Heft 3/2020 - Artscribe


Travel Apparatus

18. Juni 2020 bis 20. August 2020
das weisse haus / Wien

Text: Ada Karlbauer


Wien. 6.887 Kilometer in wenigen Sekunden, die Füße immer noch am Boden. Alles beginnt hinter verschlossenen Türen in einem verschlafenen Winkel der Aufmerksamkeit. Man sieht seltsame Reptilien in Gefangenschaft, sie warten auf das Ende der Tage, dabei hat dieser Tag gerade erst begonnen und wird auch so bald nicht enden. Die Zuschauerblicke sind bereits gegangen, woanders hin.
Unter dem Titel Travel Apparatus zeigt das weisse haus ein Screening Programm in 34 unterschiedlichen Richtungen und Perspektiven, 34 Destinationen in Form von entsprechenden künstlerischen Positionen. Das Programm thematisiert damit die (Un-)Möglichkeit von physischen Reisen in Zeiten von „in Zeiten wie diesen“. Die Rauminszenierung orientiert sich dabei formal an den Abläufen eines Flughafens: Hinter einem dicken Vorhang wird ein Warteraum simuliert. Adrian Pacis Videoinstallation Centro di permanenza temporanea läuft im Blickfeld. Man scrollt auf einem Tablet durch die Möglichkeiten. Die Wege und Verläufe sind unbestimmt. Jede Entscheidung formt ein anderes Resultat. Die Verweildauer ist variabel und deshalb gestaltet sich auch jeder Besuch anders. Die Auswahl erfolgt schließlich mit geschlossenen Augen. Drei Ziele, mehr nicht. Es geht nach Thailand, Palästina und Russland. Simuliertes Abheben, ohne die Bewegung auszuführen. Die Ohren bedeckt, der Blick nach vorne. Der Screeningraum gestaltet sich wiederum in drei, voneinander isolierte Einheiten, mit jeweils einer zentralen Projektion. Reisen nebeneinander ohne einander. Die eigenen Aktionen werden in den Stillstand versetzt. Fast so, als würde man sich selbst beim Träumen zusehen.
Alles beginnt hinter verschlossenen Türen in einem verschlafenen Winkel der Aufmerksamkeit. Thailand, ein Ort, der durch die Abwesenheit von humanen ProtagonistInnen und Sprache charakterisiert wird. Demos von Danaya Chulphuthiphong formt eine Montage von Gefundenem, scheinbar Nebensächlichem. Der sprechende Titel Demos reflektiert gleichermaßen das zu dem damaligen Zeitpunkt noch herrschende Militärregime Thailands sowie die damit zusammenhängenden Repressionen. Diese filmische Nebenwirklichkeit formt eine alternative Variante der Realität, die ohne Stereotype auskommt. Dunkle Drohnensounds begleiten die Bilder wie eine Welle bei Nacht. An manchen Stellen erstarren die bewegten Bilder und lassen die Wirklichkeit kippen. Schlangen in Rotlicht. Auf Häuserschutt fahren Bagger und zertrümmern Häuser, daneben sitzt ein Mann. Ein Krokodil zeichnet die Choreografie eines Krans mit den Pupillen nach, während dieser eine Treppe in den Himmel hinaufhebt.
Neues Land, andere Wunden. Es sind kaum zehn Minuten vergangen. Staub benetzt die Augen, benetzt die Gedanken, benetzt die Projektion mit einem unsichtbaren Schleier. Nach Thailand folgt Palästina, weil die blinden Finger es so wollten. Auf verschlossene Türen folgen Lücken, Füllungen, Zuschnitte, Transporte. Die eigentlich als Drei-Kanal-Installation erdachte Videoarbeit Tora Bora des Kollektivs METASITU (Liva Dudareva and Eduardo Cassina) vollzieht die Fluchtlinien des „Stone of Jerusalem“, dem sogenannten heiligen Stein. Der Blick folgt dem Staub, von einem ausgehöhlten Bergwerk in der Westbank zur Replika des Tempels von Salomon in Brasilien. Staub wird zu Form, Form wird zur Bedeutung. Der heilige Stein formt das Gleiche, die Geschichten weichen jedoch voneinander ab. Die Vergangenheit ist in Staub gemeißelt.

Tora Bora
A layer of dust
that remains
On the skin

hört man im wiederholten Echo neben den Bildern. In Tora Bora werden Stein und Staub der palästinensischen Kalksteinabbauindustrie zu symbolhaften Identitätsträgern der Konflikte eines ganzen Landes. Diese losen Spuren zerfallen am Ende wieder. Das Verhältnis zwischen Lücken und Füllungen, Abbau und Aufbau reflektiert den geopolitischen Aspekt von Angebot und Nachfrage. Die Geschichte als eine Staubnation, die nie zerfällt.
Am Ende der Reise wird es dunkel, fast so, als wäre der Tag im Schnelldurchlauf zu Ende gegangen. Die Arbeit Dark Matter von Viktor Brim repräsentiert Russland und zeigt einen Schattenblick auf surreal anmutende Oberflächen. Diese Landschaften sind zeitzerfressen, verwundet und geheimnisvoll. Die Baumkronen stechen sanfte Löcher in den Nebel. Einsame Muldenkipper bewegen sich in der Ferne, laden auf, laden ab, zeichnen hypnotische Choreografien in die Augen. Erneut steht die Rohstoffgewinnung im Zentrum der Bilder und formt dabei die Physiognomie der Erde. Darin sieht man die vielen Spuren einer politischen und wirtschaftlichen Vergangenheit und Gegenwart als Krater in den Oberflächen, kaum mehr als solche zu erkennen.
Die gegenwärtige Realität des Reisens verformt zunehmend die Städte, lässt diese zu ihren eigenen hyperrealen Schatten werden. Ein entfremdetes Abbild. Touristische Verklärungen werden in diesen Perspektiven vermieden. Im Zentrum von Travel Apparatus stehen vielmehr die flächendeckenden Auswirkungen der globalen Krisen auf die Städte und Landschaften sowie die physische Einschreibung von gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Die drei Arbeiten zeigen unterschiedlichste Momente der Verselbstständigung, Verläufe ohne menschliches Zutun. Als ein verbindendes sowie assoziatives Element fungieren dabei die wiederkehrenden Kräne. Anfang und Ende, Dekonstruktion und Wiederaufbau, zumindest in dieser Anordnung der Bilder. Eine Mitarbeiterin fragt: „Wie hat Ihnen Ihre Reise gefallen?“ Die Antwort: „Ich habe viele Kräne gesehen.“ Die Eindrücke vergehen, hinterlassen dabei eine feine Spur in den Gedanken, fast wie jene Staubschicht, die auf der Haut zurückbleibt.