Heft 3/2023 - Lektüre
Es ist schon eher befremdlich, dass es das nun auch und ausgerechnet auf Deutsch gibt: Fanged Noumena, eine 2011 von den spekulativen Realisten Robin Mackay und Ray Brassier herausgegebene Aufsatzsammlung des britischen Philosophen und „Vaters des Akzelerationismus“ Nick Land. Von den Herausgebern der deutschen Ausgabe, Dietmar Dath und Philipp Theisohn, um eine Reihe aktuellerer Texte Lands ergänzt, erscheint damit nun auch „Dark Enlightenment“ (2012), Lands Gründungsmanifest der sich um Blogger Curtis Yarvin AKA Mencius Moldbug Ende der 2000er-Jahre bildenden neoreaktionären Bewegung (NRx), erstmals auf Deutsch. Den Herausgebern erschien es „unredlich“, wie es im von Theisohn verfassten Vorwort heißt, „die politische Dimension zu unterschlagen, in die Lands Denken im vergangenen Jahrzehnt eingetreten ist.“
Bereits der Titel dieses 431 Seiten schweren, von Dirk Höfer beispielhaft ins Deutsche übersetzten Unterfangens verheißt nichts Gutes: Okkultes Denken. Okkultismus als Gegenbewegung zur Aufklärung und zum mechanistischen Weltbild von Naturwissenschaft und abendländischer Rationalität fand Ende der 1970er-Jahre in Europa in poststrukturalistischen, nihilistischen und anarchistischen Bemühungen ihr Supplement. An die Stelle einer auf Bewusstseinsinhalte fixierten Ideologiekritik, nach der allein das falsche durch das richtige Bewusstsein ersetzt werden müsste, trat eine Vernunftkritik, die Affekte und Brüche, Gewalt, Lärm und Schocks gegenüber Fragen nach der falschen Deutung als nur in den Köpfen vorhandenes Übel vorzog. Dabei kam es auch zu einer Wiederentdeckung von ästhetizistischen und im Namen von Intensität und Exzess angetretenen Autoren wie Artaud und Bataille, Nietzsche und Trakl, von denen sich Lands Denken unmittelbar beeinflusst zeigt. In Deutschland folgten Gründungen von Verlagen wie Merve und Matthes & Seitz – bei Merve erschienen in den 2010er-Jahren dann auch jene spekulativen und akzelerationistischen Philosophien, die Land und seine an der Warwick University angesiedelte Cybernetic Culture Research Unit (CCRU), der unter anderem Kodwo Eshun, Mark Fisher, Luciana Parisi und Sadie Plant angehörten, mitprägten. Matthes & Seitz hatte sich zuvor schon mit der Übersetzung von Autoren wie Bataille und Artaud einen Namen gemacht und ist nun jener Ort, an dem Lands Okkultes Denken einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden soll.
Dieses Denken, das Dath in seiner nachgestellten Korrespondenz mit Theisohn als „postvernünftig“ bezeichnet, versteht sich als esoterisch, ist also nicht auf Aufgeklärtheit und Narration angelegt, sondern will sich der Vertiefung menschlicher Erkenntnis entziehen. AI- und Kybernetikphantasma gehen Hand in Hand: Nicht-menschliches Erkennen und eine automatisierte Welt ohne Arbeit bilden den „unpersönliche[n] Plot der Geschichte“, den Land als „Exit“-Strategie aus dem Gefängnis von Rationalismus und Humanismus vorantreiben möchte. Dafür geht er performativ vor: In proto-postmoderner Manier zeichnet er in seinen älteren Texten (1987–2007) eine Collage aus mystizistischen, numerologischen und Science-Fiction-Referenzen, die sich wie ein gigantischer Fußnotenapparat zu HP Lovecraft, William Gibson, Deleuze/Guattari, Kathy Acker und anderen liest. Das Formelhafte, Ungeduldige, ja, ästhetisch Ungenaue von Lands Cut-ups trübt jedoch die offene Form der lyrischen Kontaktpunkte entschieden. Fast durchweg bleiben die sakralisierten geistigen Väter übermäßig sichtbar und verwischen so umso weniger Lands peinliche Sprachbilder: „Während der geriatrische Sozialismus in die Gefriertruhe wandert, wird der wahre Terminator des Kapitals immer listiger und breitet sich aus.“ Im Gegenteil zeigt sich, um wie viel abseitiger das worldbuilding eines Neuromancer ist, um wie viel schillernder das Maschinenbegehren eines Anti-Ödipus.
