Heft 2/2020 - Artscribe


Making FASHION Sense

16. Januar 2020 bis 8. März 2020
Haus der elektronischen Künste Basel HeK / Basel

Text: Yvonne Volkart


Basel. „Wer die Mode zu lesen versteht, kann lesen, was kommt“, paraphrasiert Barbara Vinken Walter Benjamin. Zweifellos versucht diese Ausstellung, die Fühler (Sensoren) auszustrecken und das Zukünftige zu lesen. Sie versucht, den gesellschaftlichen Trend zu mehr Technik und mehr Nachhaltigkeit am Beispiel der Mode zu verhandeln. „Making FASHION Sense thematisiert die grundlegende Transformation der kreativen Prozesse im Modebereich durch Technologie sowie die künstlerischen Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit: Mode, die Sinn macht“, schreiben die Kuratorinnen Sabine Himmelsbach und Katharina Sand über ihr Konzept. Sie spielen dabei mit der Mehrdeutigkeit von sense, die in ihrer technologischen Bedeutung die uns abtastenden Sensing Technologies meint, hier aber auch zum Sinn(haften) und sogar Ökologischen wird. Sense ist aber auch das Sensorium, das die Mode spürbar macht. Es ist die Richtung, hin zu den Fühlern, zum Digitalen und Sinnlichen und, folgen wir den Kuratorinnen, zum Nachhaltigen.
Mehrere Arbeiten machen als Einstieg in die Ausstellung deutlich, dass Mode gesellschaftlich virulente Themen am Körper reinszenieren und als Oberflächenphänomen verhandeln kann. So präsentiert die Videoarbeit Artifact012 (2016) der Gruppe Iyapo Repository (mit Salome Asega) ein maskenhaftes Wesen in einem blauen Sensory Suit mit Röhren und Schläuchen. Das Wesen bewegt sich langsam, beschwörend, lässt uns zusammen mit dem Sound abtauchen. Der Anzug ist ein in Workshops entstandenes spekulatives Designartefakt und soll seinen TrägerInnen das Gefühl geben, unter Wasser zu sein. Das helfe, Traumas zu heilen, die durch koloniale Gewalt entstanden. Der Name „Iyapo“ bezieht sich auf die gestaltwandelnde Protagonistin eines feministischen Science-Fictions von Octavia Butler. Überzeugend verbindet diese Arbeit künstlerische, gestalterische und therapeutische Momente. In eine ähnliche Richtung geht auch Adam Harveys Stealth Wear: Anti-Drone Burqa, Anti-Drone Hijab (2013). Seine „Anti-Drone-Fashion“ zeigt Schleier, die aus versilbertem Gewebe bestehen und somit vor thermischen Überwachungssystemen wie Drohnen schützen. Oder Ling Tans Supergestures (2018), ein partizipatives Projekt mit Jugendlichen aus Manchester. In Absprache mit den Beteiligten entwickelte die Künstlerin smarte Kleidung mit Körpersensoren, Audiofeedback und LEDs, deren performatives Zusammenspiel im Stadtraum Praktiken und Visionen kommunalen Lebens hervorbringen konnten.
Neben solchen gesellschaftspolitischen Durcharbeitungen zieht sich ein zweiter Strang durch die Ausstellung. Dieser befasst sich mit Suchbewegungen bezüglich neuer Technologien und Materialien. Eindrücklich ist da das Screening des Haute-Couture-Catwalks Voltage (2013) von Iris van Herpen. Dabei trugen die Models Kleiderskulpturen, deren antennenartige Verzierungen synchron zur jeweiligen Körperenergie vibrierten. Biolace (2010–12) träumt hingegen von den Möglichkeiten synthetischer Biologie: Die Wurzeln schwarzer Erdbeeren würden in Zukunft auch noch schwarze Spitze herstellen. Die Fotografien und die ausgestellte Spitze lassen dabei offen, ob sie als „grüne“ Biotechlösung hedonistischer Versprechen fungieren oder vielmehr diese Art des Warendenkens pervertierend auf „die Spitze“ treiben. Klar ist nur, dass Carole Collet in diese Richtungen forscht. Sie ist Direktorin des Design & Living Systems Lab am Central Saint Martins, University of the Arts in London – der Hochburg des spekulativen Designs. Berührender, weil realistischer und ganzheitlicher konzipiert, sind die gewachsenen Kleidungsstücke der Designerin Freya Probst. Diese bestehen aus einer dichten und zugleich fragilen Wurzeltextur, die durch bestimmte Aussaat- und Nährbodentechniken erreicht werden: Das mit dem Boden Verhaftete wird zu einer Technologie des Kommenden. Im hinteren Teil der Ausstellung zeigt die Forschungsgruppe Produkt und & Textil der Hochschule Luzern – Design und Kunst weitere Materialrecherchen wie Textilien aus Bananenblättern. Hier hätte man gerne Genaueres über diese neuen Techniken oder deren Ökobilanz erfahren.
Der dritte Themenstrang mit den Auswirkungen des Digitalen auf die Modeindustrie bildet den Abschluss. In Neural Network Balenciaga trainierte der junge US-Künstler Robbie Barrat einen Algorithmus mit Tausenden im Internet verfügbaren Bildern von Kollektionen und Modeschauen des Labels Balenciaga und kreierte damit „neue“ Entwürfe bzw. das, was sein Algorithmus infolge des Trainings und der Programmierung zu erreichen imstande war. Heraus kamen dabei die typisch unscharfen Rechenbilder auf der Basis des Bestehenden, die man als Neural-Network-Ästhetik kennt. Sie werfen die Frage nach der maschinischen Kreativität auf – eine Frage, die als Abschluss für diese so virulent begonnene Ausstellung etwas oberflächlich bleibt. Denn geht es bei Neural Networks nicht auch um Techniken des Optimierens? Und falls ja, wäre es dann nicht aufregender, darüber nachzudenken, ob Neural Networks Mode optimaler, im Sinne von nachhaltiger, gestalten könnten? So kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Ausstellung gegen Schluss etwas „zerfasert“. Ein Eindruck, der durch die räumlich an den Rand gedrängten recherchebasierten Arbeiten gestützt wird und gleichzeitig durch die strenge, additive Ausstellungsmatrix in Schach gehalten wird: Alles soll gezeigt werden können, sagen die (umkleide-)kabinen- oder messestandartigen Metallgerüste, die Szenograf Andreas Wenger entworfen hat. Denn da liegt auch die Stärke von Making FASHION Sense: dass sie es schafft, die aktuellen Beispiele und innovativen Strömungen in ihrer Vielstimmigkeit zusammenzubringen. Und dass sie die in letzter Zeit stiller gewordene Diskussion um die Crossovers von Kunst und Mode durch den Zusammenzug von Technokultur und Ökologie zu reaktualisieren vermag. Das ist eigentlich schon viel.