Heft 3/2023 - Netzteil


Sehende Steine in alten Industriehallen

Der Softwarekonzern Palantir Technologies und sein Kultursponsoring

Sabine Maria Schmidt


Zu J. R. R. Tolkiens fantastischer Welt in Der Herr der Ringe gehören die Palantiri, die „sehenden Steine“, die räumlich und zeitlich weit entfernte Szenen zeigen können, vor allem aber auch untereinander in Verbindung stehen, so dass sie eine Kommunikation über große Entfernungen möglich machen. Am Ende geht alles nicht ganz glücklich aus mit den Steinen; wer sie benutzt, verfällt dem Willen Saurons, der Mittelerde totalüberwachen kann.
Seit 2004 arbeiten Palantir Technologies, die sich für ihren Firmennamen von Tolkien inspirieren ließen, im Bereich der allumfänglichen Datenanalyse. „Kurzfristig überschätzen wir Technologie, langfristig unterschätzen wir sie und ihre transformatorischen Kräfte“, äußerte der CEO und Strategiechef von Palantir für Europa, Jan Hiesserich, jüngst in einem Aktienpodcast. Das gesamte digitalisierte Weltwissen stehe heute einer Künstlichen Intelligenz zur Verfügung, als ein unerschöpfliches Datenreservoir, das sie anders, schneller und vielschichtiger verknüpfen kann. Doch dafür brauche es saubere und präzisere Daten. „Im Kern entwickelt Palantir Software oder Plattformen, die es Organisationen in häufig sehr sensiblen und sehr komplexen Umgebungen erlauben, mittels Datenanalyse bessere Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen dann auch operativ umzusetzen.“1
Kaum ein Tech-Konzern erscheint so geheimnisvoll wie Palantir. Das privatwirtschaftliche Unternehmen wurde nach und wegen dem 11. September 2001 gegründet. Palantir gilt als Dienstleister der westlichen Geheimdienste und Militärs, darunter CIA, FBI, NSA, Pentagon, Marines und Air Force, schließt daher aktuell die Zusammenarbeit mit China und Russland aus, positioniert sich politisch, vertritt aber zugleich die Ideologie einer wertneutralen, auf die Zukunft hin orientierten Technologie (Longtermism) und negiert Verantwortung für die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen derselben. Tatsächlich gehört das Überstrapazieren ethischer Grenzen durchaus zum Geschäftsmodell. Auch wird in Entwicklung befindliche Software von dem Konzern eingesetzt, die nicht selten durch staatliche Gelder finanziert wurde. Es herrscht nun einmal Goldgräberstimmung. In Deutschland gehören die bayerische und hessische Polizei zu den Kunden; selbst wenn es dabei immer wieder juristische Rückschläge gibt.2
Der Kunst kommt in der Ideologie dieser Firmen zur Pflege ihres Images eine wichtige Rolle zu. Kann Technik je Kunst ersetzen? Was können Softwareentwickler von der Kunst lernen? Wo hilft KI, eigenen Denkfallen zu entgegnen? Klingt prima. Doch hinter Palantir wirken sehr umstrittene Kräfte; allen voran der rechtslibertäre Unternehmergigant Peter Thiel.
Thiel, für den Regeln für das Gemeinwohl eher lästig sind, hält bekanntermaßen nichts von Demokratie, trat bei den US-Wahlen proaktiv für Donald Trump ein und gilt als zentrale Figur der Alt-Right-Bewegung.3 Palantir wurde in den USA für die intensive Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung kritisiert, nachdem seine Software zur Verfolgung minderjähriger Migrant*innen und deren Eltern zum Einsatz gekommen waren. Dabei wurden nicht nur rassistische Stereotype unterfüttert, sondern auch staatliche und private Interessen vermengt. Insbesondere das Programm Palantir Gotham (vormals Palantir Government) ist stark umstritten, da es grundlegende Datenschutzreglements verletzt. Seit 2022 arbeitet auch der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz als Berater für Thiel, dessen Weltbild er weitgehend teilt.
Nun mag Thiel manche an Sauron oder Joker erinnern, doch ist das Unternehmen nicht mit ihm gleichzusetzen. KI-Software kann in Konfliktsituationen eingesetzt werden, dabei nützen, Verbrechen und Attentate vorherzusehen. Die Befürworter von Palantir heben etwa die strategische Bedeutung der Software für die Bekämpfung von Kinderpornografie oder die Vorbeugung von Attentaten hervor. Das ukrainische Militär nutzt Palantir-Software, um russische Truppenbewegungen zu beobachten. Zudem unterstützt der derzeitige Palantir-Chef Alex Karp Joe Biden und die Demokraten in den USA. Viele Programme sind längst im Alltag verankert. Palantir Insightics hilft angeblich dabei, das Kaufverhalten von Kund*innen vorherzusagen.
