Heft 3/2020 - Artscribe


Laure Prouvost – Melting into one another ho hot chaud it’s heating dip

21. Februar 2020 bis 16. Mai 2020
Kunsthalle Lissabon / Lissabon

Text: Aleksei Borisionok


Lissabon. Zum ersten Mal sah ich Werke von Laure Prouvost 2015 im Zuge von The School of Kiev, einer Biennale zeitgenössischer Kunst, die in modernistischen Gebäuden aus dem Sozialismus gezeigt wurde. Der Weg zur Ausstellung führte über den von Pflanzen überwucherten Abhang, der den oberen vom unteren Stadtteil trennt. Als ich über die links und rechts von einem Farndickicht bedrängte und langsam zerfallende Betontreppe herabgeschritten war, fand ich mich in der Garagenkooperative wieder. Eine der Etagen dort betrieb das Visual Culture Research Center als Ausstellungsraum. Der lange dunkle Gang in der Garage führte direkt zu Prouvosts Videoinstallation Into all that is here (2015), einer wie rasend pulsierenden Bildmontage mit knalligen Farben und eindringlichem Geflüster, bei der es um Lust, Begehren und Gefühle im Glanz vegetativer Körperempfindungen wie Wärme und Feuchtigkeit ging.
Laure Prouvost bezieht in ihre Kunst gerne die Umgebung mit ein, indem ihre Objektkonstellationen auf ganz spezielle Weise in diese übergehen. So entsteht meist ein immersives, wild wucherndes Ambiente. Ob es sich nun um einen Wald handelt oder um ein Grubenhaus oder den französischen Pavillon auf der Venedig Biennale – immer subvertiert die Künstlerin den Raum, spielt mit ihm, findet leer stehende oder versteckte Zimmer, verlegt Aus- und Eingänge oder andere Bauteile.
Ganz ähnlich intervenierte sie nun auch im Souterrain der Kunsthalle Lissabon, einem unabhängigen Raum für Gegenwartskunst im Hafenareal der Stadt. Die Kunsthalle Lissabon feierte 2019 ihr zehnjähriges Jubiläum, indem sie für ein Jahr kurzerhand ihre Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeit einstellte und aus der Kulturszene verschwand. Dazu wurde ein Manifest veröffentlicht über die kulturpolitischen Probleme in der so schnell gentrifizierten Stadt. Mit Prouvost startete die Kunsthalle also nun neu, und das passte hervorragend zur augenblicklich so prekär instabilen Lage der hiesigen Institutionen, Menschen und Ökonomien. Die Reise, zu der die Künstlerin einlädt, begann indes wohl schon an der Lagune von Venedig mit ihrer Pavillongestaltung Deep See Blue Sourrounding You, mit der sie 2019 Frankreich auf der Biennale vertrat. Auch sie trug sich im Dunkeln zu, in einer Höhle, einem Loch, einem Verlies.
Vor der Treppe, die ins Souterrain führt, steht eine Reihe Gummistiefel zum Anziehen sowie Glasobjekte, die an Musikinstrumente oder Weichtiere erinnern. Unten angekommen betritt man ein lichtloses Dunkel. Man sieht nichts. Vielleicht sollte man sich mit dem Blitzlicht des Smartphones behelfen? Der Marmorboden ist von Wasser, Schlamm und Gegenständen bedeckt. Die erste Assoziation ist die Ursuppe, jener vage mysteriöse Schleim, aus dem einst das Leben entstanden sein soll. Als sich die Augen ein wenig ans Dunkel anpassen, erkennt man vorgefundene oder eigens geschaffene Gegenstände, die zu einer unterschiedslosen Masse verschmelzen. Zigarettenstummel, Glasstücke, Keramikobjekte, gebrochene iPhone-Screens und Bücherstapel bilden ein gemeinsames Ökosystem. Der Raum ist durch schwarze Vorhänge durchzogen, die mehrere Raumteile bilden, die das Publikum leiten, bis es sich endlich ans Dunkel gewöhnt hat. Erst dann werden die Umrisse der Gegenstände durch eine Videoprojektion deutlicher. Ein Video wird direkt auf den wässrigen Boden projiziert, das andere flimmert über den kaputten Screen eines Smartphones. An manchen Stellen werden die Vorhänge von länglichen, an Tentakel erinnernden Glasobjekten an der Decke fixiert. Die Dichte der Atmosphäre gemahnt an eine Nachtlandschaft in der Tiefenzeit. Die Flüsterstimme aus dem Video zieht das Publikum noch tiefer ins vorsprachliche Erleben.
Die Ausstellung war die letzte, die ich vor dem Corona-Lockdown besuchte. Kurz darauf schlossen die meisten Kunstinstitutionen, um die BesucherInnen vor dem Virus zu schützen. Was passierte eigentlich, als Prouvosts Ausstellung geschlossen wurde? Die Videos, der Sound wurden abgedreht. Aber der nährstoffreiche Schlamm, das Wasser und die Wärme führten ihr Eigenleben auch ohne Publikum weiter. Sie haben ihre eigene Zeit, die sich nicht an Öffnungszeiten und Ausgangsperren hält. Die Objekte reagieren auch in vollkommener Dunkelheit weiter mit dem Dreck und den Bakterien. Donna Haraway spricht in dieser Hinsicht vom fruchtbaren Zustand des „Co-Living“, das sie zeitlich in einem „Chthuluzän“ verortet: „‚Mein Chthuluzän‘ umschlingt, obgleich belastet durch seine problematischen griechisch angehauchten Ranken, unzählige Zeit- und Räumlichkeiten und unzählige intra-aktive Entitäten-in-Assemblagen – einschließlich aller mehr-als-menschlichen, etwas-anderes-als-menschlichen und unmenschlichen sowie Menschen-als-Humus“1. Das eigentümliche und spielerische Ökosystem von Regeneration und Zirkulation, das Laure Prouvost hier geschaffen hat, funktioniert wohl ähnlich. Es brodelt, flutscht, verdreckt. Und dazu braucht es nicht unbedingt die Menschen.

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Übersetzt von Thomas Raab

 

1 Donna Haraway, Anthropozän, Kapitalozän, Plantagozän, Chthuluzän: Making kin, sich Verwandte machen. In: Monströse Versprechen: Die Gender- und Technologie-Essays. Hamburg: Argument Verlag, 2017, S. 28.