Heft 3/2023 - Artscribe


Karol Radziszewski – Sebastian im Traum

17. Juni 2023 bis 8. Juli 2023
Galerie Kunst im Traklhaus / Salzburg

Text: Kathrin Heinrich


Salzburg. Der rote Faden ist das Blau. Ein Faden, den Karol Radziszewski in seiner Einzelausstellung Sebastian im Traum in der Galerie Kunst im Traklhaus in Salzburg zu einem dichten Netz von realer und imaginierter Geschichte verspinnt, durchwirkt von kunsthistorischen und literarischen Referenzen, die sich nahtlos ineinanderfügen. Ein Faden, der dem lyrischen Werk von Georg Trakl entspringt, jenem österreichischen Dichter, der 1914 mit nur 27 Jahren verstarb und in dessen Geburtshaus sich der Ausstellungsraum befindet, in dem Sebastian im Traum im Rahmen des Jubiläumsprogramms der Internationalen Sommerakademie OK Oskar: 70 Jahre Schule des Sehens Salzburg zu sehen ist.
Mit neuen Gemälden rekontextualisiert Radziszewski in den drei Räumen der Galerie den bereits 2012 geschaffenen Film MS101, der eine imaginäre Begegnung zwischen dem Dichter Trakl sowie dem Philosophen Ludwig Wittgenstein und dessen Geliebten David Pinsent nachzeichnet. Wittgenstein kam 1914 als österreichischer Soldat nach Krakau, wo er Trakl treffen wollte, der dort als Sanitätsleutnant stationiert war. Dieser jedoch verstarb kurz vor der Ankunft des Philosophen im Lazarett. Radziszewski spekuliert in MS101 über die imaginären Beweggründe und Anziehung, die dieser Begegnung zugrunde liegen hätten können, ebenso wie über deren hypothetischen Fortgang.
„Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht / Die voll purpurner Trauben hängt / Und du regst die Arme schöner im Blau. […] Dein Leib ist eine Hyazinthe / In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.“ Wie hier in An den Knaben Elis zieht sich das Blau nicht nur durch Trakls posthum veröffentlichten Gedichtband Sebastian im Traum, sondern durch sein gesamtes Werk, dessen expressionistischer Charakter sich insbesondere durch die dunkle, eindringliche Farbigkeit auszeichnet. Keine andere Farbe taucht dabei öfter auf als das Blau, das in Trakls Gedichten sowohl als Beschreibung wie auch als Symbol und Metapher fungiert.
In der Galerie Kunst im Traklhaus betritt man zunächst das zarte Grünblau eines Vogeleis, in das der nahezu leere Gewölbesaal getaucht ist. Einzig einem kleinen quadratischen Porträt in dunklen Grün- und Brauntönen findet man sich gegenüber, die Augen scharf in Rot abgegrenzt, maskengleich. Es trägt den Titel Georg Trakl (Selbstporträt) (2023) und spannt gleichsam den Bogen von Trakls expressionistischer Lyrik hin zu Radziszewskis eigenen expressionistisch anmutenden Gemälden, dessen charakteristische Porträts sich durch schnelle, breite Pinselstriche und satte, leuchtende Farben auszeichnen. Durch die Bezeichnung als Selbstporträt scheinen sich Trakls und Radziszewskis Identität übereinanderzulagern, wodurch das kleine Gemälde den richtungsweisenden Auftakt für die Ausstellung bildet, mit der Radziszewski selbst Trakls Biografie weiterträumt.
Im nächsten Raum nimmt man Platz und vertieft sich in den knapp einstündigen MS101, mit dem Radziszewski ebenso poetisch wie humorvoll ins Blaue fabuliert. Die Szenen von Dichter und Philosoph im jeweiligen historischen Setting von der prunkvollen Bibliothek bis zum kläglichen Spitalsbett lösen sich auf, die Schauspieler verbleiben vor dem Green Screen, der hier in tiefstes Yves Klein-Blau gefärbt ist. Die vierte Wand wird gebrochen, wodurch das Blau erst sichtbar wird und nicht nur auf die Gemachtheit des Mediums, sondern auch der erzählten Geschichte zwischen Wittgenstein, Pinsent und Trakl hinweist.
„Die Portraitierten dieser erfundenen Ménage-à-trois bilden mit der Ikone queerer Bewegungen, dem Heiligen Sebastian, eine Ahnengalerie homoerotischer Geschichten und deren potenzieller Auslassung im Lesen der Archive“, formuliert es der Text zur Ausstellung. Und diese Ahnengalerie ist durchaus wörtlich zu nehmen; es ist ein Format, das Radziszewski in seiner Praxis immer wieder aufgreift, die sich in Recherchen und künstlerischen Arbeiten mit queeren Persönlichkeiten beschäftigt, um Leerstellen und Brüche in kanonisierten Geschichten – insbesondere in Osteuropa – zu identifizieren. Etwa die Serie Poczet, die sich auf das historische polnische Format der Ahnengalerie bezieht, das über Jahrhunderte die Erzählung einer nationalen Identität prägte. Radziszewskis Poczet (2017) erzählt eine Genealogie queerer Geschichte, die so oft im Verborgenen geblieben ist.
Im zweiten, kleineren Gewölbesaal des Traklhauses hängt diese Ahnengalerie von neun Gemälden (alle 2023) nun an einer Displaykonstruktion aus Metallgittern in Depotoptik. Von allen Seiten betrachtbar verweisen die teils ungerahmten Gemälde auch auf die Eigenschaft des Ausstellungshauses als Forschungs- und Gedenkstätte. Dabei fällt der erste Blick auf eine großformatige Darstellung des Heiligen Sebastian auf leuchtendblauem Grund. Andere kleinere Malereien zeigen Einzelporträts sowie Paardarstellungen der drei Protagonisten. Auch Oskar Kokoschka ist als Ahn präsent: durch Radziszewskis Version der Lithografie Die träumenden Knaben (1908), dessen Titel gleichsam das Motto der Ausstellung ist.
Das Ausmaß, in dem die verschiedenen inhaltlichen und formalen Referenzen und Ebenen in dieser Einzelausstellung miteinander verzahnt sind, könnte beinahe platt wirken, so gut ergänzt sich hier alles. Radziszewski macht jedoch deutlich, dass diese Verbindungen und Gemeinsamkeiten schon längst da waren, man brauchte bloß hinzusehen, in die Archive und in ihre Lücken, und manchmal schließt man dafür am besten die Augen. Eine Ausstellung funkelnd wie ein kleiner Saphir.