In Europa und insbesondere in Deutschland treffen globale Firmen, die Überwachungssoftware verkaufen, häufig auf „Mentalitätsprobleme“, die als innovationsfeindlich gelten. Das Beharren auf demokratische Werte und informationelle Selbstbestimmung gilt diesbezüglich als störendes Moment. Auch war der „gläserne und kalkulierbare Mensch“ nie Ideal der bildenden Kunst. Daher warf im Frühjahr dieses Jahres eine von Palantir geförderte Ausstellung in Leipzig brisante Fragen zur Ethik des Kultursponsorings auf. Hierzu ein kleiner Rückblick.
Spektakuläre Ausstellungsprojekte in spektakulären Architekturen, das ist eine der Spezialitäten des Kulturmanagers und Kurators Walter Smerling, Kopf der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. aus Bonn. Als vor zwei Jahren der riesige Hangar im Flughafen Tempelhof kostenlos für zwei Jahre an ihn „vermietet“ wurde und er flugs eine neue „Kunsthalle Berlin“ ausrief, hagelte es massive Proteste und Boykottaufrufe. Smerling ist ein globaler Netzwerker, der mächtige Politiker*innen und Manager*innen zusammenbringt. Im besagten Tempelhof in Berlin wurde 2021 (noch mit Wladimir Putin und Frank-Walter Steinmeier als Schirmherren) die große Ausstellung Diversity United eröffnet, die danach in die Tretjakow Galerie nach Moskau wanderte.4 In Salzburg hat die Stiftung übrigens in den 2000er-Jahren in der historischen Altstadt den Skulpturenparcours Walk of Modern Art geschaffen. Auch das diesjährige Projekt der Stiftung, Dimensions – Digital Art since 1859, das sich von April bis Juli in den Industriehallen der Leipziger Pittlerwerke der Geschichte der digitalen Kunst widmete, erntete wilde Proteste. Wieder war es vor allem die Kritik an dem als toxisch empfundenen Hauptförderer Palantir und dessen „Art Washing“, der Aneignung von digitaler Kunst für das Firmenimage, das bereits im Vorfeld für Verärgerung in der Kulturszene sorgte.
„Warum ist es ausgerechnet die Firma Palantir, die eine Ausstellung zur Digitalkunst sponsert?“, kritisierte eine Gruppe von Leipziger Künstler*innen in einem offenen Brief. Dieser wurde schnell von über 900 Mitakteur*innen unterzeichnet, darunter viele international bekannte Medienkünstler*innen und Medienkunstkurator*innen.5 Der Brief warf zudem Fragen auf, die mit etwas gutem Willen auch in der Ausstellung behandelt hätten werden können. Dass die ehemaligen Industriehallen für Werkzeugproduktion (vormals ein Hotspot der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg) als aufgeraute Folie genutzt wurden, um digitale Kunst als rein ästhetisches Phänomen zu verkaufen, fernab jeder kritischen Untersuchung, die das Genre erst interessant gemacht haben, war einer der stichhaltigen Kritikpunkte, wiewohl die Ausstellung durchaus auch einige faszinierende Entdeckungen zu bieten hatte.
Als internationale Kurator*innen eingeladen waren Richard Castelli, Dan Xu und Clara Blume. Renommierte Positionen der kritischen Medienkunst, wie zum Beispiel Hito Steyerl, Simon Denny, Julia Scher, !Mediengruppe Bitnik oder Ubermorgen fehlten und hätten wohl auch nicht mitgemacht. In welcher Wechselwirkung gesellschaftliche, soziale und ökonomische Bedingungen und Digitalität zueinanderstehen, klang nur sporadisch an. Wie etwa werden Daten durch KI (etwa bei Palantir) zusammengeführt? Wo liegen die Trennlinien zwischen Mensch und Maschine, wie lassen sich die Grenzen von KI erkennen und humane Autonomien nicht aus dem Auge verlieren? 1989 wurde in Leipzig die Stasi-Zentrale gestürmt. Die Ablehnung von Überwachung, Schnüffelei und Datensammlung hat eine längere Tradition in der Stadt, erläuterten die Verfasser*innen des offenen Briefes. Eine intensive Debatte über verdeckte Interessen hinter künstlerischen Events und die Ethik des Sponsorings stellt auch im defizitären öffentlichen Kulturbetrieb ein unbedingtes Erfordernis dar und bleibt Teil der kulturpolitischen Praxis.

 

 

[1] Interview mit Jan Hiesserich; https://www.focus.de/magazin/archiv/interview-das-ist-ein-quantensprung_id_180542055.html.
[2] https://netzpolitik.org/2023/automatisierte-datenanalyse-der-wilde-westen-beim-data-mining-der-polizei-ist-vorbei/
[3] Ausführlich und unterhaltsam dargestellt von Jan Böhmermann in Wer ist Peter Thiel, ZDF Magazin Royale, 11. Februar 2022.
[4] Die Ausstellung wurde nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 8. März 2022 geschlossen.
[5] https://www.bbk-berlin.de/news/08052023-artwashing-leipzig-offener-brief-warum-sponsert-palantir-die-kunstausstellung