Heft 4/2018 - Artscribe


Hier und Jetzt: Günter Peter Straschek: Emigration – Film – Politik

3. März 2018 bis 1. Juli 2018
Museum Ludwig Köln / Köln

Text: Madeleine Bernstorff


Köln. Ein verschwundener Film taucht nach Jahrzehnten wieder auf, noch dazu ein Film, der im Zentrum der Eskalation stand, die wir heute „1968“ nennen: Ein Western für den SDS (1969), Regisseur ist der in Graz geborene Günter Peter Straschek. In der Reihe Hier und Jetzt hat das Museum Ludwig in Köln mit umfangreicher Recherche und in Zusammenarbeit mit der Lebens- und Arbeitsgefährtin Strascheks Karin Rausch sowie mit Unterstützung einiger ehemaliger Kommilitonen eine Ausstellung und einen empfehlenswerten Katalog zur Position des Filmemachers, Autors und Forschers Günter Peter Straschek erstellt. Dort war auch dieser verschollen geglaubte Gegenwestern wieder zu sehen.
„Film“ auszustellen impliziert die Frage, wie die sehr unterschiedlichen sozialen Rezeptionsräume zueinander in Wirkung gebracht werden können, ohne dass „Kino“ oder auch „das Kinematografische“ dabei verschwinden. Die Ausstellungsgestaltung des Berliner Künstlers und Dramaturgen Eran Schaerf geht hier von der Metapher des Fluchtpunkts aus und zieht Fluchtlinien. Er baut dafür Räume in Räumen, niemals sind die Wände parallel. Kulissenhafte Verkleidungselemente lassen ihre Konstruiertheit im Brecht’schen Sinne durchblicken. Zentrale Displays für die Ausstellungsstücke sind einfache Schaukästen wie vor den früheren Bezirkskinos. Ein helles Rot – die Assoziationen verschieben sich zwischen roten Fahnen und abgespecktem Kinoplüsch. Ein abstrahiertes Wohnzimmer bietet Sitzgelegenheiten für die unterschiedlichsten Sitzkörper. Nischen, Ecken und Sackgassen ergeben sich, erzeugen Überraschungen und beschwichtigen den schweifenden Ausstellungsblick. Der größte Raum führt trichterartig auf eine Sichtungssituation der fünf nacheinander projizierten einstündigen Fernsehsendungen zur Filmemigration aus Nazideutschland zu.
Straschek war 1975 mit seiner Untersuchung der Filmemigration seiner Zeit und der gesellschaftlichen Stimmung voraus. Erst 1987 gab es eine Ausstellung in Frankfurt am Main, Anfang der 1990er-Jahre erschienen dann die Bände Aufbruch ins Ungewisse von Omasta und Cargnelli zur österreichischen Filmemigration, zur selben Zeit startete die Deutsche Kinemathek in Berlin die Zeitschrift Filmexil. Was es für Straschek bedeutete, diese Biografien zu erforschen, die EmigrantInnen mit einem immer wieder überarbeiteten Fragekatalog zu behelligen und aufzusuchen und in ihren Umgebungen mit gut ausgeleuchteten festen Raumeinstellungen zu filmen, ist dem vielgestaltigen, sorgfältig kadrierten Material anzusehen. Keine Fernsehware, keine Spur von nichtssagenden Talking Heads. „Sonst hat sich niemand interessiert“, sagte einer der Emigranten. Gar nicht genug lässt sich hervorheben, wie sehr Straschek den Film als kollektives Arbeitsfeld würdigte: Von der Sekretärin bis zur Filmagentin, vom Produzenten bis zum Nebendarsteller, vom Cutter bis zur Theoretikerin hat er die Filmmenschen befragt – viele davon sind von der Filmgeschichte verschluckt –, darunter Prominente wie Fritz Lang, oder das Filmdokument von der Aussage Brechts vor dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten dazu montiert. In einer an Straub-Huillet geschulten Diktion kommentiert Straschek die verschiedenen Geschichten vom Exil, mit gelegentlichen Ausschnitten einiger der großartigsten Hollywood-Antinazifilme, in denen Uniformierte und Widerständige durch den Studiowald streifen. Franz Marischka sitzt in der Badewanne und vollzieht seine Nassrasur, während er von den Nachkriegsbefindlichkeiten zu Veit Harlan erzählt, und wie man sich fragte, ob ihm öffentlich die Hand zu schütteln sei. Fritz Kortners Sohn führt aus, dass es eher die Linken waren, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückgehen wollten, die anderen „nationalisierten“ ihre Erfahrung als Hass auf die Deutschen. Ähnlich wie der Filmemacher Thomas Harlan verfolgten Straschek und Rausch die (Nach-)Wirkungen von Nazideutschland mit einer „investigativen Gegenbürokratie“, der die Erschöpfung angesichts des „Watens durch Blut und Mord“ vorbestimmt war. Die geplanten Publikationen sind nie erschienen, im Exilarchiv in Frankfurt liegen 125 Archivschachteln mit gut 1.800 Personenakten.
Strascheks 1975 erschienenes Handbuch wider das Kino erforscht unerbittlich die Verschleierungsformen und den Liberalitätsspielraum im kulturellen Überbau und macht genau so wenig halt vor den vermeintlich „unabhängigen“ Produzierenden, den AutorenfilmerInnen, wie auch vor PolitfilmerInnen und AgitatorInnen. Unabhängigkeit gibt es für Straschek in der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft nicht, Schönredereien sind das. Das Genrekino lässt er schon eher gelten in seiner deutlich produktionsökonomischen Verfasstheit. „Ein erster praktischer Versuch Richtung Filmessay. Es geht mir um eine (notwendig fragmentarisch gehaltene) Problembewusstwerdung, um Strenge & Abstraktion & Distanz in der Form, um Beziehungen zwischen Dokumentar- und Spielfilm“, schreibt er in einem Brief an die dffb-Studienleitung zu seinem protofeministischen Film Hurra für Frau E. (1967) über eine alleinerziehende Mutter.
Das Publikum der Ausstellung erfährt die generöse Redistribution von Materialien. Als Handreichungen zum Mitnehmen liegen vor den Schaukästen schöne Stapel quadratisch gefalzter Faksimiledrucke – so eine vollständige Liste der von Straschek und Rausch recherchierten FilmexilantInnen samt Fragebogen oder auch die vehemente Abrechnung mit dem „(Film-)Idealismus, unterstützt durch ein großangelegtes Nichtwissen in Ökonomie“, und die Flugschrift der Projektgruppe Schülerfilm von Lukasik/Meins/Straschek, in der das Programm einer prozesshaften kooperativen und tendenziell sozialistischen Filmarbeit entworfen wird: gegen Moralismus, für Konsum, erschienen im März 1969 in der Zeitschrift film. Das Hier und Jetzt aber wird spätestens mit Strascheks Lesung des Briefs von Arnold Schoenberg an Kandinsky 1923 eingeholt: „Wie kann [ein Kandinsky] an einer Politik teilnehmen, die die Möglichkeit schaffen will, mich aus meinem natürlichen Wirkungskreis auszuschließen?“