Heft 3/2015 - Fluchtpunkt Ethnografie


Grenzerfahrungen im Rahmenprogramm

Nicolas Siepen


„Kunstwerke sind die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge.“
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie (1970)

„Ich gehe davon aus, dass Bildende Kunst immer ein Verhältnis von Innen und Außen bearbeitet.“
Diedrich Diederichsen, Eigenblutdoping (2008)

„As it is, they give nothing, they pretend to give you art, and then take it away after two or three weeks, this is a disgusting performance when you think that art should be free, everything should be free and it could begin with art, make that god damn place open till midnight, or put something interesting in it, and keep it open till 5 in the morning!“
Jack Smith, Rede und Performance vor der Kölner Kunsthalle (1974)

Warum dieser Eiertanz? Können sich Kunstinstitutionen nicht einfach damit abfinden, dass der Wert und die Möglichkeiten von Kunstwerken aus freien Stücken mit der Logik des Geldes amalgamiert wurden? Kunst in seiner gegenwärtigen Form ist die perfekte Ware, gerade weil ihr immer noch etwas Preisloses jenseits des Tauschs angedichtet wird. Anstatt dies aber einfach hinzunehmen, hat sich eine institutionelle Arbeitsteilung etabliert, die Ausstellungen mit politisch-kritischer Kunst vollstopft und im subventionierten Rahmenprogramm große theoretisch-antikapitalistische Gesten inszeniert. Am Markt selber jammern gegenwärtig sogar Großgaleristen über den „Wahnsinn“ des Kunstbetriebs oder fusionieren, um nicht der Marktbereinigung anheimzufallen. Aber auch jemand wie Andrea Fraser, die in Kunstwerken und mit vollem Einsatz die institutionellen Rahmenbedingungen kritisch untersucht hat, artikuliert in ihrem Essay L’1%, C’EST MOI ihr Unbehagen an der „Freakshow“ des kommerziellen Kunstbetriebs und ruft dazu auf, diesen sich selbst zu überlassen: „Europäische Museen haben das Potenzial, zu Geburtsstätten eines neuen Kunstfelds zu werden, das aus dieser Spannung hervorgehen könnte. Neue Formen von Autonomie könnten sich entwickeln: nicht als sezessionistische ‚Alternativen‘, die nur in den grandiosen Inszenierungen und im magischen Denken von Künstlern und Theoretikern existieren, sondern als vollständig institutionalisierte Strukturen, die mit der ‚genuin sozialen Magie der Institutionen‘ […] in der Lage sein werden, spezifische und, so hoffen wir, angemessener bezogene und verteilte Formen von Kapital zu produzieren, zu reproduzieren und zuzuteilen.“1
Man könnte solche Äußerungen als Phantomschmerzen lesen, die von der spezifischen Spaltung innerhalb der ökonomischen Architektur des Kunstbetriebs hervorgerufen werden. Ein quasi-feudaler Überbau sitzt hier auf einer vollkommen deregulierten ökonomischen Basis, zusammengehalten von einem libidinösen Netz von Dealern, KünstlerInnen und Kunstwerken. Dieses toxische Gemisch ist in vielerlei Hinsicht der intensivste Ausdruck kapitalistischer Verwertung und befindet sich in großer Nähe zur spekulativen Finanzwirtschaft. Wenn als Reaktion auf der diesjährigen Venedig Biennale alle drei Bände von Karl Marx’ Das Kapital Seite für Seite öffentlich vorgelesen werden, so riecht das nicht nur nach politischem Fetisch und einer leeren Geste, die Kritik als Teil des Displays inszeniert, sondern auch nach Hilflosigkeit gegenüber dieser Spannung. Es wäre interessant zu wissen, wie die Vorlesenden für ihre tägliche Arbeit bezahlt werden und welche symbolische Rolle sie spielen: DienstleisterIn oder KünstlerIn? Der verantwortliche Kurator Okwui Enwezor erklärt im TV mit ernster Miene, der kommerzielle Kunstbetrieb werde nicht einfach verschwinden, aber man könne sein Angebot erweitern, und auf Twitter wird er zitiert mit: „Art isn’t just made by white people in Europe with great patrons. Sorry!“ Während Fraser also auf die Rettung durch europäische Museen hofft und „Alternativen“ jenseits dieses Rahmens als Kitsch verwirft, inszeniert Enwezor den Untergang des US-eurozentrischen Abendlands als „Alternative“ innerhalb des bestehenden Rahmens. Vielleicht sollte man ihn an die Marx’sche Hoffnung erinnern, dass mit dem Kapital der Bourgeoisie „das furchtbarste Missile […] an den Kopf geschleudert worden ist“, um ihr „theoretisch einen Schlag zu geben, von dem sie sich nie erholen wird“2. Dass sie sich von diesem Schlag prächtig erholt hat, zeigt unter anderem die Venediger Marathonlesung. Wer vom Rahmen nicht sprechen will, sollte von Marx schweigen. Wenn der Kunst nur erlaubt wird, die kritische Inszenierung der schon existierenden sozialen, ökonomischen und institutionellen Bedingungen aufzuführen, dann bleiben diese Rahmenbedingungen unberührt. Vor die Alternative zwischen Expansion und Bewahrung gestellt, könnte man aber auch den Blick auf konkrete Details im Verhältnis von Innen und Außen sowie ein in der Kunst klandestin operierendes Grenzregime richten.

