Heft 2/2023 - Sharing Worlds


Schall und Rauch

Wie sich das Leben des Warzenhonigfressers auflöst

Thom van Dooren


Eine meiner lebhaftesten Erinnerungen an den Sommer 2020 in den australischen Blue Mountains an die langen, in zähen Rauch gehüllten Tage, auf denen schwer die trockene Gluthitze lastete, ist die spürbare Präsenz einer Absenz: die Stille der Vögel. Natürlich gab es viele neue Geräusche, die ihren Platz eingenommen hatten: Hubschrauber und Sirenen, mitunter heulende Winde und für alle, die das Pech hatten, sich an der Feuerfront zu befinden, das Wüten der Flammen. Dennoch erinnere ich mich gut an die gespenstische Stille, die etwas weiter entfernt vom Geschehen in ruhigen Momenten herrschte. Einer der Vögel, die nun auf diese neue Art und Weise fehlten, war der Warzenhonigfresser (Anthochaera phrygia) – der allerdings auch unter idealen Bedingungen äußerst selten zu sehen oder zu hören gewesen war. Als jemand, der diesen unglaublichen, vom Aussterben bedrohten Nachbarn erst kürzlich wahrgenommen hatte, sah ich mit wachsender Sorge zu, wie sich die Feuer am Höhepunkt seiner gewöhnlichen Brutzeit durch einige der letzten verbliebenen Nistplätze wälzten.
Der Warzenhonigfresser ist ein wahrhaft majestätischer Vogel. Zwar ist sein Gefieder vorwiegend schwarz, doch wecken die feinen gelben und weißen Ränder der Federn am Körper und den oberen Flügeln den Eindruck eines sehr aufwendig verzierten Federkleids. Früher waren diese Vögel im Osten Australiens, von Adelaide bis hoch ins südliche Queensland, recht weitverbreitet. Ihre nomadischen Schwärme erstreckten sich weit über das Land und bevölkerten je nach Verfügbarkeit von Nektar und Insekten unterschiedliche Gebiete.
Als in den 1980er-Jahren die ersten Schätzungen von Populationen des Warzenhonigfressers durchgeführt wurden, war ihre Anzahl bereits auf rund 1.500 Vögel geschrumpft. Dieser Trend hat sich seitdem fortgesetzt, so dass laut jüngster Schätzungen wohl nur noch etwa 300 Exemplare übrig sind. Wie bei so vielen anderen Spezies in diesem Teil der Welt ist das langsame Aussterben des Warzenhonigfressers eng verbunden mit der Zerstörung der Box-Ironbark- und anderer Eukalyptuswälder, die einst sein Zuhause waren. Ihre Rodung und Ausdünnung haben ein schier unvorstellbares Maß angenommen. Und in den letzten Jahrzehnten sind zu dieser tödlichen Mischung noch die Auswirkungen des Klimawandels hinzugekommen.
Von den Buschbränden 2019/20 waren fast die Hälfte der bekannten Brutplätze des Warzenhonigfressers sowie eine unermesslich große Fläche seines weiteren Habitats betroffen. Dabei richten die Feuer weit größeren Schaden an, als nur die erwachsenen Vögel und Jungtiere zu töten oder ihre Eier zu vernichten. Sie verändern den verbleibenden Wald. Besonders dort, wo es sehr häufig zu Bränden kommt, dezimieren sie das Blühvorkommen, verlangsamen die Reifung der Bäume und wirken sich auf die Verbreitung, Blütezeit und Vielfalt der Blumen aus, auf die der Warzenhonigfresser angewiesen ist.1
Mit dem Rückgang der Population steht der Vogel im Kampf um sein Überleben zunehmend vor neuen Herausforderungen. Es scheint, als funktioniere die weitflächig verteilte nomadische Lebensweise des Warzenhonigfressers nur ab einer bestimmten Dichte, wenn eine kritische Masse an Vögeln sich in dieser ausgedehnten Landschaft bewegt, so dass sie aufeinandertreffen, voneinander lernen und sich untereinander fortpflanzen können. Sobald die Zahl unter dieses Niveau sinkt, wie es nun der Fall ist, gerät die Spezies in eine Art Todesspirale, in der sich ihre gesamte Lebensweise mitsamt ihrem sozialen Gefüge aufzulösen beginnt.
Wir wissen nicht allzu viel über die spezifische Ausprägung ihres Soziallebens. Allerdings lebten die Warzenhonigfresser früher die meiste Zeit in nomadischen Schwärmen. Die Nächte verbrachten sie gemeinsam, zuweilen in Gruppen von über 100 Vögeln. Wenn sie nisteten, hatte jedes Paar sein eigenes Revier, doch bildeten mehrere Paare zusammen lose Gruppen.
