Wien. Die Farben und Formen schreien, die Münder bleiben still. Die Augen müssen sich erst daran gewöhnen. Einblicke in eine Welt, in denen Umrisse und Einzelteile zum Statement werden. Die Räume sind als Chronologie angeordnet, die sich an einem transparenten Zeitstrahl orientiert. Das titelgebende Zitat ist klares Statement der Ausstellung und findet sich in geschriebener Form unter den kniehohen Stiefeln vergangener Frauenbilder. Unter dem klaren Titel Now Is the Time zeigt das Kunstforum Bank Austria die bisher größte Retrospektive der Kärntner Künstlerin Kiki Kogelnik. Malerei, Skulpturen, Keramiken und Performances, eine Vielschichtigkeit der Elemente, die erstaunlich „contemporary“ daherkommt. Die Arbeiten der 1997 verstorbenen Künstlerin wurden erst spät wieder gefunden, 2013 mit einer Retro in der Kunsthalle Krems und 2021 als Teil von The Milk of Dreams auf der Venedig Biennale. In den 1960er-Jahren Ausstellungen in der heimischen Galerie nächst St. Stephan, 1962 dann New York. Stichwort: Pop-Art. Die Wege kreuzten sich dort mit den männlichen Figuren dieser Zeit: Andy Warhol, Roy Liechtenstein. Kiki Kogelnik musste lange warten.
Schon zu Beginn beschäftigte sich die Künstlerin mit der Überschneidung von Körpern und medizinisch-technischen Objekten. Roboterfantasien, Körpergrenzen, die Manipulierbarkeit und Ausdehnung der eigenen Konturen sind die Themen der frühen Arbeiten. Prothesen, Robotik, Röntgentechniken, die Pille, KI, Mondlandung und Cyborgs. Im Zentrum des Raums ein Nachbau der Skulptur Lover Boy (1963), gebaut aus Muffin- und Auflaufformen. Wie abstrakte Anleitungen verhandelt Kogelnik Themen des Posthumanismus, damals noch als Mensch-Maschine-Verhältnis, in Form von Zeichnungen, in denen die Körperteile auseinanderfallen, setzkastenartig, beliebig kombinierbar, Fusionen mit nicht-humanen Teilen. Symptome der damaligen Zeit, die immer noch gelten. Durch die Notizbücher scrollt man mit dem iPad.
Wenige Schritte weiter findet man die hangings, die einen zentralen Platz in der Ausstellung und im Werk von Kiki Kogelnik einnehmen. Die grellen Umrisse hängen wie Hautfetzen auf den Kleiderbügeln, nebeneinander gereiht. Umriss an Umriss, aus Plastik gegossen. Die leblosen Abdrücke ehemaliger Körper, von ihrer Individualität befreit, inszeniert als analoge Masse auf Kleiderstangen, Assoziationen zu Fast Fashion und Hyperkapitalismus. Umrisse auf Wäschespinnen. Körper als Kleiderhaken. Die Konturen von irgendjemandem werden abgezogen, gelangen in den Besitz der Künstlerin, fast wie eine Sammlung der Umrisse, die sie vielseitig einsetzt, während der Ursprung vergeht. Irgendwann wird alles weggeworfen. Die Schnitte übereinander wie ein Kleiderhaufen, den keiner mehr braucht, der jedoch ein eigenes Universum in sich birgt. Der Einschnitt und Abschnitt, verkörpert durch das Thema der Schere zieht sich durch, die Form wechselt. Die Räume entstehen durch Umrisse, durch Körpergrenzen, die in verschiedenartigen Formen gehängt, geschichtet oder aneinandergereiht werden. Flache Schablonen zeichnen Schattenkörper. In den Umrissen formen sich Gesichter und Ausdrücke. In der Ausstellung findet man eine Auswahl der sogenannten Frauenbilder-Serie. Die Körper biegen sich, ohne zu brechen. Diese Figuren stehen unbequem. Sie warten auf die nächste Anweisung. Angst vorm Schnappschuss. Die Titel Express oder Dynamite Darling sprechen für sich. Ausgehend von der aufkommenden Popkultur, den ikonischen Models und den Modemagazinen verhandeln diese Bilder die Frauenbilder einer vergangenen Zeit, die sich bei genauerer Betrachtung vor allem äußerlich verändert haben, deren Inhalte aber größtenteils gleich geblieben sind. Die Texturen und Muster der Bilder sind plakativ, eindeutig, erinnern in ihrer Bewegung mehr an Comicfiguren oder Puppen als an Bilder von realen Frauen. Die Körper dienen hier als Projektionsfläche. Die Medusa trägt High-Waisted-Jeans (Superserpent). Darunter auch die Serie It hurts (1974). Figuren in Schwarz-Weiß, als Gegenüberstellung mit lebensgroßen Objekten (Schere, Acid), die je nach Lesart als Sinnbild einer Gefahr oder auch als Werkzeug fungieren können. Die Rollen wechseln zwischen Künstlichkeit und Unterdrückung, Selbstermächtigung und Gefahr. Hinter den Posen verstecken sich Dinge und Hierarchien, die durch den Körper getragen und verdeckt bleiben. Die Umrisse werden zum Schild. Die Münder und Augen sind aufgerissen, geben Einblicke auf das mögliche Innen der Protagonist*innen.
