Zürich. Spaces and Places, so der Titel der zweiten Einzelausstellung von Tschabalala Self (*1990 in Harlem, New York) in der Galerie Eva Presenhuber in Zürich. Allgemeinplatz, kann man sich fragen. Und tatsächlich geht es der US-amerikanischen Künstlerin um Grundlegendes: der Darstellung von Selbst- und Fremdvorstellungen Schwarzer Körperlichkeit als Platzhalter*innen für Schwarze Subjektivität. Ihre Malerei und Skulptur sind raumgreifend, figurativ und ornamental. Die Farben leuchten. Und Selfs vielfältige Applikation von selbst eingefärbten und gefundenen Stoffen auf Leinwand ist auf dem besten Weg zum Markenzeichen. So weit so bold. Doch was für ein Ort entsteht in den Zwischenräumen von Selbstdarstellung und Fremdzuschreibung in den neuesten Werken von Self?
Während die lebensbejahende Palette sowie die vitalen Formen und ornamentierten Stoffe in Selfs Werk große Freude beim Betrachten erzeugen, ist das diffizile Ringen um die Macht über die eigene Darstellung als existenzieller Grundkonflikt in jedem Winkel ihres Schaffens präsent. Und Präsenz ist Programm. Die Musterung der Stoffe dehnt sich auf die Wände des weißen Galerieraum aus, schwarz-weiß-karierte runde Sockel heben raumgreifende Skulpturen zusätzlich empor, Malereien kommen in Serie. Vorlagen für das einnehmende visuelle Gesamterlebnis von Selfs Inszenierungen finden sich in der Schwarzen Popkultur. Das schließt kommerzielle Anklänge nicht aus. Self schöpft aus dem Vollen, der Markt der Möglichkeiten ist geöffnet. Der Battle ums eigene Bild beginnt.
In Blue Room (2023) – Stoff, Faden, Sprühfarbe, Acrylfarbe, Kohlestift, Ölpastell, bemalte und gefärbte Leinwand auf Leinwand – schaut eine am Boden sitzende Frau angestrengt auf einen leeren Stuhl. Das Patchwork ihres Körpers lässt offen, ob sie bekleidet ist oder ob die braunen Stoffstücke die Haut selbst repräsentieren. Ihr schwarzes Haar fällt offen auf die Schulter, rote Mundwinkel weisen nach unten. Ihr Körper vollzieht eine schwierige, möglicherweise schmerzliche Drehung von der vorwärtsgewandten nackten Fußsohle zum rückwärtsgewandten Arm, der sich über die Stuhlsitzfläche streckt und schließlich zum rückwärts, scheinbar durch die Stuhllehne hindurchschauenden Gesicht. Die schematische, perspektivisch leicht verkürzte Darstellung des Stuhles lässt an ein Matisse-haftes Korbgeflecht denken, dessen hellgelbe Verstrebungen sich von einem ganz eigenen dunkelroten Hintergrund abheben. Ein Stuhlbein bohrt sich in die Hüfte der sitzenden Frau. Zum Stuhl gesellt sich eine noch gelbere, ebenfalls wackelige Stehlampe mit orangerotem Schein. Im Hintergrund fasst ein schwarzer rechteckiger Rahmen das Porträt der Frau ein. Sein hellblauer Inhalt könnte sowohl ein Fenster als auch digitaler Glow sein, in beiden Fällen Ein- und Ausgänge zur Welt. Und der titelgebende „Room“ bzw. Raum? Jede der drei Seiten besitzt sein eigenes „Blue“ bzw. Blau bzw. Traurigkeit. Die holzartige Struktur des Bodens in tiefem, ozeanischem Dunkelblau; die Wand hinter Fuß und Lampe etwas heller und als einzige plane Fläche der Ruhepol der Komposition; die Wand mit Fenster und/oder Screen in wolkigem Hellblau. Der Reim von Blue Room auf Elvis’ ikonisch-trübseligen „Blue Moon“-Song klimpert im Hintergrund meiner Betrachtung, während die Fragen zur Frau Gestalt annehmen: vom Stuhl abrutschend oder aufrichtend? Hotelzimmer oder Heim? Und wohin nur geht dieser schwermütige Blick?
Viele Fragen bleiben offen in den Arbeiten dieser jungen Künstlerin und ihrem erstaunlich umfassenden Werk. Was das Beispiel mir selbst jedoch zeigt: Trotz verhältnismäßig „lautem“ Gesamtauftritt wohnt den einzelnen Werken eine Zärtlichkeit und Verletzlichkeit inne, die die Grundspannung in Selfs Praxis erzeugt. Und auch ihr technisches Verfahren verleiht den großen Themen wichtige Nuancen. Statt mit Klebstoff collagiert sie mit Nadel und Faden; färbt, stickt, webt die gesamte Bandbreite von Genderkonnotationen, Arbeit und Häuslichkeit in ihre Werke mit ein, mitsamt ihren persönlichen und emotionalen Brüchen, Reparaturen und Wiederaufbrüchen. Dadurch drängt sich der hehre Vergleich zur textilbasierten protofeministischen Kunst beispielsweise einer Louise Bourgeois oder Rosemarie Trockel förmlich auf. Besonders wenn Self ihre nähende Mutter als Hauptreferenz und Muse zum Einsatz bringt. Doch genau dann, angesichts der Erfahrung, Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit einer Schwarzen Frau im heutigen Amerika, dem erklärten Fokus Selfs, hält der Vergleich schon nicht mehr stand. Das spezifische Geflecht von stofflichen und inhaltlichen Bezügen siedelt die Unheimlichkeit von Selfs Räumen auf einer existenziellen Ebene an, auf der der Stoff selbst, besonders die Baumwolle, für die tödlichen, unterdrückerischen Lebens- und Arbeitsbedingungen der afroamerikanischen Geschichte einsteht – auch wenn die aktuellen ausbeuterischen Textilproduktions- und -vertriebsweisen in anderen (neo-)kolonialen Konstellationen leider ausgeklammert bleiben.