Heft 3/2023 - Queer Postsocialist


Dragon Hunt – ein Film im Anschluss an Samuel R. Delany

Marko Gutić Mižimakov


Modelle maschinellen Sehens werden mit großen Datenmengen auf Mustererkennung trainiert. Im Sinne einer Apophänie1 stellen sie dabei Verbindungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Elementen her und sind in der Lage, aus einfachen Textsequenzen neue visuelle Darstellungen zu erzeugen. Die Lektüre von Samuel R. Delanys Science-Fiction-Roman Stars In My Pocket Like Grains of Sand (1984)2 erzeugt aufgrund dessen reicher Sprache ein ähnliches Phänomen. Der Text, aus dem ein Kapitel als lose Vorlage für meinen Film Dragon Hunt dient, unterläuft in einer Reihe von weltbildenden Verfahren absolute und statische Vorstellungen von Identität. Hier flimmern und verändern sich menschliche und mehr-als-menschliche Welten vor dem geistigen Auge der Lesenden wie Wolken am Himmel.
Dragon Hunt erzählt eine Drachenjagd aus Stars, wobei die Landschaft im Film Bild für Bild algorithmisch durch Fragmente aus Delanys Text erzeugt wird. Aus dem Rhythmus der sich daraus ergebenden erratischen und flimmernden, kantenlosen Szenerie geht ein Drache hervor. Delany beschreibt die Drachen als geflügelte Kreaturen, die sich in komplexen Flugmustern bewegen und über ein hochentwickeltes Sehvermögen verfügen, wodurch sie einer Vielzahl von Nachbildern ausgesetzt sind – ein inhärenter Effekt ihrer Wahrnehmung. Im Film ist der Tanz des Drachens eine Performance, bei der, angetrieben von der Lust des*der Tanzenden an der Bewegung, der vibrierende Effekt der durch maschinelles Sehen erzeugten Bewegtbilder nachgeahmt wird. Übersetzt in eine Tanzpartitur verkörpert der Drache das Prinzip der ständigen Transformation. So wird die Kette fortgesetzt: vom Text zum Bild zur Bewegung zum Tanz. Eine Muschelschale wird indes zur sinnlichen Oberfläche, auf der die Übersetzung des Drachentanzes auditiv wiedergegeben wird. Die Reisenden und Jäger*innen erfahren so den mehrfachen Effekt einer Verschmelzung – miteinander, mit dem Drachen und mit der Landschaft.

 

Übersetzt von Yannick Fritz

 

[1] Apophänie ist die spontane Wahrnehmung von scheinbaren Mustern in nicht zusammenhängenden, zufälligen Phänomenen; vgl. https://skepdic.com/apophenia.html
[2] Samuel R. Delany, Stars In My Pocket Like Grains of Sand. New York 1984.