Rahmenerfahrungen
Erinnerungen an den Sommer 1995, das Jahr, als Gilles Deleuze aus dem Fenster sprang und wir dem Ruf von Klaus Biesenbach nach Venedig folgten. Rahmenprogramm Biennale: Club Berlin, 72 Stunden Performance, Video und Party nonstop. Der Kurator, Netzwerker vor dem Herrn, arbeitete damals, wie man weiß, emsig am Mythos Berlin und wie man das Ding in alle Welt als Kunst verkaufen könnte. Und so begab es sich, dass ein wilder Haufen Rohmaterial mit dem Zug von Berlin nach Venedig fuhr. Auf der langen Reise erklärte ein Wiener Künstler seine kurz zuvor erfolgte Flucht aus Köln damit, dass er die Rituale der dortigen Galerieszene nicht mehr ertragen und einfach nicht mit Sammlern sprechen könne. Er wirkte erschöpft und traurig, aber auch unheimlich erleichtert. Im Kunstboom-Köln hatte er sowohl in Galerien mitgemischt als auch mit einem Kollegen einen selbstorganisierten Kunstraum betrieben. Diese Chose gelte es in Berlin auf kleiner Flamme und mit einfachen Mitteln zu befeuern. Schluss mit dem Spagat! Angestachelt von solch süßem Gesang, haben wir in Venedig dann auch wenig Interesse am Kunstmachen gezeigt, sondern sind auf allerlei Drogen Tag und Nach auf dem guten alten „path of hedonism“ durch die Gassen gestreunt und haben sehr vergnügt die offizielle Linie des Club Berlin sabotiert. Manche der mitgereisten KünstlerInnen fanden das nicht komisch und wollten es sich mit „Bisi“ nicht verscherzen. Aber wir fanden es eine richtig gute Idee, den gefühlt einzigen Copyshop in Venedig ausfindig zu machen und dort Flyer für die große Party mit dem großartigen Detroit DJ Robert Hood im Jazzclub Berlin zu drucken und auf Marktplätzen an die gelangweilte Jugend zu verteilen. Die kam dann auch in Scharen. Ein herausgeputzter, aufgekratzter Schwarm, dem die völlig überforderten Türsteher schließlich nachgaben. Die Jugend vor Ort war wie von Geisterhand nicht eingeladen, im Club Berlin die große weite Welt zu schnuppern. Diese laue Sommernacht, vor dem völlig überfüllten Jazzclub Berlin in Venedig, öffnete einigen von uns die Augen. Ach! So einfach, effektiv und amüsant kann es also sein, politischen (altmodisch-klassenkämpferischen) Sand ins Kunstgetriebe zu streuen, mit seinem selbstverliebten Blabla, seinen sterilen Prozeduren und kleinbürgerlichen Ausschlüssen! Kurzum, wir hatte also andere eingeladen, an die für uns bestimmte Tür zu klopften, damit wir sie selber vor unserer Nase zuschlagen konnten. Bumms, und schon lag eine ganze Szene jahrelang mit Klaus Biesenbach ziemlich unproduktiv im Clinch.
„Selbstorganisation“ lautete für ein paar aufregende Jahre das Zauberwort und eine Form von Größenwahn im Kleinen. Denn in dieser Zeit war so ziemlich alles, was sich im allnächtlichen Leben Berlins abspielte, ungleich interessanter als der durch Kunst gerahmte Club Berlin. In sentimentaler Rückschau hat Biesenbach die damalige Zeit als schräge Begleitmusik seiner steilen Karriere, ja als kleines schmutziges Geheimnis verbucht: „Dann haben wir einen Club Berlin zur Biennale in Venedig gemacht, und da haben Mercedes Bunz, Daniel Pflumm, Monica Bonvicini, Katharina Sieverding und ich geglaubt, jetzt haben wir die Unschuld Berlins verkauft.“3 Hätte es Klaus den Leibhaftigen nicht gegeben, man hätte ihn erfinden müsse – als Figur des Verbindens maximaler Unverbindlichkeit! Für solche Sätze haben wir „Kaschmir-Klaus“ dann zum Abschied auch einen Knetgummifilm und die zwei Songs Die Arschlochwelt und Der schnelle Reisende mit auf seinen Weg nach New York gegeben: „Die Arschlochwelt sitzt doch immer am längeren Hebel, ja gerade das macht sie doch dazu“ … „Ich mach jetzt eigentlich gar nichts mehr, das heißt eigentlich schon, ich produziere halt nichts, ich bin eher so im Hintergrund, ich bin so eine Art Reisender in anderen Interessen, Agent finde ich ganz lustig, was da bleibt, sind so neue Räume, ich bring so Leute, Themen, Sachen, die eigentlich nicht zusammenpassen oder es nicht wissen, zusammen, und dann bin ich schon wieder weg.“ Der Wunsch, sich von solchen Transferaktionen unabhängig zu machen, führte allerdings auch dazu, die formalen Möglichkeiten bzw. die „Autonomie“ von Kunst diesem Ziel unterzuordnen und eine Zeit lang sträflich zu vernachlässigen. So etwas hinterlässt Spuren, denn diese doppelte Distanzierung überlässt das Feld kampflos anderen, sodass es einen spielend wieder einholt.
