Hamburg. „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ – „Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“ Die Frage (1989) des bald seit 40 Jahren bestehenden feministischen New Yorker Kollektivs Guerrilla Girls mit seinen stets hinter Affenmasken anonym gebliebenen Mitgliedern gehört bis heute zu den bekanntesten Slogans der Gruppe. Dies dürfte in erster Linie nicht an den gestalterischen Feinheiten des Plakats gelegen haben, auf dem er zu finden war, sondern an der (Art der) politischen Forderung.
Der abgebildete weibliche Akt in Rückenansicht (die seitenverkehrte Grande Odalisque von Ingres, hier mit Gorillamaske), collagiert auf signalgelbem Hintergrund und versehen mit gängiger zeitgenössischer Typografie, entsprach zwar der zumal aktivistischen Cut-up-Plakatästhetik der 1980er-Jahre. Das Plakat, wie auch alle anderen grafischen Arbeiten (Flyer, Billboards, Aufkleber) seiner Urheber*innen, wurde aber bisher eher als Teil der jüngeren (zudem institutionskritischen) Kunstgeschichte wahrgenommen denn als einem Kanon der Designgeschichte zugehörig. Dort galten die Arbeiten der Guerrilla Girls lange als Ausweis aktivistischen oder feministischen Grafikdesigns, als sei dies ein Sonderfall der Designgeschichte.
Die von Julia Meer kuratierte Ausstellung The F*word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg (MK&G) wird dies – trotz des notwendigerweise sektionalisierenden Ausstellungstitels – ändern. Und zwar aus dem schlichten Grund, dass das MK&G dezidiert als Designmuseum – und als erstes Museum überhaupt – das Gesamtwerk der Guerrilla Girls erworben hat und mit dieser Ausstellung erstmals in einem großen Rahmen präsentiert. Das erwähnte Plakat nimmt dabei den prominentesten, da einführenden Platz ein, umrahmt von Dutzenden weiteren Plakaten und Grafiken der Guerrilla Girls verschiedenster Formate und Größe, die meist auf stilistisch charakteristische (und so letztendlich kaum noch bildökonomisch überraschende) Weise verschiedene Arten der Diskriminierung im Kunstsystem angehen.
Tatsächlich beginnt die rund 100 Arbeiten der Guerrilla Girls zeigende Ausstellung aber nicht erst im Inneren des Gebäudes, sondern in Form eines sich über fast zwei Etagen erstreckenden Bilds, das an der Museumsfassade angebracht ist. Ähnlich, wie das erwähnte Plakat dezidiert darauf hinwies, dass (seinerzeit) weniger als 5 Prozent der künstlerischen Arbeiten in den Abteilungen für moderne Kunst des Metropolitan von Frauen, aber 85 Prozent der Aktdarstellungen weiblich seien, adressieren die Guerrilla Girls in Hamburg den Ort der Repräsentation als System der Fehler: „Dieses Franzbrötchen repräsentiert die 400.000 grafischen Arbeiten im MK&G – Dieser Krümel steht für die Arbeiten von Frauen: 1,5 Prozent“, ist dort um das Foto eines entsprechenden hamburgtypischen Gebäcks zu lesen. Der daneben liegende Krümel ist dabei so klein, dass man ihn erst auf den zweiten Blick sieht.
Die Designhistorikerin Meer, die vor drei Jahren die Leitung der Sammlung Grafik und Plakat am MK&G übernommen hatte, hatte sich schon in der 2021/22 gezeigten Ausstellung Poster und Papierkram. Ein Glossar des Sammelns der Aufgabe angenommen, Teile dieser 400.000 Arbeiten nach bisher kaum hinterfragten Kriterien neu zu sichten. Das Franzbrötchen-Plakat ist einerseits die ortsspezifisch aktualisierte Entsprechung eines auch in der Ausstellung zu sehenden, in Handschrift gehaltenen Plakats der Guerrilla Girls von 1986, auf dem es hieß: „Lieber Kunstsammler, wir sind darauf aufmerksam geworden, dass deine Sammlung, wie die meisten, nicht genug Kunst von Frauen enthält. Wir wissen, dass du dich deswegen schrecklich fühlst, und werden die Situation sofort korrigieren. Alles Liebe, Guerrilla Girls“. Zum anderen schlägt es im Sinn des kuratorischen Konzepts eine Brücke zu dem wesentlich größeren (rund 500 Arbeiten umfassenden) Teil der Ausstellung, der in mehreren Räumen vom Museum historisch (ab 1870) wie erst unter Meer gesammelte Grafikdesignarbeiten von Frauen zeigt und kontextualisiert: von Plakaten (neben Klassikern von Paula Scher oder April Greiman auch Aktuelleres von Tereza Ruller oder Ariane Spanier) über Zines und designfeministische Bücher bis hin zu rund 200 feministischen Protestplakaten der 1970er bis 1990er-Jahre.
Manifestiert wird dabei, dass bis heute vorrangig Arbeiten weißer, westlicher, männlicher Gestalter sowohl gesammelt als auch ausgestellt worden sind – und sich sowohl Sammlungs- als auch Ausstellungspraxis im MK&G von nun an ändern werden. Dass diese Feststellung in der Ausstellungssektion „Do women have to be naked to get into the MK&G?“ ausgerechnet mit dem Motiv einer nackten Frau (Lavinia Schulz’ mit Entwurf für einen Umhang, vermutlich als Bühnenkostüm betitelter Zeichnung um 1920) illustriert wird, spricht dabei keinesfalls vom Gegenteil der Intention, sondern verweist vielmehr auf einen durch die Frage verdeckten historischen Umstand: Zumeist sammelte das MK&G nicht unter dem Aspekt, dass eine Arbeit von einer Frau gestaltet wurde (oder weil eine Frau abgebildet ist), sondern aufgrund des Themas. Im Fall von Schulz’ Arbeit also möglicherweise aufgrund des Interesses für Umhänge. Rückschlüsse und Erkenntnisse wie diese sind es, die diese das MK&G selbst entkleidende Ausstellung auszeichnet. Dass es bisher noch keine Einzelausstellung einer Grafikdesignerin im MK&G gab, ist dabei dann überraschenderweise auch nur noch eine Feststellung unter vielen.