Diesen mittlerweile nicht mehr vorhandenen bzw. auseinandergebrochenen sozialen Kontext scheinen die männlichen Warzenhonigfresser jedoch zu brauchen, um ihren Gesang zu erlernen. Wie bei vielen Singvögeln spielt auch für diese Art der Gesang der Männchen eine entscheidende Rolle: Sie setzen ihn ein, um eine Partnerin zu finden und ihren Anspruch auf ein Brutrevier zu bekräftigen (aber vielleicht ist, wie Vinciane Despret behauptet, das Revier an sich nur ein „Vorwand für den Gesang“).2 Man geht davon aus, dass die Jungvögel ihren Gesang von einer Vielzahl älterer Männchen erlernen, indem sie ihnen zuhören, sie nachahmen, üben und irgendwann ihre eigenen Melodien improvisieren. So entwickelt jedes Männchen seinen eigenen Balzgesang, wobei Wissenschaftler*innen die Übernahme bestimmter Gesangselemente innerhalb der sozialen Kohorte als Entwicklung von „Dialekten“ beschreiben. Warzenhonigfresser, die in unterschiedlichen Teilen des Landes aufgewachsen sind, beherrschen demnach spezifische regionale Gesangsvariationen.
Heutzutage können die wenigen Warzenhonigfresser, die noch im Wald schlüpfen und alt genug werden, um – mit etwa 40 Tagen – das Revier der Eltern zu verlassen, sich glücklich schätzen, wenn sie überhaupt noch andere Vögel finden, von denen sie in diesen kritischen und sensiblen ersten Lebensmonaten, in denen sie zu weiten Teilen ihren individuellen Gesang entwickeln, lernen können. Anders gesagt, es ist mittlerweile eher unwahrscheinlich, dass sie anderen Warzenhonigfressern begegnen. Stattdessen lernen viele Jungvögel ihr Lied anscheinend von anderen Honigfresserarten, von Lederköpfen, Schwalbenstarverwandten oder Plattschweifsittichen; bei einem Warzenhonigfresser wurde sogar beobachtet, dass er den langen, schwermütigen Ruf des Langschwanztriels imitierte.
Wir können davon ausgehen, dass diese Veränderungen in der Gesangskultur des Warzenhonigfressers das Aussterben der Spezies weiter beschleunigen werden, untergraben sie doch die Möglichkeiten der Vögel, einander zu finden und die nötigen Beziehungen zu festigen, um die nächste Generation zur Welt zu bringen. Hier zeigt sich deutlich, dass das Artensterben kein einmaliger, plötzlicher Vorgang ist; es ist ein Aufbrechen, eine Auflösung von Lebensweisen, von untrennbar verflochtenen sozialen und ökologischen Gefügen. Die Lebensweise eines Organismus in der Welt – in diesem Fall seine unverwechselbare Gesangskultur – kann lange vor diesem endgültigen Tod verloren gehen, und genau das passiert sehr oft. Verloren auf eine Weise, die den ultimativen Verlust nicht nur ankündigt, sondern auf ganz eigene Art dazu beiträgt, ihn herbeizuführen. So gesehen ist der Gesang des Warzenhonigfressers eng mit der größeren Geschichte des Rückgangs der Wälder, der mutwilligen Landrodungen und schlimmer werdenden Dürren und Buschfeuern verwoben; Prozesse, die sowohl bestimmte Lebensformen als auch deren kostbare, sich ständig weiterentwickelnden Lebensweisen umformen, unmöglich machen und schließlich auslöschen.

Erstveröffentlicht in: Plumwood Mountain Journal, April 2021, Sonderausgabe Nr. 03 – „An Endangered Menagerie“.

Thom van Dooren ist Umweltphilosoph und Autor; er lehrt an der Universität von Sydney und war Professor an der Universität von Oslo. Sein jüngstes Buch trägt den Titel The Wake of Crows: Living and Dying in Shared Worlds.

 

Übersetzt von Gaby Gehlen

 

[1] JCZ Woinarski/HF Recher, Impact and Response: A Review of the Effects of Fire on the Australian Avifauna, in: Pacific Conservation Biology 3/1997, S. 183–205.
[2] Vinciane Despret, Phonocene: Bird-singing in a multispecies world, Vortrag im Rahmen der 2. Riga Biennale RIBOCA2, September 2020; https://www.youtube.com/watch?v=U90M8rhQI6c&ab_channel=RIBOCA.