Gegenüber diesen, nennen wir sie: „literarischen“ Essays ist Lands quasireligiöse Politpropaganda (die er gerade dem Liberalismus westlicher Demokratien vorwirft) aus jüngerer Zeit auffallend exoterisch, bedient er sich hier doch rhetorischen Mitteln der argumentativen Rede. Insofern ist sein neoreaktionäres Denken, anders als Theisohn meint, nicht einfach nur „libertäres Raunen“, sondern, wie Dath richtig einräumt, Ausdruck „direkter politischer Stellungnahme“. Diese Unterscheidung ist auch deshalb wichtig, da sich Lands westlicher Romantizismus einer Überschreitung des aufgeklärt-bürgerlichen Kunstverständnisses hin zu Polemik und kognitiver Dissonanz nicht nur als der Ideologie eines Patriarchats inhärent erweist, das seine Vormachtstellung in den westlichen Demokratien schwinden sieht („Romanticism conquers the west with the barbarian hordes of the west’s own imagination“1, wie McKenzie Wark 2017 in einem sonst sehr wohlwollenden Aufsatz über Land schreibt). Vielmehr stellt sich dieser Romantizismus in dem Buch auch als ein Kontinuum von Lands rassistischer, libertärer und neofeudaler Politik dar – etwa dann, wenn er zwischen Rassismus und Rassismuskritik ein „objektives Gleichgewicht des Schreckens“ zu erkennen glaubt oder behauptet, „dass soziale Benachteiligung [z]u einem großen Teil […] schieres Pech“ sei. Politisch unterkomplex ist gar kein Ausdruck.
Darüber, inwiefern Lands Schreiben für Dath und Theisohn Kunst ist, erfahren wir sehr wenig. Dem Okkulten wird von Dath politische Dissidenz qua Handlungsbezug abgerungen, eine ästhetische Analyse im strengen Sinn bleibt aus. So ist es vor allem die „Polemik vor dem Hintergrund gemeinsamer Skepsis, was den Liberalismus angeht“, die die Herausgeber mit Land teilen – wobei sich diese Polemik bei Land eher verschwörungstheoretisch, bei Dath und Theisohn hingegen als Pauschalangriff auf den „Universalismus der Menschrechte und sein Zerrspiegelbild in allerlei neueren, linken Identitätspolitiken bis hin zur Intersektionalität“ artikuliert. Wer Land nur böse fände, sei kampfunfähig, immerhin spreche er von Weltmarkt, Profit und Produktivkraftentwicklung, und das so offen, wie Jeff Bezos oder die FDP es nie wagten: „Er ist ein kluger Feind“, so Dath, „der komplizierteste Antikommunist seit Erscheinen des Manifests der kommunistischen Partei.“
Solcherart Dialektik, die mithilfe von Land gegen Rechte wie ihn anzuargumentieren versucht, sieht sich allerdings schon verlegerisch dadurch relativiert, dass Aufklärungskritik, die sich in den 1970er-Jahren auch als Kritik an totalitären Strukturen des Sozialismus verstand, in Deutschland lange Zeit von rechter und rechtskonservativer Seite besetzt war und sich spätestens seit Covid, mit dessen Ausbruch Daths und Theisohns Korrespondenz beginnt, erneut als xenophober Glaube gegen jede Vernünftigkeit immunisiert. Um politisch verneinen zu können, was am Libertarismus und Linksliberalismus falsch ist, braucht es weder Land noch Houellebecq noch sonst einen Transgressionsheini dieser Tage. Indes findet Dath für die okkulte Praxis Lands eine grandiose Metapher: „Grönemeyers Kinder“. Damit spielt er auf Grönemeyers neoliberale Hymne „Kinder an die Macht“ von 1986 an, in der es heißt: „Gebt den Kindern das Kommando / Sie berechnen nicht / Was sie tun“. Es ist dieses esoterische Band zwischen Faschismus (Land) und Hippietum (Grönemeyers Kinder), dem Alten und dem Kreativen, dem Urigen und der Fantasie als Ausdruck jenes reaktionären Kitsches, für den auch Lands Denken steht und vor dem es sein Publikum zu warnen gilt: Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!