Heft 3/2020 - Artscribe


FIKTION KONGO – Kunstwelten zwischen Geschichte und Gegenwart

22. November 2019 bis 15. März 2020
Museum Rietberg / Zürich

Text: Sønke Gau


Zürich. „Darf man das?“ Diese Fragen schwebt, in der direkten Form unausgesprochen, aber durchaus präsent über der Ausstellung Fiktion Kongo, die vor Kurzem im Museum Rietberg in Zürich zu sehen war. Das Schweizer Kunstmuseum für außereuropäische Kultur besitzt eine umfangreiche Sammlung von Artefakten aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien. Wie alle Museen und ethnologischen Sammlungen müssen sie sich spätestens mit dem Erscheinen des sogenannten Macron-Reports (2018) von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy fragen, wie es mit ihren Sammlungen weitergehen kann. In ihrem viel diskutierten Bericht plädieren die beiden WissenschaftlerInnen für eine neue „relationale Beziehungsethik“ und ein „Recht auf das gesamte Kulturerbe“, nach dem das afrikanische Erbe kein „Gefangener“ europäischer Museen sein dürfe. Nicht nur geraubte Kulturgüter, sondern auch solche, die zwar gekauft, für die unter kolonialen Grundbedingungen aber keine angemessenen (westlichen) Kunstmarktpreise bezahlt wurden, sollten restituiert werden. Der Vorschlag dürfte den Großteil der Sammlungsbestände betreffen. Das Museum Rietberg und die beiden Kuratorinnen Michaela Oberhofer und Nanina Guyer versuchen nun, eine neue Form des Umgangs und der Positionierung in diesem Dilemma zu finden. Einerseits indem sie die Herkunftsgeschichte und Kontexte der ausgestellten historischen Objekte thematisieren. Andererseits indem sie international agierende zeitgenössische KünstlerInnen aus der Demokratischen Republik Kongo oder solche mit familiären Beziehungen dorthin einluden, mit neuen Arbeiten auf die Sammlung zu reagieren, um so die Dominanz des westlichen Blicks und seine Projektionen auf „Afrika“ zu unterlaufen. Ausgangspunkt der Ausstellung sind Objekte, Tagebucheinträge und Fotografien des deutschen Kunstethnologen Hans Himmelheber (1908–2003), die er 1938/39 von einer mehrmonatigen Reise durch die Kolonie Belgisch-Kongo mitbrachte und die dem Museum von der Familie gestiftet wurden. Himmelheber reiste im Auftrag von Galerien und Museen, um durch den Kunsthandel seine eigenen kunstethnologischen Forschungsinteressen zu finanzieren. Als einer der ersten EuropäerInnen interessierte er sich hierbei auch für die KünstlerInnen und Kunstschaffenden sowie deren in dem Schaffensprozess verwendeten Materialien und Techniken – also für Ästhetik und Autorschaft der vor Ort anzufindenden Kunst. Auch bezahlte er, soweit bekannt, für alle Objekte. Dennoch haftet den Stücken der Makel an, unter den Bedingungen des Kolonialismus erworben worden zu sein. In der umfangreichen zur Ausstellung erschienenen Publikation ist nachzulesen, dass Himmelheber vor Ort oft nur geringe Beträge für Objekte bezahlte, die er später für das Hundertfache an Galerien weiterverkaufte, die ihrerseits den Preis nochmals vervielfachten.
Das dialogische Grundprinzip der Ausstellung wird bereits im ersten der nach Themenschwerpunkten unterteilten Räumen deutlich: Eine Projektion von Fotografien Himmelhebers wird auf der Tonspur unterlegt mit vorgelesenen Auszügen seiner Tagebucheinträge. Diese berichten davon, wie er sich auf seinen Expeditionen in einer sänftenartigen Tragevorrichtung von Einheimischen von Dorf zu Dorf tragen lässt. Das inhärente Machtgefälle dieses Settings äußert sich daran, dass diese „tipoye“ normalerweise Würdenträgern vorbehalten waren. Gleichsam auf die Demonstration von Machtgefälle und Herrschaft blicken von den Seitenwänden des Ausstellungsraums großformatige Projektionen von einigen an der Ausstellung teilnehmenden zeitgenössischen KünstlerInnen (Sinzo Aanza, Angali, Sammy Baloji, Hilary Kuyangiko, Steve Bandoma, Fiona Bobo, Michèle Magema, Aimé Mpane, Fiston Mwanza Mujla, Chéri Samba, Yves Sambu, Monsengo Shula, David Shongo, Pathy Tshindele). Ihre stummen und ernsten Blicke entfalten eine fast körperliche Präsenz und verkehren die Blickverhältnisse: Die BesucherInnen der Ausstellung betrachten die Exponate, werden ihrerseits aber von den KünstlerInnen betrachtet. Dieses relationale Gefüge zieht sich als Grundprinzip durch die weitere Ausstellung, in der die Objekte aus der Sammlung Himmelhebers mit künstlerischen Arbeiten konfrontiert werden, die sich entweder inhaltlich oder formal damit auseinandersetzen. Historischen Kraftfiguren aus der Songye-Region wird eine zeitgenössische Adaption von Hilaire Kuyangiko (Nkisi numérique, 2017) gegenübergestellt, die auf den Fortbestand von Gewalt und moderner Sklaverei zum Abbau des Erzes Coltan für Handys verweist. Fotografien Himmelhebers von KongolesInnen in westlicher Kleidung werden mit Fotografien von Sapeurs auf den Straßen Kinshasas (Yves Sambu) und in der Schweizer Diaspora (Fiona Bobo) kontrastiert. Der extravagante, dandyeske Kleidungsstil der Sapeurs entwickelte sich aus der postkolonialen Widerstandsbewegung der Sechzigerjahre und kann auch als Geste der Selbstermächtigung gelesen werden.
Michèle Magema wiederum setzt sich mit der Geschichte ihrer Familie während der Kolonialzeit und mit Fotografien Himmelhebers auseinander, die sie zeichnerisch adaptiert, sich wieder aneignet und Geschichte damit fortschreibt. Im letzten Ausstellungskapitel wird eine Zusammenführung der angerissenen Diskurse probiert. In Interviews kommen KünstlerInnen aus dem Kongo und der Diaspora zu Wort: „Durch diese multiplen Stimmen sollen“, so der Pressetext, „die Besuchenden im Sinne eines ‚global turn‘ in der Kunstgeschichte ein differenziertes Bild der Geschichte und Kunstszene des Kongo erhalten, zugleich aber zum Nachdenken über postkoloniale Fragen zu kolonialen Sammlungen und der Debatte über Restitution angeregt werden.“ Der hier formulierte Anspruch der Ausstellung führt zurück zur eingangs gestellten Frage nach der Legitimität eines solchen Unterfangens, die nicht leicht zu beantworten ist: Die Ausstellung duckt sich nicht vor unangenehmen Fragen weg, hütet sich vor Pauschalurteilen und plädiert für eine detaillierte Beschäftigung mit dem konkreten Einzelfall. Dennoch bleiben auch im Fall Himmelhebers viele Fragen offen, welche in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universität Zürich untersucht werden sollen. Die Ausstellung kann in diesem Zusammenhang nur ein Anfang sein und so bleibt auch eine merkliche Leere zwischen den historischen Artefakten und den zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten. Diese Leerstelle steht für einen dringend notwendigen Prozess der weiterführenden Auseinandersetzung, an dessen Ende dann auch die Restitution der Mehrzahl der in europäischen Sammlungen befindlichen Artefakte stehen sollte.