Heft 3/2023 - Netzteil
Rot-weiß-rote Balken, alle gleich breit und damit eindeutig lesbar – zumindest so lange, bis sie zu flackern beginnen, bis sich die Dimensionen verschieben und die Eindeutigkeit der Ambivalenz Platz macht. Und das sehr schnell: Gerwald Rockenschaub benötigt nur wenige Sekunden, um die formalen Bestandteile der österreichischen Fahne zu rhythmisieren und so das einfache, auf unmittelbare Erkennbarkeit angelegte nationale Symbol aus seinem engen Bedeutungszusammenhang zu befreien.
Dass man sich als Betrachter*in fragt, ob man gerade richtig gesehen hat, hängt neben der Kürze der nonchalanten „Dekonstruktion“ auch mit den anderen 23 Bildschirmen in der Ausstellung circuit cruise / feasible memory/regulator im Belvedere 21 zusammen, auf denen man ebenfalls schnelle, rhythmisch animierte Transformationen von einfachen geometrischen Formen in abstrakt Bildhaftes sieht: Hier fällt ein schwarzer Balken um, dort wirbelt ein violettes Stäbchen herum; anderswo legen sich bunten Blenden übereinander, oder ein rundes Farbverlaufstool – wie in Illustrator – wird von rechts nach links und wieder zurück „gestoßen“, bis es dann doch aus dem Rahmen fällt.
Gerwald Rockenschaub hat das formale Vokabular der Gebrauchsgrafik und die Symbolwelten der Werbung in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre für sich entdeckt und mit diesen einfachen Informationsträgern eine einzigartige Bildsprache entwickelt, die auf der Abstraktion und Variation bildhafter Zeichen wie Logos und Piktogrammen sowie den kontrastreichen Farben der zunehmend digitalen Welt und deren Leitsystemen basiert, die selbst für technisch nicht versierte Nutzer*innen nachvollziehbar sind.
Reduktion und Vereinfachung, das Crossover von Design, Mode und Architektur sowie ein ausgeprägtes gestaltpsychologisches Interesse am gerade noch Erkenn- oder Wahrnehmbaren sind ebenso Teil seines Formen- und Ideenpools wie das Zusammenführen – wie es damals noch hieß – von E- und U-Kultur: Bis heute trägt seine Vergangenheit als Techno-DJ und Veranstalter des Clubs the audioroom ab Mitte der 1990er-Jahre zur Rezeption seines Werkes bei – und das, obwohl er in seinen Ausstellungen das Auditive vom Visuellen trennt.
Neben den flackernd-flirrenden Animationen, die im besten Fall in den Köpfen des Publikums Technobeats oder Ping-Pong-Geräusche evozieren, ist es im Belvedere 21 das „Display“, das Anleihen beim Clubleben nimmt: Vergleichbar mit den aufblasbaren Objekten, wie sie etwa auf der documenta 12 zu sehen waren, versperrt im Eingangsbereich eine anthrazitfarbene Wand den Blick auf den Ausstellungsraum. Auf Screens werden darauf die ersten sechs Animationen wie Teaser für Kommendes präsentiert. Rockenschaub hat die Säulen des Glaspavillons von Karl Schwanzer in sein Konzept integriert und mit drei kniehohen, knallgrünen Bänken sowie einem pinken Stehpult Platz für eine Art Dancefloor geschaffen. Rund um diesen herum sind auf drei anthrazitfarbenen Wänden jeweils sechs weitere Loops bewegter Formen zu sehen, denen die poppigen Farben der „Möbel“ beinahe aus jedem Blickwinkel eine zusätzliche Rahmung geben. In einem circuit cruise – der Definition nach ein gemächliches Herumgehen oder -fahren, um andere zu sehen und selbst gesehen zu werden – sollen die Bilder betrachtet werden.
Dies führt zu einem Aspekt, den Rockenschaub selbst in der Rezeption seiner Arbeit vermisst: dem „Schmäh“, von dem die augenblickliche Zersetzung der österreichischen „Identität“ genauso erzählt wie sein subtiler Seitenhieb auf die Eitelkeiten des Kunstbetriebs, der sich beim Betrachten von Kunst immer auch gerne selbst zusieht. Dazu passt die selbstironische Spitze, dass er in die Abfolge abstrakter Formvariationen auch sein eigenes Konterfei integriert. Vergleichbar mit der Blume, die sich aus vier roten und einem kleinen gelben Kreis zusammensetzt, reicht ihm dafür der Umriss (s)eines Schädels ohne Haare, ein Ohr und der überstehende Rand seiner Statementbrille.
