Heft 2/2012


Bleibender Wert?

Editorial


Vielerorts werden heute Begriffe wie Wertewandel oder Werteverfall, bezogen meist auf die Korrumpierung oder Erosion tradierter Wertvorstellungen, im Munde geführt. Gleichzeitig scheint materieller Wert, oft in Verbindung mit individualistischen bis hin zu privatmythologischen Setzungen, mehr zu gelten als je zuvor. Wie bildet sich diese Entwicklung im Kunstfeld ab? Welche Umwertungen oder Verabschiedungen von ehemals als gut und wertvoll erachteten Agenden haben hier die letzte Dekade über stattgefunden? Welche Neuorientierungen haben sich in dieser Zeit abzuzeichnen begonnen? Welche Sichtbarkeiten, »Wertvolles« und »Gültiges« betreffend, können sich, begleitet von mehr oder weniger geltenden Sagbarkeiten, aktuell behaupten?
Diese Fragestellungen waren Ausgangspunkt einer Kooperation, die wir zu Beginn des Jahres 2012 mit dem Kunsthaus Bregenz (KUB) eingegangen sind. Dabei hatten wir von Anfang an ein mehrteiliges Projekt vor Augen: die Ausstellung »Bleibender Wert?«, in der die inzwischen 17-jährige Geschichte der springerin reflektiert und die Eingangsfragen auf die – unseren Maßstäben nach – relevantesten Kunstpraktiken dieser Zeit angewandt werden sollten; ein Veranstaltungsblock, Ende Februar in der KUB Arena abgehalten, in der all dies innerhalb des Ausstellungszusammenhangs diskursiv aufgerollt und debattiert wurde; und drittens, daran anknüpfend, diese Ausgabe, in der nun die Beiträge der Veranstaltung zusammen mit einigen Ergänzungen präsentiert werden.
Dass die Ansätze und Diskurslinien innerhalb des gewählten thematischen Rahmens vielgestaltig sind, versteht sich nahezu von selbst. So liegt einer der Brennpunkte darin, inwiefern »Kritikalität« per se so etwas wie einen unverbrüchlichen, gleichsam überzeitlichen Wert darstellt, oder ob dieser Begriff nicht selbst zeit- und kontextbedingten Einschränkungen unterliegt. Die Beiträge von Simon Sheikh und Alice Creischer/Andreas Siekmann gehen auf je eigene Weise dem Fragenkomplex rund um kritische Wertsetzungen in der Kunst nach und kommen, beide in Anschluss an Michel Foucault, zu aufschlussreichen Befunden: ein Mal in der Einsicht, wie notwendig renitente »begriffliche Währungen« sind, auch wenn diese vom herrschenden Macht-/Wahrheit-Monopol als skandalös oder unerheblich abgetan werden; das andere Mal im Insistieren, dem »kriegerischen Unvernehmen«, das unterhalb der scheinbar friedlichen gesellschaftlichen Oberfläche tobt, gerade unter aktuellen weltökonomischen Bedingungen erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.
Ergänzend dazu rekapituliert Anette Baldauf die Freiheits-, Widerstands- und Ermächtigungsversprechen, die einst – auch für diese Zeitschrift maßgeblich – im Diskurs der Cultural Studies angelegt waren. Aus dem ernüchternden Befund, was daraus im Zuge zunehmender Institutionalisierung bei gleichzeitiger neoliberal-ökonomischer Einebnung geworden ist, leitet Baldauf die Forderung nach einer erneuten Schärfung des theoretischen Instrumentariums ab. Wie diese genau aussehen soll, steht jedoch ebenso auf einem unbeschriebenen Blatt wie die Ausarbeitung probater Mittel gegen die akute Prekarität heutiger Produktions- und Arbeitsverhältnisse. Süreyyya Evren erinnert in diesem Zusammenhang an die Geschichte des Anarchismus, die sich für ihn als anhaltendes Experimentieren mit neuen (sozialen, politischen, künstlerischen) Formen darstellt. Wie sich dies auf die gegenwärtigen Verhältnisse umlegen lässt, kann vielleicht nur anhand jener künstlerischen Ansätze erahnt werden, die sich – bewusst oder implizit – Elemente dieser Geschichte bedienen und einen offenen, unkanonischen Umgang mit ihnen pflegen.
Einen weiteren Fokus, der im Hinblick auf die Thematik »Bleibender Wert?« von Relevanz ist, bildet die Alternativlosigkeit, mit der sich das gegenwärtig schwer gebeutelte finanzkapitalistische System auf sein Verfallsdatum zubewegt. Ob die viel gerühmte, inzwischen an zahlreichen Orten agierende Occupy-Bewegung hier Abhilfe verschaffen kann, nimmt Hans-Christian Dany kritisch unter die Lupe. Zugleich, so ein unausgesprochenes Fazit dieser skeptischen Betrachtung, täte die aktuelle Kunst wohl besser daran, ihre eigenen Ökonomien zu reflektieren – etwa die Art und Weise, wie sie lange Zeit über recht gut an ebendiesem finanzkapitalistischen System partizipiert hat, dem sie jetzt so systemkritisch gegenübersteht.
Mehrere Künstlerbeiträge, etwa jener von Jochen Schmith oder auch die Filme von Josef Dabernig, machen diesbezüglich eine Art Bescheidung auf das je eigene (künstlerische) Umfeld geltend – ein Reduktionsverfahren, dem ein stringenter Bezug auf Unvereinbarkeit und Unversöhnlichkeit innewohnt. In diese Kerbe schlägt auch Tony Chakars Aufforderung, zunächst einmal schweigend die Verwobenheit und Komplexität des eigenen Standorts zu reflektieren, als vollmundig Forderungen nach Befreiung im Rest der Welt zu erheben.
In diesem Sinne möchte diese Ausgabe auch selbstkritische Perspektiven darauf eröffnen, wie sich Vorstellungen von bleibendem und vergänglichem Wert in so unterschiedlichen Formaten wie Ausstellung, Werk, Diskurs sowie dem Medium Zeitschrift fortschreiben. All diese Aspekte waren Teil der gemeinsamen Projekterarbeitung und -durchführung mit dem Kunsthaus Bregenz, dem an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für die Zusammenarbeit gedankt sei.