Heft 3/2023 - Netzteil
„Ich möchte mich auch weiterhin in der Unordnung bewegen und nur wissenschaftlich werden, wenn es mir künstlerisch sinnvoll erscheint.“1
Mit der Ausstellung Space Synthesis beabsichtigte Jan St. Werner, das Gebäude der Kunsthalle Baden-Baden als „Klangraum“ und als „großes Instrument […] zu dynamisieren“2: „In Space Synthesis ist Klang eine Methode der Erkundung und die Kunsthalle ihr Gegenstand.“ (Pressemitteilung) Für diese Versuchsanordnung sind elektronische Kompositionen mit der Intention entstanden, dem Publikum jeweils sehr subjektive Erfahrungsdimensionen von Klang in Architektur zu ermöglichen – ein Prozess, der in permanenter Veränderung begriffen sein soll.3 Man hört Synthesizerklänge zwischen elektronischem metallischen Reiben, Glockendröhnen, Klicken, Knattern und Pulsieren. Dazu akzentuieren Raumeinbauten wie schräg aufgehängte, weiße geometrische Flächen sowie zusätzliche Lichtstrahler die Ausstellungsräume. Die individuelle Erfahrung soll gesteigert werden durch irritierende, sich sehr langsam bewegende Lichtquellen in der Haupthalle und einem motorbetriebenen, türgroßen Soundreflektor.
Für das Electronic-Duo Mouse on Mars (MoM), bestehend aus Andi Toma und Jan St. Werner, wurde seit dem Album Dimensional People (2018), das ursprünglich als 18-Kanal-Rauminstallation geplant war, das Thema „Sound im Raum“ immer wichtiger. Raum war nicht länger Teil der musikalischen Aufführungs- oder künstlerischen Präsentationspraxis, sondern wurde zu einer zentralen Fragestellung der Komposition selbst. Seitdem hat MoM in einer Reihe von Ausstellungen und Events räumlich-installativ gearbeitet. Bereits bei Werners The Spatio Sensory Soundcheck (2019) wurden mit Aufnahmen der Band The National die Eigenschaften der Wellenfeldsynthese gezielt zur räumlichen Soundverteilung eingesetzt. In der Münchner Ausstellung Spatial Jitter (2022) strahlten bewegliche Lautsprecherpanels spezifische Klangfrequenzen in bestimmte Raumbereiche. Mit diesen teils beweglichen, von Michael Akstaller konstruierten Lautsprechermodulen intendierte Werner im Anschluss an die Komponistin Maryanne Amacher, die Soundquelle räumlich veränderlich zu gestalten, um so das Publikum aktiv in die Installation einzubeziehen.
Die Musikproduktion von MoM wird oft als „playfulness“4 verstanden – ein Spiel, das systematisch gegen die selbst auferlegten Regeln verstößt. So verwundert es auch nicht, dass der schwer klassifizierbare Sound von MoM treffend als „anarchisch“ und „alchimistisch“5 bezeichnet wurde. Ihm ist eine elektronische Verspieltheit zu eigen, die sich auch als „dogmatisch unsystematisch“ lesen lässt, denn das einzig Verbindende scheint seine gezielte Stillosigkeit zu sein, die am ehesten mit einer Ambivalenz zwischen Elektroexperimental, Elektro-Pop, Techno und historischer Kraut-Avantgarde à la Can assoziierbar ist. Mitte der 2000er-Jahre veränderte sich der tanzbar knarzende, liebevoll verschwurbelte Sound von MoM. In den Jahren davor hatten noch wunderbare Popmelodien die elektronisch zerbröselten Chaospartikel in tanzbare Songs verwandet – besonders nuancenreich auch bei dem Projekt Microstoria, einer Kollaboration Werners mit Markus Popp (Oval).
