Wien. Die zweite Ausgabe der in der Vergangenheit auch von anderen Wiener Häusern in ähnlicher Intention bedienten, aber momentan nur vom Belvedere 21 ausgeführten Nachwuchsüberblicksschau wurde im Vergleich zur Erstausgabe von drei auf fast neun Monate Laufzeit verlängert. Damit einher ging außerdem die Erhöhung der „kuratorisch direkt gesetzten“ Künstler*innen von 18 auf 45 und die Verdoppelung der (Wiener) Kunsträume, die dieses Mal von fünf, statt vormals von zwei verantwortlichen Kuratorinnen eingeladen wurden.
Das lässt auf großes Vertrauen in die eigene Idee und Konzeption schließen. Für eine legere Ausstellungsgrafik sorgte das Studio Beton und für die Mobilität und Dynamik vortäuschende Ausstellungsarchitektur niemand geringerer als das diesjährige österreichische Architekturbiennale-Vertreterkollektiv AKT.
Deren Ausstellungswände auf Reifen und groben Achsen kommen dem Blick auf Flora Hausers feine Leinwandarbeiten hinter einem feierlichen Leinenkostüm mit fantastischem Acrylfasergarn bereits eingangs in die Quere. Arbeiten aus dieser Serie der Künstler*in waren zuletzt im mumok im Rahmen von nominiert … Vordemberge-Gildewart Stipendium 2022 zu sehen – einer Ausstellung, deren aufgeräumte, kompetitive Bestimmtheit sich als Kontrastfolie zu Über das Neue beim Ausstellungsrundgang nicht nur einmal in Erinnerung ruft.
Die Künstler*innen Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman lassen mögliche vereinnahmende Widersprüchlichkeiten in ihrer brillant-bissigen Installation Gut Gemeint virulent produktiv werden. Sie übertragen potenziell geschmäcklerisch-wiederholende Ritualisierungen des ureigenen Ausstellungsanlasses auf eine andere Sinnesebene und präsentieren eine schrille, stellvertretende Jurorenschlacht um die Wahl des besten Käses, in der das skulpturale Siegerporträt letztlich überrascht in seiner Emmentalerhose nach einem Vollpunktetreffer auf dem Laktosemeter steht. Dass das riesige, gemalte Jurorenporträt in einem poppig-überzeichnenden Lowbrow-Stil auf große Käselaibe geparkt wurde, darf dabei als ein fast schon logischer Kommentar auf die Display-Wagonreifen gelten.
Eine andere, leisere, jedoch ebenfalls die Ausgangsituation und damit verbundene Vorgaben reflektierende Art der Präsentation schaffen die Künstler*innen Andrea Lumplecker und Yasmina Haddad für ihren seit 2011 betriebenen Kunstraum school: einmal durch die Präsentation von neun, auf Stimme als performatives Werkzeug und Ausgangsmaterial im Umgang mit der eigenen Geschichte setzenden Audiotracks, die vom Publikum selbst auf einem bereitgestellten Technics-Plattenspieler plus Kopfhörer abgespielt werden können. Weiters mit Talking to Strangers, einem intimen wöchentlichen Gesprächsangebot mit school-nahen Überraschungsgäst*innen, sowie einem innerhalb der Ausstellungsdauer wöchentlich abwechselnden Screening mit Künstlervideos von Hannah Black, Jumana Manna, Friedl vom Gröller, Belinda Kazeem-Kamiński et al. Außerdem befindet sich eine auffallende, den unmittelbaren musealen Umraum durch gewiefte Metaphorisierung von räumlichem Innen und Außen adressierende Skulptur auf einer der beiden in Schwarz gehaltenen Schauflächen, die school zur Verfügung stehen: der überdimensionale (Kleider-)Haken der Künstler*in, Designer*in und Theoretiker*in Wally Salner, der 2019 an der Fassade von school in der Grüngasse im 5. Bezirk angebracht gewesen war.
Hannahlisa Kunyik nützt die Räumlichkeiten, die sich dafür hervorragend eignen, zur Selbstinszenierung, aber im motivischen Hintergrund der Fotoserien lauern auch wie im Film Blow-up unerwartete Details, welche man wiederum entgegen der Richtung der ursprünglichen Aufnahme der Fotos registriert. Insgesamt nur fünf, höchst unterschiedliche, zum Teil nachträglich collagierte Alltagsaufnahmen (von einem Umzug, Kleiderwechsel, Schnitzel-Kochvorbereitungen) von Olivia Coeln sind als Sequenz innerhalb zweier Porträts einer Wachsskulptur eines Falkners samt Greifvogel gehängt und verstärken so Allegorien des Jagens und Präparierens, was auch als Verteidigung der künstlerischen Fotografie gegenüber KI-generierten Fotos gelesen werden kann.
Der Projektraum philomena+ nützt die Einladung zur Übersiedlung seines Officebetriebs in die Ausstellung und stellt den eigenen Raum währenddessen im Rahmen seines Residenzprogramms einer Künstlerin zur Verfügung (aktuell: Mustapha Akrim). Mitarbeiter*innen sind vor Ort, zeigen Publikationen, Objekte, Ephemera und Informationsmaterial zu vergangenen und laufenden Projekten (A museum for Métlaoui) und nutzen die Präsentation als temporäre und ideale Ergänzung zum Kunstraumoriginal in der Heinestraße im 2. Bezirk.
Auch der Künstler*in Ana de Almeida gelingt es, mit ihrer Installation aus 100 handgefertigten, auf Stahlträgern gezeigten Seifen, eine vom offiziellen Display unabhängige, gezielte Wahrnehmung zu erzeugen.
Die Medien- und Soundkünstlerin Hui Ye agiert mit ihrer Vier-Kanal-Videoinstallation Talk to me, die sich als Screen-Sitzkreis mit dem cloudbasierten Sprachdienst Alexa präsentiert, dagegen tendenziell auf dem Kritikniveau von Spike Jonzes Her (2013) und noch bedenklicher ist das verstörend-zahnlose Videopastiche Mixed media/feelings von Anna Spanlang, in der gar der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP) einen Audioauftritt als Feminist bekommt.
Synergien zwischen den Werken ergeben sich leider auch nicht durch die Bereitstellung eines Pastellsitzmöbels von Julia Haugeneders, sondern eher unverbindlich beiläufig und inhaltlich zwischen den Bildern Minda Andréns, Evelyn Plaschgs und der Filmarbeit Techno von Lydia Nsiah. Erwähnenswert ist außerdem der Mamorstuck Josef von Heti Prack und der souveräne Auftritt des Kunstvereins Gartenhaus.
Für den weiteren Verlauf des zeitlich sehr großzügig anberaumten Projekts zur Standortbestimmung und zum Status quo der Wiener Szenen wird vor allem eines wichtig sein – und zwar wie vorbereitet und engagiert die noch eingeladenen Räume und Künstler*innen der konzeptuellen Zerfahrenheit und den Displaywidrigkeiten von Über das Neue trotzen.