Erinnerungen an den Sommer 2014. Nach langem Hin und Her wurde die lokale Künstlergruppe COMOclube auf die São Paulo Biennale eingeladen – eine Gruppe, mit der ich seit ein paar Jahren zusammenarbeite und deren spontane Produktionsweise für jede konventionelle Ausstellungspraxis eine Herausforderung darstellt. Der mächtige Pavillon ist ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk und ruft förmlich danach, mit seiner Architektur zu experimentieren (Oscar Niemeyer hat sich ja nicht einfach so als Marxist bezeichnet). Die Stockwerke der verglasten Halle erreicht man über Rampen, die immer wieder den Blick in den tropischen Ibirapuera Park freigeben. Hitze und Vogelgesänge erfüllen den Raum, und ständig sieht man irgendwo Jugendliche und Kinder durch die offenen Türen kommen und gehen. Tagelang waren wir also in Aktion, haben gemeinsam dort abgehangen und an unseren Sachen gearbeitet, so als ob noch Aufbauzeit wäre. Eine Form von Luxus! Die Ergebnisse wurden dann zwischendurch eher beiläufig als Installation, Performance, Konzert oder Filmscreening öffentlich gemacht. Obwohl wir die ganze Zeit über öffentlich waren, wurden wir nur in diesen Momenten wirklich wahrgenommen. Die Woche startete mit einem kleinen Skandal. Zwei befreundete Künstler hatten heimlich im Gebäude einen Joint geraucht und wurden dabei erwischt. Es stand sofort die Frage im Raum, ob COMOclube jetzt der Rausschmiss drohte. Daraus wurde nichts, aber das Regime war kurz in Erscheinung getreten.
Was in der eigentlichen Ausstellung besonders auffiel, war die große Anzahl an Objekten und Fundstücken, die an Beuys, Fluxus oder bestimmte Spielarten des Surrealismus erinnerten. Der Parcours war übersät mit exotisch-alltäglichen Gegenständen und kleinen Fetischen. COMOclube ist solchen Objekten gegenüber nicht abgeneigt und arbeitet gerne mit Kleidung, insbesondere der Modedesignerin Karlla Girotto. Exotisch-Alltägliches wurde hier in einer Kollektivimprovisation in eine lebende Skulpturengruppe verwandelt, die sich dann sehr langsam über Stunden durch die Ausstellung bewegte. Wir haben alles Mögliche im Park gefunden, in die Halle geschleppt und verarbeitet oder uns mit dem Kram unter die Skateboarder gemischt, die am Wochenende zu Tausenden den Park bevölkern. Bei der Gelegenheit ist mir wieder aufgefallen, dass der Kunstbetrieb, nachdem alles eingerichtet ist, jeder Form von unvorhergesehenem Gebrauch mit einer seltsamen Form von neurotischer Paranoia begegnet. Dabei ist diese tote Zwischenzeit, in der schon alles gelaufen und der Tross weitergezogen ist, die interessanteste. Sie nicht zu nutzen, kommt einer irren Verschwendung von Ressourcen und Möglichkeiten gleich, die durch die einmal ausgestellte Kunst nicht ansatzweise erschöpft werden. Der alltägliche Kram wird ja durch den Kontext und als Kunst nur deshalb exotisch oder zum Fetisch, weil Produzieren im emphatischen Sinne nur vorher und nachher stattfinden darf und dazwischen sich eine Wüste ausbreitet. Das sagt noch nichts über die Qualität der ausgestellten Arbeiten aus, aber sehr viel über die an sie gestellten Ansprüche. Wenn Leute Schlange stehen, um Marina Abramović im MoMA über Wochen stundenlang ganz tief in die Augen sehen zu können, dann ist das nicht etwa ein kollektiver Prozess, sondern ein narzisstischer Albtraum. Dass sie sich im Nachhinein von Jay Z für seine Galerieperformance Picasso Baby benutzt fühlt, ist ein Witz. Ein echter Popstar hat eben eine ganz andere Macht, auch wenn er glaubt, durch den Kunstrahmen noch den letzten Schliff bekommen zu müssen. Einfach nur Neues, Exotisches, Ethnografisches oder gar Pop in den Kunstinnenraum zu holen und mit Etabliertem zu fusionieren, verwandelt die Wüste nicht in eine Oase. Dafür werden die Grenzen zu gut bewacht.