Architektur als Klang
Space Synthesis erstreckte sich nicht nur installativ über die Kunsthalle, sondern wandte sich „gegen ein konventionelles Verständnis des Hörens“ und bezog „multiperspektivisch“ auch den Park, einen Katalog, ein Vinylalbum und ein Netzprojekt (http://www.syntheticspace.de) ein. In diesem klanginspirierten, „interdependenten“ Netzwerk unterscheiden sich jedoch die jeweiligen sonischen und visuellen Ergebnisse ästhetisch stark voneinander. Simon Reynolds hatte 2019 an einer zu sehr auf die Kunst fixierten aktuellen elektronischen Musik kritisiert, die er „Conceptronica“ nennt, dass sie mehr zur Ausstellung tendiere, nicht mehr tanzbar sei und in Zusatzmedien wie Büchern und Videos zerfasere.6
Wenn der Künstler und die Kuratorin Çağla İlk betonen, dass die Kunsthallenarchitektur zu Klang werden soll, macht das neugierig. Wie lässt sich das in den konkreten Räumlichkeiten eines multimedialen White Cube umsetzen? Können die Einbauten in diesem Raumdispositiv wertfrei als Reflexionsflächen dienen, ohne dass sie mit früheren Skulptur- oder Raumbegriffen in Beziehung stehen? Die idealistische Idee, mit Sound eine Ausstellungshalle zu Klang werden zu lassen, bleibt letztlich auf die Rezeption in der Ausstellung selbst beschränkt, was keine Fotografien und Videos transportieren können und auch keine nachhaltige architektonische Veränderung der Kunsthalle bewirken kann. Deshalb tendierte Space Synthesis auch zu einer durchaus interessanten sonischen und visuellen Abstraktion, was von Werners Collagen im Katalog unterstrichen wird. Es zeigte sich jedoch, dass eine künstlerische Raumidee nicht automatisch den zeitgenössischen Raumbegriff oder die konkreten physischen Räumlichkeiten verändern kann.
Vielmehr fragt man sich in Space Synthesis, wie es genau zu diesen Klängen und zu den eingebauten Formen kam. Mit Werners eigenen Worten: „warum man das jetzt so gemacht hat und nicht anders“7. Dementsprechend wäre es höchst interessant zu erfahren, welche Definition von „Synthese“ dieser „Space Synthesis“ zugrunde liegt. Zudem erscheint die mehrfache Verwendung des Begriffs „multiperspektivisch“ problematisch, weil er den dominanten Okularzentrismus der Kunst reproduziert und das spezifisch Sonische eher ausblendet.
Produktiv erscheint in diesem Zusammenhang Seth Kim-Cohens Adaption des Begriffs „kulturelle Situation“ für das Feld von Expanded Sound, den Rosalind Krauss eigentlich für jenes der Expanded Sculpture geprägt hat. Demnach wird Klang in Analogie zu Skulptur nicht als eine stabile und statische Form angenommen, sondern als eine dynamische, nicht abschließbare Situation.8 Diese besteht in einer flexiblen und vielstimmigen Kommunikation zwischen den ausgestellten Arbeiten, der rahmenden Architektur, der Institution, dem Publikum und den jeweiligen Künstler*innen. In diese „kulturelle Situation“ lässt sich auch Werners Ansatz der „dynamischen akustischen Forschung (DAF)“ einbeziehen, wie er seine Praxis bezeichnet. Damit wurde das historistische Gebäude der Kunsthalle Baden-Baden in Resonanz versetzt. Wie lange wird es nachhallen?
Jan St. Werner – Space Synthesis, Kunsthalle Baden-Baden, 5. Mai bis 2. Juli 2023.
Dank für Recherchematerial und Hinweise an Frank Dommert, a_musik.
[1] Jan St. Werner, in: „Es gibt keine Grenze zwischen mir und diesem Klang“. Oswald Wiener/Jan St. Werner, in: Space Synthesis (Katalog), hg. v. Çağla Ilk/Jan St. Werner. Berlin 2023, S. 213.
[2] Jan St. Werner in einer E-Mail vom 29. Juli 2023 an den Autor.
[3] Christoph Cox hat für die immaterielle und zeitlich flüchtige Soundqualität den Begriff „Sonic Flux“ geprägt; vgl. ders., Sonic Flux. Sound, Art, and Metaphysics. University of Chicago Press 2018.
[4] Richard Skinner über Mouse on Mars, 2020; https://richardskinner.weebly.com/blogposts/mouse-on-mars
[5] Siegfried Zielinski, Anders gemischt. Ein semantisches Gefüge aus neun Planeten, in: doku/fiction. Mouse on mars reviewed & remixed. Berlin 2004.
[6] Simon Reynolds, The Rise of Conceptronica. Why so much electronic music this decade felt like it belonged in a museum instead of a club, 2019: https://pitchfork.com/features/article/2010s-rise-of-conceptronica-electronic-music/
[7] Jan St. Werner, in: Klaus Sander/Jan St. Werner, Vorgemischte Welt. Frankfurt am Main 2005, S. 41.
[8] Seth Kim-Cohen, In the Blink of an Ear. Toward A Non-Cochlear Sonic Art. Bloomsbury 2009.