezüglich weisen die kulturgeografischen Untersuchungen der Handlungsfähigkeit von Objekten, Atmosphären, Pflanzen und Tieren neue Wege zu einem irdischen Zusammenleben.
Ein Eintauchen in die gemeinsame Verwundbarkeit von Orten, die von verschiedensten Wesen bewohnt werden, wird erst möglich, wenn man die Wechselwirkungen und Widersprüche der geografischen Spannungssituationen von heute erkennt. Das geografische Wissen für diese empfindsamen Netzwerke zu öffnen, erlaubt es, unterschiedliche Seinsweisen bzw. das Erdendasein (being-in-and-of-the-Earth) besser zu verstehen, sodass der Ausnahmestatus des Menschen überwunden und die Möglichkeiten des Lebens in all seiner mehr-als-menschlichen Vernetzung ausgeschöpft werden können.
Übersetzt von Thomas Raab
[1] Déborah Danowski/Eduardo Viveiros de Castro, Há mundo por vir? Ensaio sobre os medos e os fins. Florianópolis 2017, S. 48.
[2] Vgl. David Abram, The Spell of the Sensuous: Perception and Language in a More-than-human world. New York 1996.
[3] Ebd., S. 131.
[4] María Puig de la Bellacasa, Matters of Care: Speculative Ethics in More Than Human Worlds. Minneapolis 2017, S. 141.
[5] Vgl. Donna Haraway, When Species Meet. Minneapolis 2008.
[6] Vgl. David Abram, Becoming Animal: An Earthly Cosmology. New York 2010.
[7] Vgl. Deborah Danowski/Eduardo Viveiros de Castro, The Ends of the World. Cambridge 2017.
[8] Vgl. Jamie Lorimer, Moving image methodologies for more-than-human geographies, in: Cultural Geographies, 17/2, 2010, S. 237–258.
[9] Vgl. Maan Barua, Volatile ecologies: towards material politics of human-animal relations, in: Environment and Planning A, 45/1, 2013, S. 1–17.
[10] Vgl. Hayden Lorimer, Herding memories of humans and animals, in: Environment and Planning D: Society and Space, 24/1, 2006, S. 497–518.
[11] Vgl. Paul Simpson, Elemental mobilities: atmospheres, matter and cycling amid the weather-world, in: Social and Cultural Geography, 20/8, 2018, S. 1–20.
[12] Vgl. Catherine Phillips/Jennifer Atchinson, Seeing the trees for the (urban) forest: more-than-human geographies and urban greening, in: Australian Geographer, 51/2, 2018, S. 155–168.
[13] Vgl. Hannah Pitt, On showing and being shown plants – a guide to methods for more-than-human geography, in: Area, 47/1, 2015, S. 48–55.
[14] Vgl. Sarah Whatmore, Materialist returns: practising cultural geography in and for a more-than-human world, in: Cultural Geographies, 13/4, 2006, S. 600–609.
[15] Puig de la Bellacasa, Matters of Care, S. 221.
[16] Vgl. Abram, The Spell of the Sensuous.
[17] Vgl. Jamie Lorimer, Multinatural geographies for the Anthropocene, in: Progress in Human Geography, 36/5, 2012, S. 593–612.
[18] Vgl. Donna Haraway, Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham 2016.
[19] Vgl. Harriet Hawkins, For Creative Geographies: Geography, Visual Arts and the Making of Worlds. London 2014.
[20] Vgl. Haraway, Staying with the Trouble.
[21] Vgl. Maan Barua, Volatile ecologies: towards a material politics of human-animal relations, in: Environment and Planning A, 46/6, 2014, S. 1462–1478.
[22] Vgl. Catherine Phillips/Jennifer Atchison, Seeing the trees for the (urban) forest: more-than-human geographies and urban greening, in: Australian Geographer, 51/2, 2020, S. 155–168.
[23] Vgl. Hannah Pitt, On showing and being shown plants: A guide to methods for more-than-human geography, in: Areav, 47/1, 2015, 48–55.
[24] Vgl. Gail Adams-Hutcheson, Farming in the troposphere: drawing together affective atmospheres and elemental geographies, in: Social and Cultural Geography, 20/7, 2017, S. 1–20.
[25] Dylan Trigg, The role of atmosphere in shared emotion, in: Emotion, Space and Society, 35, 2020, S. 1–7, hier S. 4.
[26] Vgl. Adams-Hutcheson, Farming in the troposphere.