Heft 3/2020 - Artscribe


The Kalpana – In Desert Times

30. Mai 2020 bis 12. Juli 2020
Kunstverein Freiburg / Freiburg

Text: Yvonne Volkart


Freiburg. In der Mitte des in einladendes Licht getauchten Raums: ein raumgreifendes Tischding, das wie ein Modell, ein Kontinent, ein Tier aussieht. Auf dem Tisch: Tontafeln, Lichter, Muster, die kaum sichtbaren Pfotenspuren eines kleinen Tiers, das Hologramm eines alienartigen „Blobs“, Wurzeln, Samen, Insekten und ein Aquarium mit jungen Mangroven. An den Rändern des Raums: abstrakt-figürliche Bilder, Lehmobjekte, etwa ein mit Lehm gedämmter Pool, und ein Flat-Screen am Boden. Darauf läuft eine digitale Animation eines blauen Hundes, der sich in einen Einzeller verwandelt.
Die für den Kunstverein Freiburg in Zusammenarbeit mit den KuratorInnen Heinrich Dietz und Antonia Lotz entwickelte Installation In Desert Times des Künstlerkollektivs The Kalpana stellt im Eingangsgeschoss eine „Karte“ dar. Im Obergeschoss wird sie durch ein „Glossar“ ergänzt. Thematisch geht es um die Verwüstung des Planeten durch Raubbau am Boden und Klimawandel sowie die Frage, wie man an einem solchen Ort (über-)leben kann. Die Wüste ist also Verwüstung, ein anthropogen erzeugter Prozess des Zurückschlagens der „Natur“, sie ist Fiktion („spekulative Wüste“) und Realität, konkret verortet in der Salzwüste von Kachchh, einer der ödesten Zonen Indiens an der Grenze zu Pakistan. Hier hat das Projekt des Trios vor vier Jahren begonnen, als eine Forschung, die sich mit dieser Landschaft und ihren menschlichen und mehr-als-menschlichen BewohnerInnen auseinandersetzte – allesamt ÜberlebenskünstlerInnen und LebensspenderInnen, von denen wir, wie die Ausstellung deutlich macht, viel lernen könnten. The Kalpana, das sind die in Berlin und Trondheim lebende Künstlerin Susanne M. Winterling, der in Indien lebende Künstler Goutam Ghosh und der in Oslo basierte Theoretiker für Global Culture Studies, Bodhisattva Chattopadhyay. Der Name ist Sanskrit und bedeutet „bilden, Vorstellung“. Während die Exponate unten sich als ästhetische Spuren und Hinweise dafür lesen lassen, wie diese Wüste belebt werden könnte, verspricht das Glossar oben den Code dazu zu liefern. Doch wer einen Schlüssel dazu erwartet, sieht sich getäuscht. Das Glossar basiert auf bis heute nicht dechiffrierten Hieroglyphen, die in der Gegend gefunden wurden, zudem arbeitet es ähnlich wie die Exponate unten mit Zeichnungen, Fotografien, Bildern, Filmen und Texten. Damit erweist sich die auf kluge Weise sowohl horizontal als auch vertikal gebündelte Auslegeordnung des installativen Settings nicht als eindeutig lesbares Lösungsmodell, vielmehr sind es fragmenthafte, verdichtete und verstreute Verweise auf das, was schon ist oder noch kommen könnte. Es handelt sich hier um eine Ästhetik poetischer Dissemination, die versucht, auf eine radikale Weise eine Sprache für die (auch eigene) Vielheit und Unterschiedlichkeit der Stimmen und Beteiligungen bei gemeinsamem Interesse zu entwickeln. Das äußert sich beispielsweise darin, dass die Exponate von The Kalpana ihren jeweiligen AutorInnen zugeordnet werden oder dass die Ausstellung auch eine Augmented Reality Sandbox integriert, die vom Chaos Computer Club Freiburg zur Verfügung gestellt wurde. Diese Technologie, bei der man mit den Händen den Sand umformen kann, dient zur Berechnung geophysikalischer Gegebenheiten, zum Beispiel für den Häuserbau. Neue und alte Techniken werden versammelt: Gegenüber der Augmented Reality befindet sich Goutam Ghoshs Pool aus Lehm. Es ist ein Modell der Salzgewinnung in Kachchh, wobei der „Dreck“ des Lehms seine Spuren im White Cube hinterlässt. Auch der animierte Blob auf dem Tisch erzählt von einer alten Technik: Es ist die atmende Nase eines Kamels, das sich mit diesem Sinnesorgan das Blut in Gehirn und Augen kühlt. Die Kamelnase ist also Ventilator, Biosensor und GPS, damit das Kamel seinen Weg in der Wüste findet. Die von Abwanderung bedrohte indigene Bevölkerung im Kachchh setzt nach wie vor auf dieses Tier.
Mit leisen Tönen gelingt es der Ausstellung, die BesucherInnen für das Wandelbare des Lebendigen zu öffnen und die Herkunft und Verschränkung von Mensch und Technik aus der Natur erfahrbar zu machen. So verweist die rekursive Entwicklung des blau intoxierten Hundes (offenbar sollen in Indien Hunde infolge verschmutzten Wassers blau geworden sein) zum Einzeller auf die fundamentale Bedeutung der Mikroorganismen für alles Lebendige, ein terrestrisch-organischer Zusammenhang, den eine Etage höher die Animation einer Flechte variiert. Solche poetischen Variationen und Verschiebungen sind die künstlerischen Mittel, damit wir – in dieser Wüste des lichtdurchfluteten Ausstellungsraums – ins Prozessieren und Zusammensetzen des verstreut Präsenten kommen. In Desert Times lehrt uns, dass es keine simplen Lösungen für ein komplexes Problem gibt. Solange wir uns nicht als Teil des Prozesses begreifen und wandeln, wird es keinen Ausweg aus der Verwüstung geben. Aber es gibt Erzählungen, Möglichkeiten, Wege, des „Mit-Seins“. Zum Beispiel Bodhisattva Chattopadhyays dreistimmiges Hörspiel shape of tortoise, das die Zukunft einer für Schildkröten ruinierten Erde schildert. (Die Umrisse des Kachchh sehe wie eine Schildkröte aus, meinen die dort Lebenden, deswegen hat auch der Tisch unten Beine.) Oder vielleicht weist uns Susanne M. Winterlings weiße, flirrende, fast nicht mehr sichtbare Fotografie des Kachchhs im Fluchtpunkt des Eingangsbereichs den Weg in und durch die Wüste. Ein Weg, der auch zurückgehen, sich aussetzen heißt.