Heft 3/2023 - Artscribe


Natascha Sadr Haghighian– Now that I can hear my eyes hurt (Tumult)

23. Mai 2023 bis 8. Oktober 2023
Lenbachhaus / München

Text: Chris Schinke


München. Die akustische Schmerzgrenze ist bei der Benutzung der Trillerpfeife bekanntermaßen schnell erreicht. Ein knallrotes Exemplar des schrillen Signalinstruments prangt momentan über dem Eingang zum Münchner Lenbachhaus und dessen Ausstellung der deutsch-iranischen Künstlerin Natascha Sadr Haghighian.
Now that I can hear my eyes hurt (Tumult) lautet der Titel der Schau, die ihre Besucher*innen mit einem Stoffbanner in Empfang nimmt, einem Patchwork aus Federn und Fell, in dessen Mitte sich ebenso das aufgestickte Abbild einer roten Trillerpfeife befindet. „Die Füchse der erzwungenen Abschiebung kommen immer nachts, um ein Huhn mitzunehmen“, heißt es dazu im Begleittext der Ausstellung. Mit den Füchsen sind Polizeikräfte gemeint, die mit Vorliebe nachts oder in den frühen Morgenstunden in Flüchtlingsunterkünften anrücken, um Abschiebungen durchzuführen. Unter Asylsuchenden hat sich die Praxis etabliert, sich mittels Trillerpfeifen vor dem Zugriff der Ordnungskräfte zu warnen. Die titelgebende Arbeit der Installations- und Videokünstlerin Haghighian ist dem im vergangenen Jahr verstorbenen Aktivisten Hassan Numan gewidmet. Sein Foto ist auf der Rückseite ihres Stoffbanners zu sehen, neben Textauszügen eines von Numan gegründeten Komitees, das sich in einer Osnabrücker Geflüchtetenunterkunft formiert hat. Im Kampf gegen ihre Abschiebung wurden die Trillerpfeifen zu einem Symbol der Solidarität und der sudanesische Aktivist Numan zum kämpferischen Vorreiter der Asylbewegung. Numan erlag im Alter von 45 Jahren, bevor er seine Ehefrau aus dem Sudan nach Deutschland holen konnte, einem Herzleiden.
Numans Emanzipationskampf und der seiner Mitstreiter*innen findet Widerhall in Haghighians Klanginstallation tribute to whistle und ihren sechs Acht-Kanal-Kompositionen für Trillerpfeife. Die intensiven Stücke überlagern einander dissonant und bilden einen Soundteppich, in dem es als Zuhörer*in nicht leichtfällt, die akustische Orientierung zu behalten. Die klangliche Zumutung setzt Haghighian dabei äußerst bewusst ein. Geschickt vermag es die Künstlerin, das Bedeutungsgefüge dessen, wofür die Trillerpfeife steht, zu destabilisieren. Sind wir es doch eigentlich gewohnt, das Signalinstrument als ein Utensil von Autorität, Macht und Ordnung zu begreifen. Man denke an den Wachmann, der angesichts eines Delinquenten beherzt hineinpfeift, oder an den Zugschaffner, der am Bahnsteig die baldige Abfahrt markiert. In der sinnlichen Erfahrung von Haghighians Klangwelt erleben wir Besucher*innen die Auflösung dieser gefestigten Zuschreibungen. Wer eigentlich bläst hier die Trillerpfeife? Vor welchem Geschehen warnt uns der dissonante Klang? Und lassen wir uns davon erreichen und anrufen?
Perspektivwechsel, Verschiebung und Neubetrachtung sind Wesensmerkmale von Natascha Sadr Haghighians Werken, die auch in sämtlichen – teils etwas disparaten – Teilen ihrer aktuellen Ausstellung zum Tragen kommen. Die Installation pssst Leopard 2A7+ hat den berüchtigten Kampfpanzer aus der Schmiede des Münchner Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann, dem eine zentrale Rolle bei der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine zukam, zum Gegenstand und versteht sich eigentlich als Studie zum Thema Militarisierung des öffentlichen, urbanen Raumes. Denn das schwere Kriegsgerät wurde ursprünglich zur Bekämpfung von Unruhen, Protesten und Aufständen in städtischen Einsatzgebieten konzipiert. Das seit 2013 fortlaufende Projekt Haghighians greift Grundriss und Umfang des Panzers auf und reproduziert sie in Form einer 3,5-x-11-Meter großen Fläche, getragen von Europaletten aus Holz. Die Oberfläche, bestehend aus Legoplatten in den Farben Grün, Blau und Grau erinnert in ihrer Formation an militärische Tarnmuster. Kopfhörerbuchsen befinden sich an verschiedenen Stellen der Installation, die ein Audioarchiv aus 30 Hörstücken beherbergt. Klangzeugnisse mit Titeln wie Deutsches Friedenslied, Leoparden in Kurdistan und Unser Schweigen ist eine Warnung sind zu hören, indem man sich per Kopfhörer einklinkt. Einzug gehalten in den klanglichen Teil der Installation hat aber auch ein Auftritt der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock. Das Stück Zeitenwende dokumentiert ihren zweifelhaft-flapsigen Auftritt bei einer Aachener Karnevalssitzung, bei dem sie einen Leopard-Witz zum Besten gibt. Ein weiteres Audiofile dokumentiert mit Star Wars die Ankunft des Leos in einer bayerischen Kaserne zu den Klängen des berühmten Imperial March aus den Krieg der Sterne-Filmen. Die Hörstückdokumentation zeugt auch von der Bedeutungsverschiebung und der veränderten Betrachtungsweise des Kampfpanzers in der öffentlichen Diskussion.
Natascha Sadr Haghighians Kunst ist ohne gesellschaftspolitischen Rückbezug und ihre damit einhergehende Aufladung nicht denkbar. In Now that I can hear my eyes hurt (Tumult) thematisiert sie unter anderem auch den Umgang mit den Benin-Bronzen, Neokolonialismus und Migration in Zeiten des Klimawandels. In Form- und Bildsprache gerät Haghighians künstlerischer Ausdruck bisweilen plakativ, verfehlt jedoch nicht seine Wirksamkeit. In der Umdeutung geläufiger Machtgesten und ihrer Instrumente zeigt sie – am Beispiel der Trillerpfeife – nicht nur, wie der menschliche Gebrauch gewisser Objekte einem Bedeutungswandel unterliegt, sondern auch wie diese Artefakte auf uns Menschen und unsere Subjektivität zurückwirken können.