Heft 3/2021 - Artscribe


14. Baltic Triennial – The Endless Frontier

4. Juni 2021 bis 15. August 2021
Contemporary Art Centre (CAC) / Vilnius

Text: Kathrin Heinrich


Vilnius. Den Umständen geschuldet stand bis zuletzt nicht fest, in welcher Form die 14. Baltic Triennial (BT14) in der litauischen Hauptstadt stattfinden würde – gerade mal vier Wochen vor Ausstellungsbeginn wurde der Termin schlussendlich bekannt gegeben. Während sich die letzte, von Vincent Honoré kuratierte Ausgabe der Triennale noch publikumswirksam auf die drei baltischen Hauptstädte verteilte und junge baltische Kunst im internationalen Kontext forcierte, begibt sich die heurige BT14 in den Spagat zwischen Rückbesinnung auf lokale Gegebenheiten einerseits und inhaltlicher Öffnung dieses Lokalen gegen den Schwerpunkt Osteuropa andererseits. Kuratiert von Valentinas Klimašauskas (Vilnius) und João Laia (Kiasma Helsinki) unter dem Titel The Endless Frontier macht sich die Schau einen breit gefassten Begriff Osteuropas dienstbar, um die „porösen Grenzen“ der geopolitischen Begrifflichkeit zu erkunden und künstlerische Querverbindungen, Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen.
Auf drei Stockwerken konfrontiert die Hauptausstellung im CAC vorwiegend junge, aufstrebende künstlerische Positionen (Tomasz Kowalski, Agnieszka Polska, Dominika Trapp, Zuzanna Czebatul) mit arrivierten Protagonist*innen der ost- und mitteleuropäischen Performance- und Konzeptkunst (Mladen Stilinović, Goran Trbuljak, Anna Daučíková, Adam Rzepecki) sowie lokalen Größen (Jonas Mekas). Fragen von Grenzziehung, Energiegewinnung, Wirtschaft, Migration, Integration und Queerness stellen die zentralen thematischen Stränge dar, die das Kuratorenduo miteinander verknüpft und im Booklet programmatisch durch Zitate jeweiliger Sekundärliteratur ausgibt. Aufgrund bevorstehender Renovierungsarbeiten am Gebäude kommt der BT14 dabei zudem die Rolle zu, als letzte Ausstellung den für die modernistische litauische Architektur beispielhaften Bau im Originalzustand zu bespielen.
Statt diesen Umstand explizit zu thematisieren, spielt das umfassend konzipierte Ausstellungsdesign (Isora x Lozuraityte Studio) geschickt mit Anleihen an den Umbau: Plastikplanen in verschiedenen Farbverläufen rahmen die Gänge wie Vorhänge, durch die sich Betrachter*innen den Weg in die einzelnen Ausstellungsräume bahnen müssen. Über die regulären Säle hinaus wird man so auch hinter die Kulissen in ehemalige Lagerräume geführt, stellenweise kommt der sonst überstrichene, auffällig gemusterte Steinboden wieder zum Vorschein, wodurch eine „offene, psychogeografische Karte“ des Hauses gezeichnet werden soll. Lediglich dass die aus einem nicht näher definierten Recycling-Beiprodukt hergestellten Planen auch einen Kommentar zum Thema Umweltbewusstsein darstellen sollen, wirkt – angesichts der schieren Menge an Material – nicht unbedingt überzeugend.
Darüber hinaus geht das architektonische Konzept von strategischer Verhüllung und Freilegung, von Zeigen und Verbergen, tadellos auf: Bedacht im Umgang mit Raum gelingen der Schau äußerst stimmige, wohlchoreografierte Momente. Etwa im Erdgeschoss, wo ein schmaler Gang den Blick auf Natalia LLs Video Consumer Art (1972–75) lenkt und gleichzeitig als Passage fungiert, hinter der Jiří Kovandas Performancedokumentation mit den Gemälden von Martina Smutná (Selfie, Mother, Feast 2019; Cuddle, Tighten, 2020) und Anastasia Sosunovas Installation Another Dinner Ruined (2021) ein Ensemble bildet.
Besonders die unscheinbaren und kleinen Räume werden originell und – teils gerade durch eine gewisse Beiläufigkeit – wirkungsvoll bespielt: So wird Emilija Škarnulytės Videoarbeit Ungrounded Archive (2020) im Lastenaufzug positioniert, Flo Kasearus vertrocknete Topfpflanzen mit dem Titel Violence Grows in Silence (2021) auf der Treppe ins Obergeschoss oder Nada Prljas Absperrband Queue (2007) beim Eintritt ins Museum.
Augenfällig ist daher der Kontrast in der großen Halle, die diesen klugen Umgang mit Raum de facto negiert und auf jedwede Einbauten verzichtet. Zsófia Keresztes Skulpturen wirken hier nahezu verloren, Karol Radziszewskis The Gallery of Portraits (2020–) profitiert dagegen vom Display hoch oben, knapp unter der Decke. Auch wird hier weiter mit dem Prinzip der Gegenüberstellung gearbeitet: Flaka Halitis und Klára Hosnedlovás skulpturale Werke korrespondieren etwa mit Marija Teresė Rožanskaitės Gemälde Reinforcement Rods (1986).
Und dann gibt es noch diese winzigen Verbindungsmomente, die sich in einem solchen Biennaleformat ganz unverhofft einstellen können: Das kleine Motiv der Heuschrecke, die in Alex Baczińsky-Jenkins Faggots, Friends (2019–) sachte durchs Haar eines Protagonisten krabbelt und mit dem Beat wippt, taucht ein Stockwerk höher in der beeindruckenden, leuchtend grünen Tapisserie Grass (Dedicated to M.K. Čiurlionis) (1975) der litauischen Textilkünstlerin Danutė Kvietkevičiūtė wieder auf.
Nicht nur im CAC findet die BT14 statt, auch die fünf Projekträume Atletika, Autarkia, Editorial, Tech Arts & Rupert und Swallow zeigen in ihrem Rahmen Ausstellungen, die teilweise an die zentrale Schau anknüpfen. Obgleich ihre Aufnahme ins Programm eher symbolisch wirkt – keinerlei finanzielle Unterstützung, kuratorisch freie Hand –, wurde sie von der lokalen Szene als Geste des „community buildings“ positiv aufgenommen. So wird deutlich, dass die BT14 nicht aufs große, internationale Publikum ausgerichtet ist, sondern in erster Linie Vilnius und die baltische Kunstszene adressiert. Dass die hohe Qualität dabei nicht hundertprozentig konsistent ist, tut dem Charme dieser kleinen Großausstellung keinen Abbruch. Sie mag weniger radikal oder experimentell sein als vorangegangene Ausgaben, im Jahr 2021 ist sie aber vor allem eines: zeitgemäß.