Nüchterner, aber ebenfalls wie aus fertigen Elementen zusammengesetzt, wirken die Titel: Sie changieren zwischen Produktnamen und der Sprache von Computersoftware und werden, je länger sie sind, meist umso absurder: Während man feasible memory/regulator, den zweiten Teil des Titels im Belvedere 21, mit Prozessen im digitalen Raum verbindet, zitiert er mit „allure“ im Titel seiner Ausstellung reappropriation (allure / construct) im Schlossmuseum Linz ein mit der Modewelt der 2000er-Jahre assoziiertes Parfum von Chanel.
Rockenschaub hat für die retrospektiv angelegte Linzer Soloschau eigene frühe Werke „reappropriiert“ und für den nicht einfach zu bespielenden Raum einen Einblick in sein 40-jähriges Schaffen entwickelt, wobei er die digitale Funktion des Zoomens mit analogen Mitteln in den Raum überträgt. Dafür wurden die sich über viele Meter ziehenden weißen Wände mit einer schwarzen Linie aufgeteilt und mit Farbfeldern und Acrylglasplatten flache Bildräume sowie dreidimensionale Vorder- und Hintergründe geschaffen, auf denen er – in nicht-chronologischer Abfolge – seine Experimente mit der Objekthaftigkeit von Bildern, ihren Größenverhältnissen, mit räumlicher Perspektive etc. präsentiert.
Gleich neben dem Saaltext hängt ein frühes Bild von 1986. Es ist mit Öl auf Leinwand gemalt und hat einen grünen Rand, der eine weiße, quadratische Fläche einfasst. Man denkt an ein Hinweisschild, wären da nicht ein paar rote Tropfen, die man mit menschlicher Ausführung und nicht mit industrieller Produktion in Verbindung bringt.
Rockenschaub hat seine Werke bis 1987 von Hand gefertigt – darunter ein 1981 mit wenigen Holzstäbchen zusammengesetztes, schwarz-weiß bemaltes, minimalistisches Raster oder einen Knopf auf Dekorfilz von 1986. Ab dann lösen Materialien wie MDF-Platten, Alucore oder Acrylglas die eigene Handschrift ab. Über die Wand „kugeln“ perspektivisch verzerrte, bunte Kreise aus MDF, runde Acrylglasplatten auf orangem Grund erinnern an seine Tätigkeit an den Turntables, und zwei großformatige Rechtecke – unten grün, oben blau – hat der Künstler in Linz, seiner Geburtsstadt, auf „kackbraunen“ (Rockenschaub) Grund gesetzt.
Da das menschliche Auge nicht zoomen kann, ist die Zusammenstellung, wenn man zu nahe dran ist, kaum als Landschaftsbild lesbar; und während manch anderes kleinere Werk die Betrachter*innen wieder näher heranholt, setzen sich fünf schwarze Punkte auf weißem Grund nur aus der Entfernung zu einem bekannten Sternbild zusammen.
Dieser Logik folgend ist es nur konsequent, dass Rockenschaub für seine Präsentation in dem vergleichsweise kleinen Raum der Wiener Galerie Krobath den Zoom-Regler ganz aufdreht. Unter dem Titel quantum fluctuation modification führt die Reise dort hinein in die Materie und zu jenen kleinsten Bausteinen der Welt, deren Eigenschaften und räumliche Anordnung die physikalischen Reaktionen von Stoffen festlegen. Rockenschaubs Formenvokabular lässt sich kaum noch stärker reduzieren: Rund um eine horizontale, den Raum mittig teilende, schwarze Linie sind monochrome, quadratische und rechteckige „Teilchen“ platziert. Sie sind rhythmisch gesetzt und wirken auch deswegen, als würden sie „floaten“, weil man sich beim Betrachten fast automatisch mit ihnen mitdreht; und weil das Ganze – ohne erkennbares Oben und Unten – kopfüber genauso gut funktioniert.
circuit cruise / feasible memory/regulator, Belvedere 21, Wien, 25. November 2022 bis 12. März 2023.
reappropriation (allure / construct), Schlossmuseum Linz, 31. März bis 2. Juli 2023.
quantum fluctuation modification, Galerie Krobath, Wien, 3. Juni bis 23. August 2023.