In einem Notizbuch schreibt Kiki Kogelnik:
„INVITE ALL YOUR PLEASURES AND DREAMS, DO SOMETHING WORLDLY, DO SOMETHING
EVERYBODY WILL LOVE. AND HERE THEY ARE, MY MONDANE LADIES: BEAUTIFULL, RICH, WORLDLY, SUPER FICIAL, BORED, NEITHER HAPPY NOR UNHAPPY, NO DEEP THOUGHTS, NO SENTIMENT, NO FEELING. AND IT HAD WORKED, PEOPLE LOOK AT MY PAINTINGS NOW, THEY UNDERSTAND
THEM, THEY BUY THEM! ,THEY LOVE THEM. ‘“
Das Repertoire der Motive wird in den 1980er-Jahren durch Tiere und Alltagsgegenstände erweitert, die als Keramiken ins Zentrum der Bilder rücken. Das ABC der Formen besteht aus 26 Teilen, das modulhaft in den Arbeiten wechselt: Kamm, Schuh, Sägeblatt, Sonnenbrille oder Pinsel. Die gleichnamige Arbeit ABC gibt Einblicke in ein System. Das Innere ist mit Farbe gefüllt, das Außen durch wenige Umrisse gekennzeichnet. Die Keramiken sind nie alleine, sie treten als Gruppen auf, stehen in Verhältnis zu anderen Symbolen.
Der letzte Raum ist dem Tod gewidmet. An der Wand der fotografische Rückstand einer Performance, 1967. Wiener Innenstadt. Verwunderte Passantenblicke. Die Rahmen als enge Gruppe gehängt. Auch in diesen Dokumenten findet man die bekannten Umrisse in Schwarz-Weiß, diesmal aus Schaum. Die Realität wird auf diesen Abbildern zum Scherenschnitt, die Umrisse heben sich ab. Totenköpfe, leblose Hüllen und Blicke. Die Arbeit Skull (1970), Tod + Mädchen (1975) oder Hi (1994), in dem ein Skelett aus dem Bild hervor winkt, brechen mit dem darken Bild klassischer Memento-mori-Darstellungen. Darüber drei Keramiken, Abbilder des Ausdrucks copy and paste. Das Bild ist, genauso wie Baby Remember my Name (1994), Teil der Reihe Expansions, in denen das Medium Malerei durch Keramiken installativ erweitert wird.
Now Is the Time gibt einen eindrücklichen Einblick in den Werkkomplex einer beinahe vergessenen Künstlerin. Die Trends haben gewechselt, auch die Posen, doch viele Dinge sind immer noch gleich geblieben, was eine sehr zeitgenössische Lesart der Arbeiten von Kiki Kogelnik erlaubt. Das ABC der Formen hallt nach Verlassen der Ausstellung nach, Alltagsgegenstände werden in Gedanken mit der Signatur „Bussi Kiki“ versehen.