Grenzprogramm
Wie könnte man also mit der gegenwärtigen Situation umgehen, ohne sich zwischen Kunst und Rahmen entscheiden zu müssen? Diedrich Diederichsen, einer der genauesten Beobachter dieser hier beschriebenen Spannungen, arbeitet schon lange an einer fröhlichen Wissenschaft, die mit begrifflicher Kraft immer wieder die engen Grenzen der Diskussion und Praxis herausfordert und dabei auch speziell das Verhältnis von Kunst, Pop-Musik und Mikropolitik im Auge hat. Ende der 1990er-Jahre gab er in Der lange Weg nach Mitte unter den Stichworten Hipness und Differenz der Thematik des Türenöffnens und -zuschlagens eine interessante Wendung: „Ein geiles Gefühl bewegt sich immer auf dem Plateau einer grenzenlosen Rechtmäßigkeit. Es wird noch größer, wenn es noch an den Moment erinnert, als man sich dieses Recht zum ersten Mal nahm, against all odds. Das Gefühl erstirbt, wenn es sich verteidigen will und muss. […] Es wäre vielleicht an der Zeit, trotz allem 1995 mal wieder für Differenz zu sprechen, gerade weil ich hier der Inklusion das Wort rede. Ich rede der Inklusion das Wort, weil es ein Irrtum ist, auf das Problem, vereinnahmt werden zu können, […] zu reagieren, indem man die gewendete Gegengeste anwendet. Eine falsche Tür geht auf, und ich mache die richtige Tür zu: so nicht.“4
Diese Diagnose ist in gewisser Weise universell und betrifft Kunst ebenso wie Pop. Diederichsens aktuelles Buch Über Pop-Musik entfaltet diese komplexen Verflechtungen entlang der Unterscheidung von Kunst und Leben. Erst durch diesen Unterschied lässt sich über Kunst und Pop-Musik als sozialen Zusammenhang sinnvoll sprechen. Pop-Musik ist nicht einfach eine Untermenge von Musik, Kunst und Populärkultur. Auch nicht die Schnittmenge aus allen dreien, sondern ein sehr spezifisches, unreines Artefakt, dem Musik, Bilder, Diskurse, Technik und das Soziale als Material dient. Ein Artefakt, welches das 20. Jahrhundert seit Mitte der 1950er-Jahre maßgeblich geprägt hat und gegenwärtig eine Mutation durchläuft, die es vielleicht an die Grenze seiner begrifflichen Einheit tragen wird.
Ganz am Anfang dieser Geschichte stehen eine doppelte Flucht und drei Katastrophen. Die Flucht vom Land in die Stadt, begleitet vom Blues und seiner allmählichen Urbanisierung bzw. Elektrifizierung. Und die Flucht der Jazzmusiker, die unter dem Eindruck von Sklaverei, Segregation und Kulturindustrie mit dem vorgefundenen und bereits verbrauchten musikalischen Material durchbrennen, es transformieren und ein neues, fragiles Subjekt erfinden. Dieses Subjekt markiert die Vorgeschichte der Pop-Musik. Ohne die Phonographie und Leute wie