Heft 1/2016 - Lektüre



Hans-Christian Dany:

Schneller als die Sonne

Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft

Hamburg (Nautilus Flugschrift) 2015 , S. 72

Text: Pascal Jurt


Nach der 2007 vorgelegten Kulturgeschichte des Amphetamins Speed zeigte Hans-Christian Dany in seinem 2013 erschienenen Buch Morgen werde ich Idiot, wie Ideen aus der Kybernetik in eine von permanenter Animation und Partizipationszumutungen besessene Gesellschaft eindringen konnten und welche Konsequenzen das nach sich zog. Poetisch und gut nachvollziehbar zugleich erzählt er die Geschichte verschiedener heterogener und zunächst auch dissidenter Kybernetikansätze.
Auch in seinem neuen Essay Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft scheint die Kybernetik, die „große Wissenschaftsfiktion des 20. Jahrhunderts“, wieder durch. Mehr als Feedbackschlaufen steht darin der auf Selbsterhalt abzielende Homöostat als Neuigkeitsverhinderer im Vordergrund: „Durch ihren Schlüssel in die nicht enden wollende Wiederholung wurden Homöostaten Teil jener verführerischen Kraft des Kapitalismus, den Eindruck zu hinterlassen, man sei in einem Zustand der Ewigkeit, in dem es keine Alternativen mehr gibt.“
Danys These ist, kurz zusammengefasst, dass allem Beschleunigungsgerede (die Nachhaltigkeit fordernden Entschleunigungsimperative bestätigten dies kontrafaktisch) zum Trotz in Wahrheit alles stillstehe. Die Produktionskraft sinke seit den 1970er-Jahren, das Gerücht der Automatisierung funktioniere nur als Drohkulisse. Seit 40 Jahren komme es nur noch zu Variationen des Immergleichen, der wahre Stillstand werde verheimlicht. Kurz: Es geht hier um die Frage, warum jede Vorstellung von Zukunft abgeschafft worden sei.
Die Zukunft als Versprechen, an deren Stelle die „Alternativlosigkeit“ zur dominanten Doxa getreten ist – dies ist im Übrigen auch Thema des britischen Theoretikers Mark Fisher, auf dessen viel zitierten Essay Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Dany ebenfalls Bezug nimmt, sowie des Filmemachers Adam Curtis, die beide erst neulich in einem Gespräch in Berlin auf das Fehlen einer „Futurologie“ zu sprechen kamen. Adam Curtis etwa sieht den Hauptfehler der heutigen Linken in ihrer Unfähigkeit, eine Vorstellung von Zukunft zu entwickeln.
Hans-Christian Dany empfiehlt einen Austritt aus der informationstechnischen Kontrollgesellschaft. Bereits in seinem Vorgängerbuch hatte er vor dem Hintergrund von Gilles Deleuzes Kontrollgesellschaftsdiagnose auf die Kommunikationsverweigerung als probate Exitstrategie gegen den „communicative capitalism“ (Jodi Dean) verwiesen. Gegen die marktkonforme Figur des innovativen „Querdenkers“, der durch seine freiwillige Selbstkontrolle die Maschinerie der kapitalistischen Verwertung in Schwung hält, könne nur die Kommunikations- und Partizipationsunterbrechung eine Bresche schlagen.
Obwohl in Schneller als die Sonne immer wieder vom Beobachter die Rede ist, kommt es Dany zu selten in den Sinn, dass man einen Standpunkt von außen nur einnehmen kann, wenn man sich dabei gleichzeitig bewusst ist, dass man aus der Außenperspektive urteilt und damit nicht unmittelbar in den Handlungskontext involviert ist. Der Epistemologe Gaston Bachelard hat dies in seinem gegen die Phänomenologie polemisierenden Bonmot „Die Welt, in der man denkt, ist nicht die Welt, in der man lebt“ treffend auf den Punkt gebracht. Dass man zuweilen in Verhältnissen und Konstellationen agieren muss, anstatt ein heroisches Herausspringen aus der Welt und ihren Widersprüchen zu suggerieren, sollte in Zeiten, in denen die „linke Melancholie“ die Existenzweisen zunehmend beherrscht, zumindest diskussionswürdig sein.
Dass es rund um Derridas Begriff des Kommenden („à venir“) Diskussionen über das ständige Aufschieben der Gegenwart gab, wonach alles allein von einer Zukunft zu erwarten sei, die jeweils immer „am Kommen“ ist, aber niemals erreicht wird, das wird in diesem Traktat leider nicht thematisiert. Man könnte auch die Frage stellen, ob das Narrativ, wonach die Gegenwart nicht zählt und im Hier und Jetzt nichts erwartet werden soll, sondern dass das Heil allein in der Zukunft liegt und die Erwartungen sich auf das immer erst Kommende richten sollen – ob dieses Narrativ nicht eine grundbürgerliche Haltung ist.
Während in Danys letzter Nautilus-Flugschrift die „Utopie der Idioten“ noch die stärkste Infragestellung der kapitalistischen Maschinerie darstellte, stellt sich nach der Lektüre von Schneller als die Sonne die Frage, ob der von Dany beschriebene „rasende Stillstand“ ein wirklich schon Jahrzehnte anhaltender Ausnahmezustand ist. Fragen nach dem Produktivmachen einer Dialektik von Routinen der Affirmation und des Widerstands bleiben leider vage. Das introspektiv-linksdandyistische und schöne, quasi-literarische Buch von Dany legt trotzdem Fährten und bietet viele Fluchtlinien an, die sich weiterzudenken lohnen.