Alan Lomax hätten solche Aneignungen jedoch keinen Bestand gehabt. Lomax hatte durch seine unermüdliche ethnografische Suche nach existierenden Musikformen nicht nur Folksongs oder die Musik anderer Kulturen aufgezeichnet, sondern auch Bluesmusiker wie Muddy Waters, der erst durch die Begegnung mit seiner konservierten Stimme auf die Idee kam, den Weg in die Stadt anzutreten, um dort in einem völlig neuen Milieu seine musikalische Kraft zu entfalten. Wie Diederichsen solche Urszenen aus Adornos Kulturindustriethesen und dessen Wuttexten gegen den Jazz und die populäre Musik herausschält, indem er Adornos Argumente geduldig gegen ihren Autor in Schutz nimmt und behutsam von dessen Wut trennt, betrifft auch in hohem Maße die Kunst im Zeitalter ihrer Totalökonomisierung. Denn in ihrer heutigen, zugespitzten Form hat die Kulturindustrie laut Diederichsen jeden individuellen Ausdruck zum Verschwinden gebracht, sodass „es keinen Einfluss der Leidenschaften der Leute und der Eigenheiten der Einzelnen auf diese Entwicklungen gibt und auch nicht geben sollte. Und nur soviel Gerechtigkeit oder Schönheit wie ökonomisch vertretbar.“5
Genau diese Grenze wird ganz besonders in der Kunst akribisch bewacht, wo man dafür sorgt, dass die künstlerische Arbeit und ihre Produkte auf die Gestaltung der sozialen, institutionellen und ökonomischen Bedingungen keinen Einfluss nehmen dürfen. Und darum kann eine ernsthafte Herausforderung des Kunstbetriebs nicht innerhalb des Rahmens oder in Form von dessen Erweiterung stattfinden, sondern es müssten genau dieser Rahmen und seine Grenzverläufe bearbeitet und aufgebrochen werden: „Rahmen erfordern eine ganz andere Sprache, Kultur, Kunst. Nur wo dies jenseits von Kinderwünschen nach einfachen revolutionären und eschatologischen Bildern oder von trotzigem Nicht-mehr-mitspielen-Wollen abläuft, können die irren, speziellen, ästhetischen Forschungen der Privilegierten oder auch die neuen Inseln von Artikulations- und Handlungsfähigkeit, die sich Nichtprivilegierte erkämpft haben, an die Steckdosen der neuen weltweiten Gleichzeitigkeit angeschlossen werden.“6

 

 

1 Andrea Fraser, „L’1%, C’EST MOI“, in: Texte zur Kunst, Nr. 83, September 2011, S. 125ff.
2 Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 31: Briefe (Marx an Becker vom 17.4.1867), S. 541.
3 www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-kunst-und-museen/gesprach-mit-klaus-biesenbach-und-fredi-fischli-teil-2
4 Diedrich Diederichsen, Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, Köln 1999, S. 79.
5 Diedrich Diederichsen, Über Pop-Musik, Köln 2014, S. 183.
6 Ebd., S. 453.